Kapitel 98

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Annemarie

„Prinzessin! Schnell! Öffnet die Augen!"

Annemarie blinzelte schlaftrunken. Ihr Bett war warm und weich. Warum sollte sie aufwachen?

„Prinzessin!" Sie wurde gerüttelt. Mürrisch öffnete sie die Augen. Neben ihr stand Helmut von Helm in seinem Schlafanzug. Ein fliederfarbener Schlafanzug. Der Stoff schimmerte leicht. Müde betrachtete sie das helle Violett und fragte sich, ob sie das alte Ratsmitglied je zuvor in Violett gesehen hatte.

„Prinzessin! Schnell!"; drängte er und schüttelte sie erneut. „Zieht Euren Mantel an. Ihr müsst fort!"

„Was?"

Doch statt einer Antwort zog er sie aus dem Bett und schob sie zu ihrem Ankleidezimmer. „Zieht einen warmen Mantel über. Kein Gepäck. Wir müssen uns beeilen!"

„Warum?" Verwirrt stolperte sie in ihr Ankleidezimmer. Der alte Vampir eilte mit wirren grau-blonden Haaren zu ihren Schränken und reichte ihr den wärmsten Mantel, den er finden konnte. Dazu warme Socken und Schuhe.

„Euer Bruder und seine Frau planen, Euch verhaften zu lassen. Wegen Hochverrats! Ich habe ein paar Wachen darüber sprechen hören. Sie haben den Befehl, Euch noch vor dem Frühstück zu holen! Kommt. Es eilt! In einer Stunde geht die Sonne auf! Wenn Ihr nicht jetzt flieht, gibt es für Euch nur den Tod!", flüsterte er aufgebracht. „Die vier Soldaten vor Eurem Zimmer, vertraut Ihr ihnen? Sie ließen mich rein, als ich sagte, Ihr wärt in Gefahr. Das war hoffentlich kein Fehler. Mir fiel in der Eile nichts Besseres ein als die Wahrheit!"

Annemarie streifte sich den Mantel über und schlüpfte in Socken und Schuhe. „Sie sind Freunde, ja. Ich vertraue ihnen!" Vor ihrer Tür hielten Theresa Nebel und die anderen drei Soldaten Wache. Theresa hatte dies geschickt eingefädelt und sich und ihre Männer dort erneut postieren lassen. Das waren einmal ihr zwei Jahre jüngerer Halbbruder Janus Nebel, und sein bester Freund Denny Sumpf, sowie Feras von Wachstädt. Feras war der jüngste Sohn einer kleinen Adelsfamilie ohne Einfluss und einem eher bescheidenen Vermögen. Er hoffte durch seinen Dienst am Hofe, seiner Familie zu mehr Ansehen zu verhelfen. Diesen Wunsch verfolgte er nun nicht mehr. Nun, da ein neuer König regierte. Ein schlechter König.

Außer den Vieren hielt niemand anderes im Gang Wache. So hatte Theresa es arrangiert. In weiser Voraussicht, wie sich nun zeigte. Hatte sie etwas geahnt? Annemarie wusste es nicht, doch sie war ihrer Freundin dankbar.

Kaum trug sie ihren Mantel, zog Helmut sie auch schon zur Tür. Doch Annemarie riss sich los und holte den Brief aus ihrem Versteck und versteckte ihn in der Innentasche ihres Mantels. Helmut zog die Augenbrauen hoch. Er eilte ihr nach und schob sie zurück zur Tür, welche er hastig öffnete. „Kein Gepäck!", brummte er hastig. Er schob sie den vier Soldaten entgegen, die Annemarie alle besorgt betrachteten. Helmut von Helm schnaubte ungeduldig. „Bringt sie fort. Nehmt die Gänge der Dienstboten. Dort wird man nicht nach ihr suchen! Schnell!"

Theresa nickte. „Und Ihr?"

Der Alte schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin zu alt für eine Flucht. Ich lasse mich nicht erwischen. Keine Sorge. Mein Platz ist hier. Vielleicht kann ich etwas bewirken." Hastig reichte er Denny einen kleinen Gegenstand.

Annemarie konnte sich kaum verabschieden, da führten, oder besser, zogen die Soldaten sie auch schon eine auf ihrem Gang versteckte Treppe hinab in die Gänge des Personals. Sie hörte Stimmen aus der Schlossküche, doch ansonsten kam ihnen niemand entgegen. Dafür war es noch zu früh. „Wir müssen leise sein. Leise und still"", ermahnte Feras sie. Annemarie stolperte verwirrt und geradeso wach mit den Soldaten mit. Wollte ihr Bruder sie wirklich verhaften lassen?

Die Soldaten blieben vor einer unscheinbaren, verschlossenen Tür stehen. Denny öffnete diese mit einem kleinen Schlüssel. „Von von Helm!", flüsterte er. „Kommt! Schnell!"

Hexe - Die KöniginWhere stories live. Discover now