Kap. 106 Spuren

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Arya pov

Es hatte lange gedauert. Ich konnte keine genaue Zeit nennen, aber ich war mir sehr sicher, dass ich bereits vor einiger Zeit soweit gewesen war und mich nur gegen diese Tatsache gesträubt hatte. Das Thema war mir einfach unangenehm gewesen. Die Ursachen lagen vermutlich in dem Umstand, dass die einzige Liebe, die mir in meinem Leben entgegengebracht worden war, in einem brennenden Wald mit Tod auf der einen und Gefangenschaft und Folter auf der anderen Seite auseinander gerissen worden war. Nichts davon war die Schuld der Liebe, aber dieser Umstand machte es mir nicht leicht, mir einzugestehen, dass es wieder so weit war. Trotzdem war es eine Tatsache, die ich in meinem wahren Namen nicht auslassen konnte.

Während ich so einen Fuß vor den anderen setzte, setzte ich Stück für Stück die Puzzleteile zusammen. Alles, was ich in den letzten Stunden oder frühestens seit unserer Ankunft gedacht hatte, kam nun langsam zu einem großen Ganzen zusammen. Zu einem klaren Bild, dass sich in nicht mehr als zwei Sätzen zusammenfassen ließ. Zwei Sätze, die ich dann leise vor mich hin flüsterte. Alle Haare standen mir zu Berge und es fühlte sich an, als würde irgendetwas in meinem tiefsten Inneren vibrieren. Als würde jeder Ton mein innerstes Selbst berühren und bewegen. Es war wie jedes Mal zuvor ein harter Moment, indem ich noch einmal all meine Schwächen, genau wie die Stärken unleugbar vor mir hatte, aber in diesem Augenblick wusste ich, dass ich ihn gefunden hatte. Keine willkürliche Wortgruppe konnte einen solchen Effekt auslösen, geschweige denn so viel Wahrheit enthalten.

Ich musste ein gutes Stück Disziplin aufbringen, um nicht zuerst einmal bei jeder Schwäche zu versuchen, mir selbst das Gegenteil einzureden. Tief in mir drin wusste ich, dass sie stimmten, und deshalb beschloss ich, sie einfach so zu akzeptieren, schließlich hatte ich sie mir ja eine Minute zuvor selbst überlegt, beziehungsweise sie selbst erkannt. Leider war das natürlich leichter gesagt als getan. Selbst für mich, die bereits Jahrzehnte lang gelernt und geübt hatte, ihren eigenen Geist und ihre eigenen Gedanken zu kontrollieren, war das keine Selbstverständlichkeit.

Trotzdem, vielleicht eben jenem Training verschuldet, konnte ich diese Überlegungen irgendwie Stück für Stück annehmen. Ich fand mich damit ab, dass ich in einigen Fällen zur Arroganz neigte. Ich fand mich damit ab, dass Empathie definitiv keine meiner Stärken war. Ich fand mich damit ab, dass ich Angst vor meinen eigenen Gefühlen hatte. Es war nunmal ein Teil von mir und es war nicht schlimm. An den behebbaren Problemen arbeitete ich entweder bereits, oder ich würde in naher Zukunft damit anfangen und den Rest konnte ich sowieso nicht ändern. An diesem Punkt musste ich mir einfach selbst die Wahrheit glauben, dass meine Stärken diese Schwächen aufwogen und dass niemand perfekt sein musste.

Auch hier wiederholte ich, wie schon zuvor, diese Affirmation wieder und wieder, denn ich wusste aus Erfahrung, dass das oft dazu führte, dass ich sie mir selbst glaubte.

Für den Moment hatte ich das Gefühl, ich konnte damit umgehen, ohne große Konflikte mit mir selbst zu haben und so lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Umgebung. Offenbar war die Zeit viel schneller als erwartet vergangen, während ich mit meinen Gedanken und Überzeugungen gerungen hatte. Mehr als Konturen waren eigentlich weit und breit nicht mehr zu sehen. Die einzige Ausnahme waren merkwürdige, leicht grünliche Lichter, die in jedem Bereich der Insel, auf dem mindestens Gras wuchs, die Hänge bedeckten. Das komische war, dass ich auf meinem gesamten Weg, sowohl Aufstieg, als auch Abstieg, kein einziges Wesen gesehen hatte, das ich mir als Lichtquelle vorstellen konnte. Es waren wohl auch keine Glühwürmchen oder etwas vergleichbares, denn keines der Lichter flog durch die Luft.

Aus irgendwelchen Gründen war jedoch auch um mich herum nichts zu sehen. Als hätte jedes Insekt in der Nähe, oder was auch immer für das Licht verantwortlich war, seine Arbeit eingestellt und wollte mich im Dunkeln tappen lassen. Würde es mir nicht meinen Plan für das Kapitel sprengen, hätte ich eigentlich Lust gehabt, hier sowas wie den Fenris Wolf aus Magnus Chase beziehungsweise Thor Ragnarök einzubauen. Es war jedenfalls das erste, was mir bei den verstummenden Insekten in den Sinn gekommen ist. So ein fünf bis zehn Meter großer Wolf, der sich von hinten anschleicht. Sollte ich mir Sorgen um mich machen?

Die Macht ist mit mir, oder?Where stories live. Discover now