Kap. 105 Gründe

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Arya pov

Wie ich so auf dem Vorsprung hockte, hatte ich tatsächlich mehrere Minuten lang meine Zweifel, warum ich noch so sehr festhielt. Warum ich diese Anstrengung in Kauf nahm. Warum ich all das tat, was ich durchgemacht hatte und noch immer durchmachte. Das letzte Mal hatte ich mir diese Frage vor sieben Jahrzehnten gestellt und damals hatte ich mehr als eine Woche lang kaum ein Auge zu getan, bevor ich endlich eine Erklärung fand, die ich mir selbst glauben konnte. Genau darum ging es nämlich bei dieser Frage. Darum, einen Grund für sich selbst zu finden.

Jetzt hatte ich natürlich keine Woche Zeit. In einer Woche wäre ich verhungert oder vor Schwäche abgerutscht. Erzwingen konnte ich die Antwort allerdings auch nicht. Ich starrte lange in die Ferne, in das weite Grau der Wolken und dachte darüber nach. Ich war mir inzwischen fast sicher, dass es nicht mehr Pflicht war, die mich antrieb. Damals hatte ich daran geglaubt, dass ich eine Aufgabe erledigen konnte, vor der viele zurück schreckten und die sonst nicht erledigt werden würde. Heute jedoch war das nicht mehr das führende Argument. Für alles, was ich tat, gab es viele andere, die mich grundlegend in allen Fähigkeiten übertrafen.

Nichts desto trotz hatte ich mich immer an dem Glauben festgehalten, dass es letztendlich noch immer genau das war, was mich auf den Beinen hielt. Die Pflicht, mein Äußerstes zu geben, um einem Ziel der Allgemeinheit zu helfen, weil es sonst niemand tat. Aber genau an dieser Stelle setzten meine Zweifel an. Gab es wirklich niemanden, der meine Aufgaben aus freien Stücken erledigen würde?

Diese Frage konnte ich mir nicht ehrlich mit ‚Nein' beantworten. Garantiert gab es jemanden, noch dazu mit vermutlich höherer Qualifikation in vielen Bereichen. Meinen Überzeugungen half ich jedoch mit diesen Gedanken ganz und garnicht aus. Ich machte es viel eher noch viel schlimmer.

Ich hoffte, dass ich mit einigen Minuten der Meditation meinen Geist frei bekommen würde. Es war nicht so leicht, wenn man dabei aufpassen musste, nicht abzustürzen, aber davon ließ ich mich nicht aufhalten. Irgendwie gelang es mir, alle Aufmerksamkeit, die ich nicht dem Beobachten meiner eigenen Gedanken zuschrieb, auf mein Gleichgewicht zu richten und es funktionierte irgendwie. Ich befand mich in einer fragilen Balance.

Bilder aus der Vergangenheit schwammen vor meinem inneren Auge auf und ab. Sie begannen noch weit in der Vergangenheit, als ich noch durch das Land reiste um allen unseren Verbündeten Zugang zu dem Drachenei zu gestatten. Immer wieder war es auch damals zu Auseinandersetzungen gekommen und immer wieder hatte ich nicht gezögert und ihnen mit meinen damaligen Begleitern Einhalt geboten.

Dann wurden die Bilder langsam aktueller. Gerieten in Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen. Da war die erste Erinnerung, als ich in Gil'ead aufgewacht war. Ich hatte voller Entsetzen verarbeitet, was vor meiner Verschleppung geschehen war, und ich hatte Rache geschworen. Rache an dem Schatten und dem König. Nach einigen flüchtigen Bildern von meinem ersten Kontakt mit Eragon und wie ich ihn fast umgebracht hätte, sowie dem Moment der Freiheit, als ich in Tronjheim zu mir kam, rief sich mir der erste Moment der Rache ins Gedächtnis. Durza war gefallen und die Hälfte der Rache geschehen. Gleichzeitig hatte ich damals das erste Mal gemerkt, dass ich mir Sorgen um Eragon machte, wie er so verletzt und bewusstlos von Angela behandelt worden war.

Die folgenden Monate liefen vor meinem inneren Auge wieder nur in Schnelldurchlauf ab. Es gab bis zum Abend des Agaetí Blödhren kein einzelnes einprägsames Ereignis mehr. Ich lernte viel Neues, aber dieses Gelernte bildete noch kaum einen Bestandteil in meinem Verhalten. Bei der Blutschwur Zeremonie dann hatte Eragon das erste Mal auf emotionaler Ebene einen Schritt auf mich zu gemacht. Ich war hin und her gerissen gewesen, zwischen Vergangenheit und Zukunft, hatte dann aber die Entscheidung mehr oder weniger aufgeschoben.

Was dann folgte, verstand ich allerdings erst jetzt im Rückblick. Mit jedem verstrichenen Tag konnte ich mehr sehen, wie sich meine Verhaltensmuster, die ich über Jahrzehnte hinweg aufgebaut und eingefleischt hatte, in nichts auflösten. Ich konnte auch ausmachen, woher das rührte. Mein Umfeld hatte sich geändert. Ich war nicht mehr von Elfen, die von Geburt an unsterblich waren, aber trotzdem die Welt erkunden wollten, umgeben. Stattdessen war jeder, mit dem ich es zu tun gehabt hatte, schon einmal mit Sterblichkeit durch Alter konfrontiert gewesen und dementsprechend anders waren ihre Vorstellungen von einem guten Leben.

Die Macht ist mit mir, oder?जहाँ कहानियाँ रहती हैं। अभी खोजें