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Mit einem unterdrückten Gähnen stelle ich Daniel die Tasse hin. Er wohnt ein paar Straßen weiter und kommt viel zu oft vorbei. Hauptsächlich sind es Kontrollbesuche, um zu prüfen, ob ich immer noch masochistisch veranlagt bin. Seine Worte – nicht meine.

Auch heute sitzt er an dem Tisch, der das Wohnzimmer vom Kochbereich abtrennt und visiert den Kamin an. »Wohl wieder 'ne heiße Nacht gehabt, was?«, stellt er mit diesem typisch provokanten Unterton fest, während ich mit dem Rücken an der Küchentheke lehne.

»Nur kein Neid!«

»Wie du vielleicht weißt, habe ich die Liebe meines Lebens bereits gefunden.« Er grinst. Genauso breit wie ich. Manchmal kommt es mir vor, als wäre das ein Spiel zwischen uns. Der, mit dem längeren Atem gewinnt. Leider kämpft er ständig mit unfairen Mitteln. »Dir täte es im Übrigen auch ganz gut, wenn du endlich wieder eine in dein Herz ...«, betont er mit Blick zum Kamin. »... anstatt nur in dein Bett lassen würdest.« So ist er. Immer schön in die gleiche Kerbe hauen, in der Hoffnung, dass das massive Holz endlich nachgibt. Da kann er lange warten.

Mit einem Ruck stoße ich mich ab, gehe zum Kühlschrank und reiße die Tür auf. Durch den Luftzug heben sich die Post-its von dem Metall ab. Obwohl ich die Botschaften darauf schon lange nicht mehr gelesen habe, habe ich Angst davor, dass sie irgendwann verblassen. »Bock auf Omelette?«, frage ich mit dem Kopf im Kühlschrank steckend. Dank Daniels überflüssigen Kommentars dreht sich mir zwar zunehmend der Magen um, aber ich sollte trotzdem etwas essen.

Auch wenn er nichts sagt, greife ich nach ein paar Eiern und schlage sie an der Kante der Schüssel auf.

»Ich will dir wirklich nichts vorschreiben, aber ...«

Durch das Scheppern der Pfanne, die ich aus der Schublade krame, bekomme ich den Rest nicht mehr mit. Es interessiert mich auch nicht. Schön für ihn, wenn er mit Anna den Hauptgewinn gezogen hat. Deshalb brauche ich den ganzen Quatsch noch lange nicht. Ich knalle die Pfanne auf den Herd und schütte die Eimasse hinein.

»Tom, es ist über sechs Jahre her.«

Was er nicht sagt?! Diesen verdammten Tag werde ich wohl nie vergessen!

Ich schnappe nach Luft, obwohl – oder vielleicht gerade weil –  ich das Gefühl habe, zu ersticken. Mein Omelett gleicht einem gelben Massaker, während ich weiter darin herumwühle, in der Hoffnung, dass mein Herz zu einem normalen Takt zurückfindet.

»Sorry, Mann.«

»Wie läuft es sonst so?« Erneut reiße ich den Kühlschrank auf. Ich finde ein paar Tomaten, Paprika und Speck. Dazu nehme ich mir eine Zwiebel und fange an zu schnippeln. Während das Messer im Sekundentakt auf das Holzbrett knallt, seufzt Daniel.

»Die Jungs haben nach dir gefragt. Besonders Samuel. Du kennst ihn ja.«

Ich schnaube und schaffe es gerade noch, die Finger wegzuziehen, bevor sie mit der Klinge Bekanntschaft machen. Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist, dass irgendjemand von ihnen den wahren Grund für meine Abwesenheit erfährt. Sie sollen sich kein falsches Bild von mir machen oder mich gar mit Samthandschuhen anpacken, wie es meine Mutter ständig tut.

»Keine Sorge. Offiziell bist du auf einer Fortbildung«, meint er, während ich den gehackten Kram in die Pfanne gebe.

»Gut.«

Nach einer Weile des Schweigens ist der Rühreimischmasch fertig. Ich habe zwar schon besseres Essen zustande gebracht, aber das muss reichen. Zumal ich sowieso nicht viel runterkriegen werde. Schnell ziehe ich zwei Teller aus dem Schrank und befülle sie. Einen schiebe ich ihm zu und setze mich ebenfalls an den Tisch.

Where Doubts should be silentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt