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Zirka acht Minuten benötigt ein Feuer, um sich zu einem Vollbrand zu entwickeln. Drei Minuten davon bleiben dir, eher die giftigen Rauchgase dich handlungsunfähig machen. Fünf, bis sie Werte erreichen, die lebensbedrohlich sind.

Dinge, die wir theoretisch wissen. Die Praxis sieht vollkommen anders aus.

»Scheiße, Alter! Ich komme mir vor wie ein verdammtes Brathähnchen!«, mault Samuel, während wir uns über die Holztreppe in das oberste Stockwerk kämpfen.

Daniel wirft ihm einen mahnenden Blick zu, kommentiert es aber nicht weiter. Auch er kennt Samuel jetzt schon eine Weile und weiß, wie er tickt. »Beeilung, Männer!« Er ist zwar eine echte Nervensäge, aber ich könnte mir keinen besseren Gruppenführer vorstellen.

Steve sieht das anders. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn Daniel mich rausgeworfen hätte. Er hasst mich. Das hat er mir auf der Fahrt hierher mehr als einmal deutlich gemacht. Freddy, unser Neuzugang – oder auch Frischling, wie die Anwärter gerne genannt werden – hat den Fehler gemacht, uns nach unserer Feuertaufe zu fragen. Leider ist Ben aus Versehen etwas rausgerutscht, was wir seit über zwei Jahren versuchen zu verdrängen. Der eine mit mehr, der andere mit weniger Erfolg. Sofort herrschte eine Totenstille im Truck. Nur Samuel hat es mal wieder nicht kapiert. Wobei ich ihm zu Gute halte, dass er von diesem Vorfall nichts weiß. Jetzt noch sehe ich Steves Blick, als Samuel gefragt hat, wer denn dieser Patrick sei.

Ja. Steve hasst mich wirklich und er hat allen Grund dazu.

Auch wenn ich das an dem Tag, als Emma unverhofft auf der Wache aufgetaucht ist, für einen kurzen Moment ausgeblendet habe. Doch ich wollte nicht, dass er weiter auf ihr herumhackt, nur um sich an mir zu rächen.

Das hat sie nicht verdient.

Bei dem Gedanken, an sie überkommt mich eine Gänsehaut, obwohl wir uns gerade buchstäblich in der Hölle befinden. Bis spät in die Nacht hinein haben wir geschrieben. Seit diesem Abend im Park tun wir das wieder öfter. Diese Hochzeit blende ich nach wie vor aus. Nächstes Jahr im Mai soll sie stattfinden. Das hat sie mir gesagt, nachdem ich sie vor ein paar Tagen in einem Anflug geistiger Umnachtung danach gefragt habe. Mir bleiben also ganze einhundertsechsundfünfzig Tage, an denen ich mir einreden kann, dass es mir überhaupt nichts ausmacht, dass sie einen anderen Mann heiratet. Noch dazu einen, der sie nicht verdient hat.

Ein Kinderspiel.

Ja. Man kann sich alles schön reden, wenn man nur fest genug daran glaubt. Und darin bist du ein wahrer Meister!

Wie so oft ignoriere ich das spöttische Lachen in meinem Kopf und atme stattdessen durch die Maske kontrolliert ein- und aus. Durch das regelmäßige Joggen ist meine Kondition zwar recht gut, aber so praktisch feuerfeste Kleidung auch ist – einen Nachteil hat sie. Sie ist unglaublich schwer. Zusammen mit Sauerstoffflasche, Wärmebildkamera, Werkzeug und Funkgerät können das locker mal dreißig Kilo werden, die wir gerade bis in den vierten Stock schleppen.

Wohnhausbrand hieß es laut der Einsatzanweisung, die uns sofort in Alarmbereitschaft versetzt hat. Selbst Karl, der nicht nur schnarcht wie ein ausgewachsener Grizzly, sondern auch pennt wie ein Bär im Winterschlaf, saß senkrecht im Bett. Vermutlich ist die Ursache eine defekte Leitung. Etwas, dass in dieser Gegend nicht ungewöhnlich ist. Meistens kassieren diese Arschlöcher nur die Kohle, tun aber nichts für die Sicherheit ihrer Mieter. Nicht mal Rauchmelder gibt es. Deshalb waren die Bewohner, die es bereits nach draußen geschafft haben, sich auch sicher, dass hier oben noch Menschen wären.

Oben angekommen empfängt uns eine gespenstige Stille. Nur das Knistern der Flammen ist zu hören, die sich uns vom Flur entgegenstrecken. Dunkler Rauch verteilt sich überall und nimmt uns die Möglichkeit klar sehen zu können. Wir sollten uns beeilen, wenn wir hier noch jemanden lebend finden wollen.

Where Doubts should be silentWhere stories live. Discover now