11 | E M M A

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Früher habe ich mich immer an diesem Ort versteckt. Tja ... So wie es aussieht, hat sich auch das nicht geändert. Mein Blick wandert zu meinen Fingern. Ein Teil meiner Nagelhaut hängt in blutigen Fetzen herum. Ich muss schlucken, als ich an seine Worte denke.

»Bevor du dich weiter aufisst.«

Seitdem ich denken kann, habe ich diese blöde Angewohnheit. So hat es zumindest meine ... wie nennt man so einen Menschen eigentlich? Gut. Lassen wir das. Wo war ich? Ach ja. Nägel kauen. Leider ist es nicht alleine das. Tom hat recht. Ich fresse mich wirklich regelmäßig auf. Vor allem dann, wenn ich mich am liebsten in Luft auflösen würde. Ich kann halt nicht gut mit Komplimenten umgehen, was daran liegen könnte, dass ich nie welche bekommen habe.

Und jetzt? Verstecke ich mich hier wie ein erbärmlicher Feigling.

Ich schrecke hoch, als ich sehe, dass die Klinke runtergedrückt wird, um kurz darauf erleichtert festzustellen, dass ich es trotz meiner Verfassung noch geschafft habe, abzuschließen.

»Emma?« Lucy rüttelt erneut an der Klinke. »Was ist? Steckst du im Klo fest?«, fragt sie und schafft es auch diesmal, mir ein kleines Lächeln auf die Lippen zu zaubern.

»Nein.«

»Ist alles okay bei dir? Du klingst so komisch und Tom meinte, du wärst eben so schnell weg gewesen.«

Mist! Ich hätte es wissen müssen. Bestimmt ist er direkt zu ihr gelaufen. Dabei will ich mich einfach nur in Ruhe in meinem Selbstmitleid suhlen. »Alles gut«, antworte ich und versuche, möglichst fröhlich zu klingen. »Ich ... komme gleich.«

»Okay. Aber beeil dich. Hier draußen ist 'ne Schlange, die ist länger als vorm Beschwerdeschalter der Deutschen Bahn.«

Von draußen höre ich Gemurmel. Na toll! Jetzt denken die auch noch, ich hätte Durchfall oder sonst irgendwelche Verdauungsprobleme. Wie kommt man als Besitzer einer Bar auch bitte schön auf die dämliche Idee, dass eine Toilette reicht? Mein Blick wandert zu dem Fenster an der Wand links neben mir. Definitiv zu klein. Da passe ich mit meinem dicken Hintern nie und nimmer durch.

Kacke.

Ich seufze ausgiebig. Das heißt dann wohl, dass ich da tatsächlich wieder rausmuss. Langsam erhebe ich mich vom Toilettendeckel, um zum Waschbecken zu gehen. Obwohl der Spiegel völlig verschmiert ist, offenbart er mir keine Sekunde später schonungslos die Auswirkungen meines kleinen Gefühlsausbruchs.

»Was ist denn jetzt?«, höre ich draußen jemanden verärgert rufen, so dass ich nicht anders kann als zurückzuschreien.

»Ja verdammt!« Soll sie doch woanders hingehen, wenn sie es so eilig hat!

»Na endlich«, stöhnt die Blondine, nachdem ich die Tür geöffnet habe. Ich erkenne sie sofort wieder. Wie sollte ich auch nicht? Nachdem sie mich vorhin mit ihren Blicken nahezu erdolcht hat. Vor allem, als Tom und ich uns für einen kurzen Moment so nah waren. Ich bilde mir das bestimmt nur ein, aber ich spüre immer noch die Wärme seiner Hand auf meiner Wange.

Auch jetzt sieht sie mich abschätzig an, während sie ihren Hintern, der bestimmt genauso unecht ist wie ihre prallen Brüste, an mir vorbeischiebt. »Hat ja auch lange genug gedauert!«

Blöde Kuh.

Den Blicken der anderen ausweichend, schleiche ich durch den schmalen Gang. Bis zum Barraum stehen sie. Dabei war ich doch gar nicht so lange weg. Oder?

Die Tatsache, dass ich kurz darauf eine böse Überraschung erlebe, spricht eindeutig dagegen. Also nicht, dass Tom das nicht könnte. Dennoch ist es mir unheimlich peinlich, dass er anfängt, Happy Birthday zu singen, als er mich sieht. Dabei klingt es wirklich schön. Kein Wunder bei so einer Stimme. Wie viele Talente hat dieser Mann eigentlich noch? Die Welt ist dermaßen ungerecht! Einige bekommen alles und andere gehen dafür leer aus. Ich glaube, ich muss an dieser Stelle wohl kaum erwähnen, zu welcher Kategorie ich gehöre.

Where Doubts should be silentWhere stories live. Discover now