37 | E M M A

764 71 1.2K
                                    

Wassertropfen treffen auf das Glas und perlen langsam daran ab. Angestrengt verfolge ich jeden Einzelnen. Es beruhigt mich, lenkt mich ab von dem, was mir bevorsteht.

»Keine Sorge, du Angsthase. Die beißen nicht«, meint Tom grinsend, ohne seine Augen von der Straße zu nehmen.

»Ich hab keine Angst.« Ich habe mich wirklich gefreut, dass wir mal wieder etwas unternehmen. Bis zu dem Zeitpunkt, als er mir eröffnet hat, womit er mich diesmal überraschen möchte. »Und ich bin auch kein Angsthase. Nur um das mal klarzustellen«, betone ich und umklammere den Blumenstrauß in meiner Hand. Wenn ich schon an einem Tag, der in Amerika das Familienfest ist, einfach in ein fremdes Haus platze und mich durchfresse, will ich wenigstens nicht mit leeren Händen kommen.

Tom lacht und am liebsten würde ich ihn dafür töten. Dabei bin ich froh, dass er wieder der Alte ist. Gesprochen haben mir über den Vorfall nicht mehr. Ich will ihn nicht bedrängen. Jeder hat seine eigene Art mit Problemen umzugehen und das ist nun mal seine.

»Ist deine Familie eigentlich groß?«

Er verzieht die Lippen. »Ein paar Leute sind es schon, aber sie werden nicht alle da sein.«

»Schön.« Obwohl ich am liebsten schreiend aus dem Fenster springen möchte, lächele ich. Ich kenne diese Menschen doch gar nicht, aber Tom ist ein liebenswerter Mensch. Wieso sollte seine Familie also anders sein? Von wegen der Apfel fällt nicht weit vom Stamm und so.

Kurz darauf verlassen wir den Highway und landen in Claremont vor einem großen Haus mit beiger Holzvertäfelung. Vor allem die Veranda mit Vordach, zu der drei Treppenstufen führen, gibt ihm dem typisch amerikanischen Charme, den ich so mag. In Deutschland sieht man einen Betonklotz nach dem anderen. Auch in Beverly Hills findet diese Bauweise immer mehr Anhänger. Dieses Haus hat eine Seele. Bereits von außen strahlt es Gemütlichkeit aus mit seinen großen weißen Sprossenfenstern und den kleinen Dachgauben.

Tom legt seinen rechten Unterarm hinter die Kopfstütze meines Sitzes und parkt rückwärts vor der Doppelgarage ein. Im Gegensatz zu sonst, trägt er ein hellblaues Hemd zu seiner Bluejeans und den Sneakern. Es steht ihm und sieht auf keinen Fall schnöselig aus. Was daran liegen könnte, dass er es nicht bis oben zugeknöpft und die Ärmel hochgekrempelt hat. Von diesem Tattoo sehe ich allerdings nicht viel außer das Y von Day, dem Wort, was ich ja schon entziffern konnte.

Innerlich seufze ich. Es interessiert mich immer noch, was es damit auf sich hat. Fragen möchte ich ihn jedoch nicht. Schließlich ist mir nicht entgangen, dass wir noch eine Gemeinsamkeit haben.

»Darf ich bitten, Miss?«

Überrascht sehe ich in sein grinsendes Gesicht. Während mein Verstand mich anschreit, dass es noch nicht zu spät ist, um wegzulaufen, hält Tom mir die Tür auf. Noch nie habe ich einen Mann kennengelernt, der so aufmerksam ist, ohne dabei aufdringlich zu sein. Auch wenn ich das Gegenteil behauptet habe – Anstand hat er. Wahrscheinlich war das der verzweifelte Versuch zu kontern, nachdem er mir auf den Kopf zugesagt hat, dass ich - wie war sein Wortlaut gleich? ›Einen Stock im Arsch habe‹. Und ja. Er hat leider nicht ganz unrecht damit.

Ich versuche zwar, dagegen anzukommen, aber die Stimme in meinem Kopf wird von Tag zu Tag lauter. Jene, die mir sagt, dass das Leben an Johns Seite mich verändert hat. Dennoch kann ich nichts daran ändern. Nett lächeln und winken ist eben einfacher, als sich mit dem, was um einen herum schiefläuft, auseinanderzusetzen.

»Sicher«, erwidere ich, ehe ich mich dazu zwinge auszusteigen. Mit zaghaften Schritten folge ich ihm und kralle mich dabei erneut an dem Blumenstrauß fest.

Vor der Tür angekommen, betrachte ich das bunte Schild. Es sieht aus, als wäre es selbstgemacht. Family is where life begins and love never ends. Ein warmes Gefühl überkommt mich, aber auch Neid auf diese perfekte Familie, die ich nicht haben durfte.

Where Doubts should be silentWhere stories live. Discover now