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Elfengleich schreite ich über den roten Teppich. Vorbei an den schönsten Blumen, die ich je gesehen habe. Sie sind schneeweiß. Genauso wie der edle Stoff meines Kleides. Unzählige Pailletten funkeln im Schein des Kronleuchters um die Wette. Im Hintergrund ertönen liebliche Pianoklänge. Sie runden diesen wundervollen Moment perfekt ab, während alle Augen auf mich gerichtet sind. Diesmal ist es mir jedoch nicht unangenehm. Ich fühle mich wohl in meiner Haut. Wie eine Prinzessin, die gleich auf ihren Prinzen trifft, um ...

»Und? Ist es das jetzt endlich?«

Unter einem fürchterlichen Kratzen bleibt die Schallplatte mit dem süßlichen Klang stehen und zerspringt in zwei Teile. Genauso wie das schöne Bild vor meinen Augen, das Lucy und ihre genervte Stimme zunichtegemacht hat.

Aber das Leben ist nun mal kein Disney-Film und ein paar Meter teurer Stoff machen aus Frauen wie mir noch lange keine Prinzessinnen. Misstrauisch gleitet mein Blick an mir herab. Ich strecke den Rücken durch, ziehe den Bauch ein, doch es ist und bleibt einfach hoffnungslos.

Eher eine wandelnde Sahnetorte in Übergröße.

Seufzend lasse ich die Schultern hängen, was Lucys ausgeprägtem Gehör nicht entgeht. »Zeig mal! So schlimm kann es doch ...« Sie reißt den Vorhang auf und starrt mich an. Ob das nun ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, sei mal dahingestellt. »Wow! Fehlt nur noch der richtige Mann und es könnte eine Traumhochzeit werden.«

Nein. Ich werde jetzt nicht mit den Augen rollen und ihr sagen, dass sie sich ihre blöden Kommentare sparen kann. Es würde sie sowieso nicht überzeugen. Also kann ich mir die Luft auch sparen. Sie kann es eben einfach nicht lassen. Trotzdem bin ich froh, dass sie, wider Erwarten, ein paar Tage nach Los Angeles gekommen ist. Gut. Ihr blieb auch nichts anderes übrig, nachdem ich ihr absolut verzweifelt ins Telefon geheult habe, dass ich im Kartoffelsack heiraten müsse, wenn sie mich nicht rettet. Aber das blende ich jetzt einfach mal aus.

Leider ist sie mir bisher keine große Hilfe gewesen. Inzwischen befinden wir uns in der sechsten Brautmoden-Boutique und ich habe immer noch keine Entscheidung treffen können.

Ich drehe mich um meine eigene Achse. »Ich weiß nicht.«, gebe ich unsicher zurück. Zumal ich mich ohnehin nicht auf das Kleid konzentrieren kann, weil diese Stimme in meinem Kopf mich seit Tagen nahezu anschreit.

Du kannst niemandem vertrauen! Wann verstehst du das endlich?!

Dennoch habe ich es getan. Und es fühlte sich unglaublich gut an. Diese Wärme. Sie hat mich komplett eingehüllt wie meine Kuscheldecke früher, sodass ich in der Lage dazu war für einen Augenblick loszulassen. Leider sind dabei Dinge aus meinem Mund gekommen, die ich nicht aussprechen wollte.

Schon gar nicht vor Tom.

Zum Glück habe ich ihm nichts von der Stimme in meinem Kopf erzählt, die mich an diesem Abend noch gnadenloser verfolgt hat. Plötzlich waren da nur ihre harten Worte, die verachtenden Blicke. Nicht etwa die Straße oder der Truck, dem ich in letzter Sekunde ausweichen konnte.

Niemand weiß etwas davon. Nicht einmal Lucy.

»Was ist es diesmal?« Meine beste Freundin ist diejenige, die mich erneut zurück in die Realität holt. Schnaubend verdreht sie die Augen. »Von zu aufreizend, über zu viel Spitze bis hinzu ...« Ihre Stimme wandert eine Oktave höher, während sie die Nase kraus zieht. »... da drin seh ich fett aus, hatten wir ja jetzt alles! Da bleibt ja hoffentlich nicht mehr so viel!« So als wolle sie zu Gott beten, wirft sie zum krönenden Abschluss die Arme in die Luft.

»Vielleicht möchten Sie nochmal eine A-Linie probieren«, schlägt die Brautmodenberaterin vor, die inzwischen ebenfalls am Rande der Verzweiflung steht. Dennoch versucht sie, diplomatisch zu bleiben. »Das würde Ihre Proportionen gekonnter in Szene setzen.«

Where Doubts should be silentWhere stories live. Discover now