Kapitel 58

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Ich stand noch im Bad, als ich es klingeln hörte. Ich war aufgeregt. 
Als ich vorhin an die Situation beim Telefonieren gedacht hatte, war mir ein Gedanke gekommen, der mich beunruhigte. Ich arbeitete seit 10 Jahren mit Andrew zusammen und er hatte gewusst, wo ich wohnte, als wir nach Paris gefahren waren.  Warum sollte er dann nicht auch mein Geburtsdatum kennen? Denn heute war mein Geburtstag. Ich machte nie eine große Sache daraus. Eigentlich hatte ich ihn noch nie richtig gefeiert, wenn man die Geburtstagfeiern ausließ, zu denen ich gezwungen worden war.
Und jetzt hatte ich den Verdacht, dass Andrew wusste, dass ich Geburtstag hatte und aus irgendeinem Grund war mir das unangenehm. 

Ich ging zur Tür und machte Andrew auf.
Doch es stand nicht Andrew vor der Tür, sondern ein Mann in einem Anzug, den ich nicht kannte.
"Gueten Abig, Frau Foss.", sagte er auf Schwyzerdütsch. 
"Wer sind Sie?", fragte ich nicht gerade freundlich.
"Ich habe die Anweisung, sie zum Restaurant zu fahren."
"Also sind Sie ein Chauffeur?"
"Ja, Herr Carter hat mich für den heutigen Abend gebucht, damit keiner von Ihnen beiden Auto fahren muss."
"Okay, warten Sie noch ein paar Sekunden, ich bin gleich soweit.", antwortete ich, während ich schon meine Wohnungstür hinter mir schloss, um mich zu beeilen, fertigzuwerden.

Als ich dann aus meiner Wohnung trat und dem Mann zum gemieteten Auto folgte, entdeckte ich Andrew, der schon im hinteren Teil des Autos saß. 

Der Chauffeur hielt mir die Türe auf und ich stieg hinten ein. Ich lächelte Andrew schüchtern an, weil ich mir nicht sicher war, ob er wusste, dass ich Geburtstag hatte und ob er vielleicht ärgerlich war, dass ich es ihm nicht gesagt hatte. Aber ich war nun mal nicht so der Typ für Geschenke, sich freuen, mit anderen feiern und lächeln. 

Nachdem ich mich angeschnallt hatte, schaute ich aus dem Fenster und vermied es, Andrew anzusehen. Auf einmal spürte ich seine Hand in meiner.

"Hey, Julie. Alles klar? Es ist doch nur ein Essen."
"Ja ja, passt schon. Es ist nur... Ach egal."
"Wenn du jetzt schon angefangen hast, musst du mir aber auch sagen, was du sagen wolltest."
"Es fühlt sich einfach alles nur so unwirklich an. Dass ich dich jetzt kenne. Beziehungsweise besser kenne. Dass ich mich... Dass ich dich mag. Na ja irgendwie ist mein Leben ganz schön auf den Kopf gestellt worden."
"Findest du das jetzt gut oder schlecht?", fragte Andrew vorsichtig nach.
"Gut, weil ich dich jetzt habe, aber es ist einfach noch sehr neu für mich. Das muss ich verarbeiten."
"Ja, das verstehe ich. Trotzdem bin ich mir nicht ganz sicher, was du  mit "Andrew haben" meintest...", ich konnte das Grinsen schon aus seiner Stimme heraushören. 

"Du weißt schon, was ich meine."
"Nein, sag's mir." 
"Hör auf!", lachte ich.
"Mit was denn?", fragte er scheinheilig zurück. Jetzt nervte er aber.
"Andrew!"
"Okay, okay. Ich höre ja auf."

Es war eine Weile still.
Draußen zog die dunkle Landschaft vorbei. Bäume, Häuser, Hochhäuser teilweise hell beleuchtet.
Irgendwo saßen jetzt Menschen und hatten sich gern. Familien, Freunde, Paare.
Und ich saß hier mit Andrew, den ich gern hatte. 
Mit Andrew, den ich liebte.
Wieso konnte ich es ihm nicht jetzt sagen? Ich kannte doch den Ausdruck in seinen Augen. Oder auch diese spielerische Fragerei, die er aber doch ernst meinte und sich eine Antwort von mir erhoffte, die er bis jetzt nie bekommen hatte.

Ich nahm seine Hand in meine. Er schaute mich erstaunt, dann mit einem kleinen Lächeln an.
"Ich möchte dir sagen -."
Die Hupe des Autos unterbrach mich abrupt. Unser Chauffeur legte eine Vollbremsung hin und ich wurde in meinen Gurt gedrückt.
Ich hörte durch die Wand zum Fahrer ein leises Fluchen, dass andere Autofahrer doch gefälligst mal besser auf den Verkehr achten sollten.

Ich sah das als ein Zeichen und beendete meinen Satz nicht. Andrew fragte auch nicht nach.
Als ob er wüsste, dass er mich nicht drängen dürfte. Ja, er wusste es. Dass hatte er mir ja bereits schon einmal gesagt.

Noch hatte Andrew mich nicht nach meinem Geburtstag gefragt, geschweige denn mir gratuliert. Ich sah das als ein gutes Zeichen. Er wusste es also nicht. 

Ein wohliges Gefühl machte sich in mir breit. Einerseits eine Liebe für die Stadt, in der ich lebte und auch dieses neue Gefühl, das ich für Andrew hatte und von dem ich mir sicher war, dass es ebenfalls Liebe war. Vielleicht eine andere Form der Liebe, aber es war Zuneigung pur.

Ich wollte diesen Augenblick erleben, ihn in mir aufsaugen, für immer im Gedächtnis behalten - und dann blieben wir stehen. Wir waren schon am Restaurant angekommen. 

Der Chauffeur öffnete mir die Tür und ich stieg aus. Andrew kam um das Auto herum, um mit mir zusammen das Restaurant zu betreten. Auf einmal nahm er mich bei der Hand. Ich zuckte leicht zusammen. Noch immer war das ein völlig neues Gefühl für mich.

Ein wenig später, wir hatten schon bestellt und die Vorspeise inklusive der Getränke stand auf unserem Tisch, redeten wir über Gott und die Welt.
Ich erzählte von einem "Unfall" in der U-Bahn, als ich einem anderen Fahrgast meinen heißen Kaffee übergeschüttet hatte und er erwiderte darauf, dass das gar nichts im Vergleich zu seinem "Bücherregal-Umsturz" in der Bibliothek wäre, als er sich an ein Bücherregal angelehnt hatte und es umgefallen sei.

Wieder einmal mehr stellte ich fest, dass ich mich so gut mit ihm unterhalten konnte und wir uns wirklich gut ergänzten.

"Wann genau bist du eigentlich in die Schweiz gezogen?"
"Da war ich 21 Jahre alt. Davor war ich aber bereits in Deutschland auf einem Internat."
"Ach ja genau."
"Warum fragst du?"
"Na ja Smalltalk eben. Sonst entsteht hier so eine peinliche Stille und am Ende gratuliere ich dir doch noch zum Geburtstag. Okay, scheiße, das war jetzt echt blöd." Er schlug die Hände vor seinem Gesicht zusammen und stöhnte. 
Er wusste es?! Und jetzt gab er zu, es zu wissen und gratulierte mir nicht einmal?
"Also,", er schaute wieder auf, "Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag. Ich hoffe, dieses Abendessen wird deinen Erwartungen einigermaßen gerecht."
"Meinen Erwartungen gerecht?"
"Ja?"
"Ja, das tut es. Und du hast mich nur eingeladen, um mir zu gratulieren?"
"Unter anderem."
"Unter was?"
"Dass ich dich überzeugen möchte, dass wir zusammengehören."
"Ach ja?"
"Ja."
"Okay." Ich staunte über mich selbst, dass ich ein einfaches "okay" antwortete, schließlich war genau dieses "Zusammengehören" das, wovor ich Angst hatte.

"Okay? In welcherlei Hinsicht? Dass du den Abend magst oder dass wir zusammengehören?"
"Beides.", sagte ich und lächelte ihn an. Dann beugte ich mich zu ihm herüber und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Backe. Ich spürte, dass ich eine Schwelle in mir überschritten hatte, die mir bis jetzt Angst bereitet hatte.

Ich wollte mit Andrew zusammen sein. Wenn das Treffen mit seinen Eltern vorbei war und wenn ich ihm meine gesamte Vergangenheit erzählt hatte. Denn ich brauchte jemanden, der mich verstand. Und ich hoffte, dass es ihm genauso ging. 






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