Kapitel 9

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Er hatte mich geküsst!?
Und wieso gefiel mir das so sehr?
Weil er nett zu dir ist! Der erste Mensch in deinem Leben, der nett zu dir ist. Es ist bereits mehr, als das du ihn nur magst. Du lie...
STOPP!
Das war mein Chef. Nein, Chef klang immer noch so, als würde ich mich irgendjemandem unterordnen und das würde ich nie tun.

Das war doch lächerlich! Als ob ich mehr empfinden würde, als dass mein Körper auf seine Attraktivität reagierte.

Plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel wie er sich versteifte.
Er starrte stur gerade aus. Dann holte er seinen Laptop heraus und fing an, zu arbeiten.
Konnte er das nicht mal im Flugzeug lassen?
Ich hoffte nur, dass er Flugmodus an hatte.

Die restliche Zeit, genau siebenundvierzig Minuten, ich hatte extra auf die Uhr geschaut, sagten wir gar nichts mehr.
Dann mussten wir, nachdem wir gelandet waren, zwei Stunden am Flughafen warten.

Es zog sich ewig hin. Ich hatte mir eine Zeitschrift gekauft und er arbeitete weiterhin an seinem Laptop.
Plötzlich schaute er auf.
„Möchtest du irgendwas zum Trinken haben? Kaffee oder so oder etwas zum Essen?"
Ihm fiel wohl gerade wieder ein, wie sich ein Gentleman verhielt.
„Ich hätte gerne einen Kaffee und ein Croissant."
„Okay, dann bring ich dir das mit. Passt du währenddessen auf meine Sachen auf?"
„Klar mach ich."
Er wirkte irgendwie distanziert.
Auf einmal sah ich, dass er seinen Computer noch angelassen hatte.
Es war eine Datei offen.
Ich wusste, dass ich das nicht machen sollte, doch wie immer beging ich die Dummheit meines Lebens und schaute nach.

Was ich über Juliette weiß:
(Vielleicht finde ich etwas, das ihr hilft.)
• im Büro kalt, abweisend, fies, aber fair (genau das gleiche hat sie gerade auch zu mir gesagt?!)
• mag sie mich? Sie ist nett zu mir...
• sie ist sehr hübsch und sehr schlau
• irgendetwas hat sie mit Paris... wurde sie dort geboren?
• hat sie Probleme in ihrer Vergangenheit? Das würde einiges erklären... (so wie ich sie habe?)
• sie sieht süß aus, wenn sie lächelt (oh Gott, wenn sie das hier mal ließt, bin ich tot)
• ich möchte ihr gerne helfen, aber sie lässt mich nicht an sich ran... (Vergangenheit?)

Auf einmal sah ich aus dem Augenwinkel, wie er auf mich zukam. Schnell klappte ich den Laptop zu und setzte mich aufrecht hin. Oh mein Gott, er war einer von den Männern, die sich solche Listen machten.
Ich blätterte desinteressiert in meiner Zeitschrift.
Er grinste leicht und hielt mir einen Kaffee und ein Hörnchen hin.
Mhhhm lecker!

"Alles klar?", fragte er mich überraschend.
"Ja, alles gut."
Ich musste immerzu an den Moment im Flugzeug denken. Es hatte sich zu gut angefühlt.
Wenn ich wieder Gefühle zulassen würde, dann... dann.
Was wäre eigentlich? Ich hatte den Gedanken nie zu Ende gedacht.

Ich merkte, wie er sich neben mich setzte und mal wieder seinen Laptop rausholte.
Er war wirklich ein Workaholic. Langsam wurde es fast schon komisch.
Ich schaute zu ihm rüber und merkte wie sich sein Kiefer anspannte.
"Is wasch?", fragte ich mit Hörnchen im Mund.
"Erstens: Man spricht nicht mit vollem Mund und zweitens: So redet man nicht mit seinem Boss."
Oookay... irgendwas stimmte nicht. Er hatte seine kalte Maske aufgesetzt, wobei ich mir nicht mal sicher war, ob ich ihn ohne irgendeine Maske schon mal gesehen hatte.
Doch die kalte war zweifelsohne seine liebste. Ich meinte, er trug sie ja jeden Tag im Büro.
"Verstanden. Nur eine Frage hätte ich noch:", sagte ich und wechselte auf meine unnahbare Seite. Ich hatte irgendwie gedacht, dass er nett war, vielleicht sogar etwas wie Verständnis für mich hatte. Ich hätte mich ihm vielleicht sogar anvertraut.
War ja klar gewesen, dass er wie alle anderen war. Ich hätte es wissen müssen! Wieso fiel ich immer auf solche Menschen rein.
Meine Eltern sprachen von Liebe. Die gab es bei mir nicht. Nicht mehr.
"Nein, ich habe jetzt keine Zeit!", fiel er mir ins Wort. Auch gut.
Was fiel diesem... diesem dummen, dummen Boss eigentlich ein?
In mir lud sich etwas auf.
Wut, Hass, Enttäuschung, Trauer und noch etwas, das ich nicht identifizieren konnte.
"Was erlauben Sie sich eigentlich?", brauste ich auf. Warum ich wieder zum Sie gewechselt hatte, wusste ich auch nicht so genau.
Seit wann ließ ich mich denn zu Wutausbrüchen hinreißen?!
"Was sollte ich mir denn erlauben?", stellte er die Gegenfrage.
"Ein bisschen Erholung, ein bisschen stressfreie Zeit, ein bisschen netter sein. Sie vergraben sich in Ihnen drin, dabei sind Sie richtig kaputt. Sie denken, Sie sind der beste in allem, können mit mir reden, als wäre ich nur eine Angestellte. Dann auf einmal werden sie nach 10 Jahren emotional und küssen mich. Dann nach weniger als drei Stunden verschließen Sie sich wieder. Was ist los? Sie sind eine Belästigung. Dabei haben Sie Angst. Angst, dass ihre Maske verrutschen könnte oder jemand sieht, wie zerbrechlich Sie eigentlich sind. Sie verstehen mich nicht! Sie wollen nur niemanden an sich heranlassen, weil sie Angst haben, dass Sie eine Last sind. Und das sind Sie auch! Denn wer würde sich freiwillig mit jemandem wie Ihnen abgeben. Richtig! Keiner! Sie sind eine Last, zu schwer für jeden. Sie sind verletzt, doch niemand wird Sie je heilen können. Ich denke, dass Sie immer alleine bleiben werden. So ganz alleine. Sie sind herrisch, arrogant, egozentrisch und ach mir fallen zu viele Wörter ein. Sie sind...", dabei beugte ich mich zu seiner Ohr und flüsterte ganz leise, jedoch mit viel Nachdruck. "ein Arschloch."

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