Kapitel 52

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Ich hatte Stunden auf meiner Couch gelegen und mehrere tausend Taschentücher verbraucht.
Meine Augen waren geschwollen und mein Kopf pochte unablässig.
So hatte ich mir meinen 23. Dezember nicht vorgestellt.
Doch Andrew war bis jetzt nicht an sein Handy gegangen und als ich angefangen hatte, zu weinen wollte ich auch nicht schluchzend bei ihm das Missverständnis aufklären. Das war mir dann doch zu blöd.

Inzwischen war es früher Nachmittag und ich war todunglücklich.
Doch anscheinend erinnerte sich mein Körper daran wie ich früher mit solchen Situationen umgegangen war und ich rappelte mich auf.
Als erstes ging ich den Baum holen, auf den ich aber jetzt überhaupt keine Lust mehr hatte und danach, als ich wieder zuhause war, rollte ich ihn in eine Ecke und zog mir Sportklamotten an.

Ich zog mir ein Stirnband über, steckte meinen Schlüssel ein und machte mich auf den Weg, einen einsamen, verlassenen Weg entlang zu joggen, um den Kopf ein wenig frei zu bekommen  und meinen Ärger und meine Traurigkeit, die irgendwie neu für mich war, zu vergessen. Ich war mir aber sicher, dass das nicht passieren würde.

Ich joggte recht schnell und einige Leute sahen mich verwundert an, weil ich noch so rot vom weinen war. Irgendetwas musste passiert sein, dass man es auf einmal so sah, wenn ich geweint hatte.
Da ich, bevor ich Andrew kennengelernt hatte, regelmäßig joggen gegangen war und dann aufgehört hatte, fühlte ich, dass mein Körper längst nicht mehr so fit war. Ich nahm mir vor, wieder häufiger Sport zu treiben.
Es war schon ein wenig dunkel, obwohl es erst kurz vor halb vier war und der Park durch den ich lief, machte einen leicht unheimlichen Eindruck auf mich.
Trotzdem trieb ich mich an, nicht umzukehren, denn ich musste meine Trauer und meine Wut auf Andrew loswerden und davon war ich noch meilenweit entfernt.

Als es dann schon so dunkel war, dass ich nur noch mit Mühe den Weg sehen konnte, beschloss ich nach Hause zurück zu joggen. Tatsächlich mochte ich es nicht, bei Dunkelheit draußen zu sein und so war ich auf dem Rückweg 15 Minuten schneller, als ich gedacht hatte.

Zuhause angekommen hatte ich überhaupt keine Lust auf irgendetwas und legte mich auf die Couch. 
Doch wenig später trieb mich mein knurrender Magen ans Telefon und ich bestellte mir Tailändisch. Eines meiner Lieblingsgerichte war das grüne Curry und ich freute mich, als die Frau am anderen Ende der Leitung mir mitteilte, dass ich es in 10 Minuten abholen könne.
Ich setzte mich in mein Auto und fuhr sofort los, denn auch mit wenig Verkehr dauerte die Strecke zum Restaurant ein bisschen länger als eine Viertelstunde. 

Ich muss wohl ein bisschen unfreundlich gewesen sein, als ich meine fertig gepackte Tasche im Restaurant abholte, denn die Frau sah mich entgeistert an und als sie ein wenig später zu ihrer Kollegin hinüber ging, um mir mein Wechselgeld zu bringen, flüsterten sie miteinander und zeigten auf mich. Ein seeeeehr angenehmes Gefühl, das mich nur zu gut an meine Zeit bevor ich Andrew kennengelernt hatte, erinnerte, als an jeder Ecke im Büro über mich geflüstert wurde.
Ich schüttelte mich, um diese unangenehmen Erinnerungen loszuwerden und nahm mein Geld entgegen.
Natürlich konnte ich mir schließlich einen Kommentar doch nicht verkneifen, obwohl ich doch inzwischen ganz genau wusste, dass es nichts brachte, zu schimpfen.

"Haben Sie schon einmal was davon gehört, nicht über andere zu lästern?"
"Natürlich.", antwortete sie mit einer Selbstverständlichkeit, die das gerade Geschehene noch gemeiner machte.
"Dann können Sie es ja auch unterlassen."
"Wie kann man etwas unterlassen, wenn man es noch nie getan hat."
"Jeder hat es schon einmal getan. Lügen Sie sich doch nicht in die eigene Tasche."
Ich wusste auch nicht warum ich hier gerade einen Streit anfing, doch ich war vermutlich durch die Situation mit Andrew so aufgeladen, dass ich einfach den nächstbesten Menschen mit dem ich Kontakt gehabt hatte, als Streitpartner genommen hatte.
"Wenn Sie von sich sprechen kann ich mir schon ganz gut vorstellen, die Sie eine Lästertante sind, schon allein dadurch, dass Sie unverschämt zu mir sind, aber ob Sie es mir glauben oder nicht, ich habe nichts schlechtes über Sie gesagt.", versuchte die Frau mit ruhigen Worten unseren Streit zu beenden. Doch ich dachte gar nicht daran.

"Lästertante nennen Sie mich also? Da habe ich aber einen weitaus besseren Namen für Sie: Gewitterziege.", haute ich mein Schimpfwort heraus, das ich mir für ganz besondere Anlässe aufgespart hatte.
"Heulsuse!"
"Wenn Sie so weiter machen, nehme ich mein Trinkgeld wieder zurück."
"Das können Sie so oder so haben, von einer wie Ihnen nehme ich nichts an."
"Her damit."

Sie schmiss das Geld auf die Theke, dass es in alle Richtungen davonkullerte.
"Bitteschön."
"Das können Sie jetzt einsammeln."
"Warum denn ich, ist doch Ihr Geld, ich kann doch nichts für Ihre Schusseligkeit."
"Das reicht!", schnaubte ich und schmiss mein Curry auf den Boden. Es spritze aus dem Plastikbeute in alle Richtungen. 
"Wischen Sie das sofort auf!", schrie die Frau mich an.
"Ich kann doch nichts für ihre Schusseligkeit!", antwortete ich.

Da schnappte sie sich einen Kochlöffel und warf ihn nach mir."
"Was erlauben Sie sich eigentlich? Sie dumme Kuh."
Ich hob den Kochlöffel auf, der nur knapp mein Ohr verfehlt hatte und warf ihn zurück.
"Es knallte und der Kochlöffel fegte eine Salzstreuer aus Porzellan von der Theke.
"Na warten Sie, Sie Biest."

Sie zog sich ihren Schuh vom Fuß und schleuderte ihn auf mich. Ekelhafterweise erwischte er mich an der Backe und ich fluchte, weil es brannte. Der Absatz hatte meine Wange aufgeschürft.
Ich musste wohl recht laut geflucht haben, denn er Küchenchef kam angerannt und trennte uns.
Als er das Curry am Boden sah, nahm sein Gesicht einen wütenden Ausdruck an.
"Wer hat diese Sauerei hier veranstaltet?!", schrie er uns an.
"Die!", antworteten wir beide gleichzeitig und zeigten auf die jeweils andere.
"Was erlauben Sie sich eigentlich?", schrie die Frau mich an. 
"Bekomme ich ein neues Curry? Ich habe schließlich schon bezahlt und es muss wohl irgendwie heruntergefallen sein.", erwiderte ich, denn in diesem Moment betrat ein anderer Kunde das Restaurant und irgendwie war es mir jetzt doch peinlich, eine solche Szene gemacht zu haben.

"Irgendwie heruntergefallen sein?", keifte die Frau.
"Ja, bitte können wir diesen Vorfall jetzt vergessen, da ich noch einige Sachen zu erledigen habe und so kurz vor Weihnachten wollen wir doch keinen Streit", versuchte ich es noch einmal etwas diplomatischer.
"Ich bin nicht gläubig!", antwortete sie.
Jetzt sprach ihr vermeintlicher Chef beruhigend auf sie ein, während ein anderer Küchengehilfe mir ein neues Curry brachte. Das war schnell gegangen.
"Verlassen Sie bitte unser Restaurant.", sagte der Chef zu mir und ich machte mich auf dem schnellsten Weg aus dem Staub. Solche Konversationen hatte ich früher oft geführt und sie hatten mir nie etwas ausgemacht, doch heute spürte ich ein so großes Unwohlsein, dass ich mich in die nächste Hecke übergab, nachdem ich das Restaurant verlassen hatte. 



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