Kapitel 46

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Die Woche war recht gut verlaufen und Andrew hatte ich nicht mehr gesichtet.
Auch wenn ich mir heimlich in meinen Kaffeepausen einen Blick zu seiner Tür gönnte, die im unteren Teil aus Glas bestand und man ihn somit, wenn er gerade an seinem Schrank stand, was er für gewöhnlich tat, wenn er telefonierte, sehen konnte.
Ja, natürlich wusste ich, dass er immer am Schrank stand.

Doch ich hatte nur einmal flüchtig seine schwarzen Lackschuhe vorbeilaufen sehen – in Richtung Tür und hatte mich somit schnell aus dem Staub gemacht. Auf ein Gespräch konnte ich nach wie vor verzichten.

An diesem Montagmorgen war ich dementsprechend nicht sonderlich schlecht gelaunt, da sich alle meine Probleme rund um das Wortfeld Arbeit letzte Woche gelöst hatten und keine Dokumente auf meinem Schreibtisch warteten, dass sie bearbeitet wurden. Zumindest in diesem Moment noch nicht.

Ich war immer noch nicht mit dem Aufzug gutgestellt und nahm daher die Treppe, was bei 16 Stockwerken einem Marathon glich.

Oben angekommen ging ich den Gang hinunter und sperrte mein Büro auf. Mit einem kurzen Blick in Andrews Büro bemerkte ich, dass er schon da war und gerade telefonierte.
Ich musste mir wirklich abgewöhnen, immer zu checken, ob er bereits anwesend war oder nicht. Das grenzte ja an Stalking.

Irgendwann war es dann Zeit, eine Stunde Mittagspause zu machen.
Ich erinnerte mich an das Café, in dem ich unbedingt noch den Marillen Kuchen probieren wollte. Oder war es Aprikose gewesen? Ganz sicher war ich mir nicht mehr.

Jedenfalls machte ich mich auf den Weg, um noch einen Platz zu bekommen, ich erinnerte mich nur noch zu gut daran, dass es beim letzten Mal ziemlich voll gewesen war.

Als ich das Café betrat, wurde ich wie von selbst ruhiger. Die Atmosphäre war angenehm und entspannend, und das obwohl es wieder einmal brechend voll war.
Nur im hinteren Eck entdeckte ich einen freien Zweiertisch. Perfekt.

Ich setzte mich und bestellte mir erst noch einen Cappuccino.
Dann sah ich neben mir eine Zeitung, in der ein Artikel über die Bergwelt der Schweiz abgedruckt war.
Er interessierte mich und ich schnappte mir die Zeitung, bevor mir jemand zuvorkommen konnte.
Ich lehnte mich zurück und verfolgte den spannenden Bericht eines Redakteurs, dessen Namen ich mir für die Zukunft merken wollte, weil sein sachlicher aber durchaus auch humorvoller Stil mich direkt packte.

Darum merkte ich auch erst gar nicht, dass sich jemand zu mir an den Tisch gesetzt hatte. 
Als ich dann hinter der Zeitung hervorlugte, um zu sehen, wer es war, verschlug es mir doch tatsächlich die Sprache.
Natürlich Andrew. Mein ohnehin schon filmreifes Leben wurde gerade noch filmreifer.

"Oh, Juliette, du sitzt hier." Er klang erstaunt, anscheinend hatte er mich hinter meiner Zeitung nicht erkannt. Ich bezweifelte, dass er sich sonst hierher gesetzt hätte.

"Ja, du hättest ja mal nachfragen können ob hier noch frei ist.", fing ich unser Gespräch mal wieder mit genau den richtigen Worten an. Innerlich klatschte ich mir gegen die Stirn. Ich sollte einfach leise sein und ihn nicht beachten.
Wenn das mal so einfach gewesen wäre.
Immerhin regten sich bestimmte Körperregionen bei seinem Anblick, nachdem ich ihn fast zwei Wochen kaum gesehen hatte.
Mist, ich spürte wie sich eine Hitze in mir ausbreitete.

"Okay, soll ich wieder gehen?", riss er mich aus meinen Gedanken.
"Nein, ist schon okay."
Er sah mich erstaunt an.
"Ja?"
"Ja."

Ich winkte die Bedienung herbei und bestellte mir einen - inzwischen war es mir auch wieder eingefallen – Marillen Kuchen.
Andrew studierte noch die Speisekarte und entschied sich dann für einen Topfenstrudel.
"Kommt sofort. Ich will euch beide ja nicht warten lassen." Die Bedienung zwinkerte uns zu.
"Wir sind nicht..."
Doch sie war bereits hinter einigen Tischen verschwunden.

"Und du kommst mit deiner zweiten Rolle in der Finanzabteilung zurecht?"
Nein, musste er jetzt unbedingt Smalltalk beginnen?
"Ja, es sind ja schließlich keine Beschwerden bei dir eingetroffen."
Mist, ich klang schon wieder beleidigt. Naja, war ich ja auch.

"Und das neue Büro passt?"
"Ja, aber warum musste ich eigentlich umziehen? Es hat die letzten zehn Jahre doch so auch so gepasst..."
"Ich dachte, es wäre besser, wenn man sich schneller absprechen könnte."

Sein Argument klang zwar plausibel, doch irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass er in meiner Nähe sein wollte. Sozusagen um mich im Auge zu behalten und ehe ich mich versah, hatte ich es auch schon ausgesprochen.
"Doch nicht etwa wegen mir?"
"Wieso sollte ich so etwas wegen dir tun?"
Autsch, das hatte gesessen.
"Naja, vielleicht willst du mich ja zurück."

Was tat ich denn da?! Ich verbockte am Ende noch alles, wegen ein paar Kommentaren, die meinen Mund unvorsichtig verlassen hatte.

"Jetzt nicht mehr. Du hast mir zu verstehen gegeben, dass es ein uns zwischen uns nicht mehr geben wird."
"Habe ich das?"
"Ja."
Daran konnte ich mich aber nicht erinnern.
Ich wusste nur, dass ich ihm seine zweite Chance verwehrt hatte.

"Vielleicht revidiere ich meine Aussage ja wieder. Auch wenn ich der festen Überzeugung bin, nichts dergleichen gesagt zu haben."
Obwohl das mit der zweiten Chance dem schon sehr nahekam. Ich war aber zu stolz, um das zuzugeben.

"Ach ja, woher der plötzliche Gesinnungswandel?"
"Ich habe telefoniert."
"Mit Julien? Oder deiner Tante"

Oh verdammt! Woher wusste er das?!
"Woher...?"
"Juliette, mir bleibt nichts verborgen. glaubst du, ich wäre sonst der Chef dieses Verlags?"
"Aber..."
"Nichts aber", schnitt er mir das Wort ab.
"Du hast mir nicht gesagt, wo du die Nacht, nachdem...", er hüstelte, "verbracht hast und ich habe Recherchen angestellt. Ich wusste gar nicht, dass ihr neuerdings beste Freunde seid."
Seine Stimme klang gehässig und ein wenig eifersüchtig, doch das eifersüchtig konnte ich mir auch nur eingebildet haben.

"Wir sind jetzt Freunde oder zumindest auf einem guten Weg dahin und ja ich habe mit ihm geschlafen und nein, ich bin nicht in ihn verliebt und nein, ich werde das nicht wiederholen."

"Du hast..." Ihm fehlten offensichtlich die Worte. Das hatte er wohl nicht gewusst. Oder nur geahnt.
Sein Gesicht verfinsterte sich.
"Und von mir erwartest du Ehrlichkeit?"
"Ich konnte bisher kein vernünftiges Gespräch mit dir führen. Apropos, was macht eigentlich deine Ex-Verlobte gerade, nachdem sie mir nicht mehr nachspioniert?"

Er schwieg und nach einer Minute erwartete ich keine Antwort mehr, doch überraschender Weise antwortete er doch noch.
"Tut mir leid. Und sie lebt jetzt in San Francisco."
"In den USA? Wie ist sie denn da draufgekommen?"
"Dort hat sie wohl die Jahre, in denen ich sie nicht gesehen habe, verbracht. Es hat sich herausgestellt, dass Clara große Schulden gemacht hat und Geld brauchte und da hat sie sich doch direkt an unsere Verlobung erinnert."
Er klang nicht mehr gehässig, sondern einfach nur noch sachlich. Jetzt, wo er gerade von sich erzählte, packte ich die Gelegenheit beim Schopf.

"Und wie hat sie deine "Trennung" von ihr aufgenommen?"
"Ich bin mir nicht sicher. Sie ist direkt abgezogen und hat noch etwas wie "Geizkragen und Schlampe", weil ich sie ja betrogen hätte gerufen, dann war fort und das bleibt sie hoffentlich auch für immer."

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