Kapitel 45

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Nach weiteren fünf Minuten setzte sich der Fahrstuhl endlich wieder in Bewegung. Das Licht ging an und man merkte Andrew deutlich die Erleichterung an.
Auch ich war ziemlich erleichtert. Ich hatte mal in der Zeitung einen Bericht über die Fahrgäste einer S-Bahn gelesen, die zwei Stunden im Untergrund festsaßen, weil es einen Stromausfall gegeben hatte.

Als der Fahrstuhl dann im sechzehnten und somit obersten Stockwerk hielt, stiegen wir aus und Andrew meinte noch: "Das Büro kannst du dir aussuchen, es sei denn, Herr Anderson ist schon da. Beide sind eingerichtet, du musst noch deine Sachen umräumen. Das kannst du jetzt machen."
"Ich weiß durchaus wie ein Büroumzug funktioniert.", antwortete ich bissig.
Ich war immer noch sauer. Ach  ja und jetzt duzte er mich wohl wieder. Ich hatte doch schon vorher gewusst, dass es eine unnötige Sache war.

Andrew verschwand am Ende des Ganges.
Sein Büro war das rechte in der letzten Reihe und hatte somit den schönsten Ausblick auf Zürich.
Es gab noch ein freies Büro direkt gegenüber von seinem oder eins davor in der rechten Reihe.
Zunächst lugte ich in das gegenüber von ihm, weil mich das spontan mehr ansprach.

Es war ganz hübsch eingerichtet.
Ein Schreibtisch mit vielen Schubladen und einem kleinen Beistelltisch. Daneben noch eine Ecke, in der eine Couch und zwei Sessel standen.
Obwohl ich mich quasi schon für dieses Zimmer entschieden hatte, schaute ich noch in das andere, was mich nur noch bestärkte, das gegenüber von Andrew zu nehmen.

Ich ging wieder hinunter in mein Stockwerk, denn ich wollte nicht auf den Aufzug warten, von dem angezeigt wurde, dass er sich gerade in der Tiefgarage befand. Außerdem würde ich mich in nächster Zeit ganz generell von Aufzügen fernhalten.
Als ich dann in meinem Büro angekommen war, packte ich alles zusammen, was ich für notwendig hielt. Den Rest würden mir später Rob und Lucy bringen.

Wieder in meinem neuen Büro angekommen, ließ ich mich erst einmal auf meinen Schreibtischstuhl fallen.
Durch das große Fenster konnte man ganz wunderbar die Stadt beobachten. Das liebte ich.
Neuerdings.

Erwähnenswertes passierte an diesem Tag nicht mehr so viel, der Halt im Aufzug konnte auch ruhig noch für die nächsten Tage reichen, denn so etwas musste sich nicht unbedingt wiederholen.
Außerdem hatte mich das Gespräch mit Andrew angestrengt.
Ich wollte ihm unbedingt böse sein und ihn hassen, doch je mehr ich über meine Situation nachdachte und natürlich auch über ihn, wusste ich, dass ich es vielleicht doch irgendwann noch einmal versuchen wollen würde.
Ich wollte ihn richtig kennenlernen und ihm zeigen, dass ich ein anderer Mensch geworden war - durch ihn!
Ach keine Ahnung. Ich konnte es auch nicht richtig erklären...
Ich wusste nicht, was das zwischen mir und Andrew gewesen war, in diesen zwei Wochen, die mir wie Jahre vorgekommen waren, doch auch wenn ich mit ihm Schluss gemacht hatte, weil er eine Verlobte, es fiel mir immer noch unglaublich schwer, das zu begreifen, gehabt hatte, wollte ich ihn immer noch.

Ich seufzte, wer wusste schon, ob ich jetzt noch eine zweite Chance bekam.
Außerdem war ich nicht mehr der Typ, der einfach befahl und dann bekam, was er wollte.
Diese Zeit hatte ich definitiv hinter mir gelassen.

Ich beschloss, diesen Abend mal mit Élo zu telefonieren und sie um ihren Rat zu fragen, den sie doch bestimmt, nachdem sie sich in der Vergangenheit als weise, um es poetisch ausdrücken, erwiesen hatte, hatte.

Um circa sieben Uhr abends kam ich erschöpft von der Arbeit nach Hause. Die neue Stellung war doch ganz schön viel Arbeit und einfach noch eine Abteilung mehr, auf die man achten musste und die man zurechtweisen musste.

Nachdem ich etwas gegessen hatte, wählte ich Élos Nummer und rief sie an.
Ich konnte mir bildlich vorstellen wie sie jetzt zu ihrem Telefon ging, das in einer Wand Niesche stand und aussah, als käme es aus dem 18. Jahrhundert, wobei ich mir nicht ganz sicher war, wann es überhaupt das erste Telefon gegeben hatte.

Kurz darauf meldete sie sich auch schon.
"Allô."
"Hier ist Julie. Ich dachte mir, ich rufe dich mal an, um um einen deiner gefragten Ratschläge zu bitten."
"Bien sûr."
"Ach rede doch bitte auf Deutsch mit mir, ich bin nicht mehr so fit in Französisch."
"Ein weiterer Grund, französisch zu reden. Commence, s'il te plaît."
"Na toll, aber nur weil es wirklich dringend ist."

Und ich begann, ihr alles zu schildern, ohne auch nur irgendetwas auszulassen, wenn dann, dann war es unabsichtlich.

Zwei Stunden später und wenigstens ein bisschen schlauer, legte ich auf.
Élo hatte mich darin bestärkt, ihn kennenlernen zu wollen und zwar richtig, dem ganzen aber noch etwas Zeit zu geben und vor allem meine Wut, die ich noch hatte, ja auch wenn man jemanden mochte, konnte man wütend auf ihn oder sie sein, erst einmal loszuwerden.

So konnte ich dann doch recht schnell einschlafen, ohne noch etliche Stunden herumzugrübeln, was in einem Fall wie mir jetzt wohl die beste Lösung sei.

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