Kapitel 8

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Es klingelte.
Andrew?!
Ich fuhr mir mit meiner Hand über das Gesicht.
Dann ging ich mit schweren Schritten zur Tür.
Er grinste mich an. Sah irgendwie glücklich aus.
Dann erlosch das schöne Lächeln und es wich einer Besorgtheit.
"Hallo, ich hoffe, du bist bereit für unser kleines Abenteuer. Geht's dir gut?"
"Hi, ich hole nur meinen Koffer uns dann kann es losgehen. Mir geht's prima"
Selbst ich erkannte, dass ich gelogen hatte. Seit wann log ich denn so schlecht?

Ich trat aus meiner Wohnung mit dem Koffer in der Hand, in einer Bluse und einem Rock. Mit einer leichten Jacke darüber. Über dem Arm hing meine Handtasche, in der ein weißes Couvert lag.
Er hielt mir die Autotür auf.
Dann ging er einmal um das Auto herum und setzte sich ans Steuer.
Der Weg zum Flughafen war verschwiegen.
Doch kurz bevor wir ankamen brach Andrew das Schweigen.
"Hey Juliette, bitte sag mir, was mit dir ist! Ich kann nicht mit dir auf eine Reise gehen, wenn du dich nicht freust."
"Du hast gedacht, ich würde mich freuen?"
"Ja, das dachte ich.", antwortete er mir mit mehr Nachdruck, als ich erwartet hätte.
"Bitte sag es mir."

Mir fiel eine einzelne Träne von der Wange.
Seit wann weinte ich denn in der Gegenwart von anderen, doch diese Frage musste ich mir bei Andrew eigentlich nicht mehr stellen.
"Heeey.", seine Stimme war weich.
"Du kannst es mir sagen, wirklich. Ich sage es nicht weiter."

Genau in dem Moment waren wir am Flughafen angekommen und ich stieg schnell aus. Nicht, dass ich wirklich auf die Idee kommen würde, es ihm zu erzählen.
Denn er würde es eh nur für seine Zwecke missbrauchen.
So wie es alle bisher getan hatten, denen ich irgendetwas von mir  erzählt hatte.
Wäre es wirklich so schlimm, wenn er es wüsste? Vertrau ihm!, sagte eine Stimme in meinem Kopf.
Ich wollte schon nachgeben, da merkte ich, dass ich meinen Koffer gar nicht zog.
Ich drehte mich um und sah Andrew, der meinen zog.
"Merc... Danke ich nehme ihn schon."
Wieso hatte ich Merci sagen wollen? Das war doch ewig her.
"Nein, das ist überhaupt keine Last für mich. Sag mir, was mit dir los ist, dann bekommst du ihn."
"Okay.", flüsterte ich.
"Und ich sage das dir nicht, weil ich meinen Koffer bekommen möchte. Im Flugzeug."
Er sah mich an und ein warmes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Das Lächeln sah gut an ihm aus. Er sah jünger aus.

Bitte begeben Sie sich zum Gate K 22, der Flug nach Paris über Mailand steht bereit.
Langsam wurde es ernst.
Wir bewegten uns langsam zum Schalter hin.
Er hielt unsere Bordkarten hin und wir gingen ins Flugzeug. Die Maschine hatte drei zweier-Reihen. Wir hatten zwei Plätze am Fenster.

Er verstaute unser Handgepäck und wir schnallten uns an.
Ich atmete tief durch.
Vertrauen.
Ich würde meine Eltern nicht enttäuschen. Ich hatte sie nie enttäuscht.
Wir sind bei dir, wir sind bei dir, wir sind ...
Ich hatte ihre Stimmen im Kopf, auch wenn ich sie nie gehört hatte.

Eine heiße Träne tropfte von meiner Wange auf meine Bluse und hinterließ einen kleinen, nassen Fleck.
Ich hatte den Fensterplatz.
Ich sah aus dem Fenster.
Nach Paris.
„Juliette? Schau mich bitte an."
Er hatte das Wort bitte in meiner Gegenwart benutzt. Aber ich hatte schon länger den Verdacht, dass er alles hinter seiner Maske versteckte.
Ich sah zu ihm hin.
Verschwommen. Es sammelten sich Tränen an meinen Wimpern.
Auf einmal zog er mich in eine Umarmung. In eine richtige.
Er flüsterte an meinem Ohr.
„Lass mich dich glücklich machen." 
Was war das denn jetzt?! Er kannte mich doch nicht einmal.
Doch er roch so gut und ich fühlte mich geborgen.
Ich kuschelte mich enger an ihn.
Sog seinen Duft ein.
Irgendwann lachte er leise an meinem Ohr.
„Wenn du mich weiter so umarmst, dann erdrückst du mich noch."
Sein Atem kitzelte mich. Meine Nackenhaare stellten sich auf, was er zweifellos sehen konnte.
Kuschelte ich gerade mit meinem Chef?!
Oh Gott, das war peinlich.
Aber soo gut!

„Ich möchte dir gerne helfen.", sagte er auf einmal.
„Das kannst du nicht.", flüsterte ich.
„Warum sollte ich es nicht können?", erwiderte er.
„Weil ich, weil ich...", meine Stimme brach.
„Heey... ich würde dir aber gerne helfen."
„Du bist mein Chef!"
„Nur fast. Denn die gehört die Firma immerhin auch zu 1/3."
„Ich möchte noch eine Sache von dir wissen."
„Klar was?", erleichtert, dass ich nicht mehr so sentimental war, lächelte er mich aufmunternd an.
„Das soll jetzt keine Beleidigung, nichts dergleichen sein. Lediglich eine Feststellung.
Du bis in der Arbeit kalt, abweisend, streng und fies, doch fair.
Wieso bist du es zu mir nicht?"
„Ich...", er taufte sich die Haare, was super süß war. Süß?!
Ich hatte definitiv einen an der Klatsche.
„Weil ich das bei dir nicht kann. Du bist anders. Ein bisschen wie ich eigentlich."
Den letzten Satz hatte er so leise gesprochen, dass ich ihn fast nicht gehört hatte.
Und ich war mir auch sicher, dass ich ihn eigentlich nicht hatte hören sollen.

Ich hatte meinen Arm auf der Armlehne abgelegt. Die letzten 10 Minuten hatte keiner von uns etwas gesagt.
Es war keine bedrückende Stille, doch sie war belastet. Von meiner Vergangenheit und dem, was er erlebt hatte. Denn ich war mir sicher, da gab es etwas, das ihn so gemacht hatte wie er es jetzt war.
Plötzlich berührten seine Finger meine und meine gesamte Hand fing an, zu kribbeln. Ich zuckte kurz zusammen und wollte sie schon wegziehen, als er plötzlich seine Finger mit meinen verschränkte.
Er hielt meine Hand ganz fest.
„Juliette, denk an etwas schönes. Eine Blumenwiese, einen schönen Ort, an dem du mal warst, jemanden, den du gern hast, ein schönes Erlebnis. Ich möchte, dass du glücklich bist, wenn wir zusammen auf einer Reise sind."
Ich dachte an eine Blumenwiese und ich wunderte mich selbst, dass ich es tat, denn es war ewig her, dass ich etwas schönes erlebt hatte.
Hatte ich je etwas schönes erlebt?
Ich lächelte leicht und schloss die Augen.
Er hielt meine Hand und das fühlte sich so wunderbar an.
„Du solltest öfter lächeln, Juliette.
Ein Lächeln steht dir.", flüsterte er mir ins Ohr, bevor er mir einen sanften Kuss auf die Wange gab.
Komisch, genau das hatte ich vorher über ihn gedacht.

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