Kapitel 32

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Gerade erzählte Élo mit etwas über ihr Studium und wie sie es geschafft hatte, beim Schwänzen nicht erwischt zu werden. Ihr Name ging mir nun schon viel leichter von den Lippen.
"Du siehst, ich war eben clever genug."
"Ja, mhh. Wahrscheinlich.", gab ich nur von mir und wir lachten beide.

Es musste an dem Wein liegen oder auch daran, dass wir uns gut verstanden, aber die Stimmung wurde mit jedem Moment gelöster und ich fühlte mich tatsächlich sehr wohl.
Wir erzählten uns unglaublich viel und ich bemerkte wie sehr mir eine Familie gefehlt hatte. Auch wenn ich Élo erst seit ein paar Stunden richtig kannte, wusste ich doch, dass ich ihr vertrauen konnte.
"Da hast du dich aber ganz schön schnell in Andrew verliebt.", meinte sie gerade und musste lachen.
"Ja, das stimmt. Ich wundere mich immer noch. Vor allem, weil ich ihn ja schon seit vielen Jahren kannte und erst dann vor drei Monaten habe ich auf einmal etwas für ihn empfunden."
"Das ist schön. Aber es zählt doch gar nicht wann, sondern dass."
"Ja, du hast recht. Ich bin jetzt viel glücklicher. Es ist so viel schöner mit einem Lächeln durchs Leben zu gehen, als immer eine Gewitterwolke um den Kopf zu haben."
"Du bist ja richtig poetisch. Vielleicht solltest du mir bei meinem nächsten Buch helfen."
"Du schreibst noch eins?"
"Ja, das habe ich tatsächlich vor. Ich möchte mich in ein neues Genre wagen. Was hältst du von Krimi?"
"Kommt darauf an, hast du denn schon eine Idee?"
"Ja, mir fliegen immer wieder Bruchstücke im Kopf herum. Ich glaube es soll in New York spielen und es geht um eine FBI Agentin, die wegen eines Fehlers jetzt nur noch bei Missionen zuschauen darf und den Papierkram erledigen muss. Sie bekommt einen Betreuer und zwischen den beiden funkt es dann. Also eher was für die Seele. Es ist zwar nicht so tiefgründig wie mein erstes Buch, dafür aber umso spannender."
"Ja, dann bin ich absolut für Krimi. Kann ich testlesen?"
"Mal sehen. Aber ich behalte es mir im Hinterkopf."

Sie schenkte sich Wein nach.
Dann blickte sie aus dem Fenster und ich bemerkte eine leichte Wehmut in ihren Gesichtszügen.
Sie nahm ihr Glas in die Hand und schwenkte den Wein.
"Julie. Es tut mir wirklich leid."
"Ja, das weiß ich."
"Okay."
Jetzt blickten wir beide aus dem Fenster. Draußen flitzten Autos vorbei und die Straßenlaternen mussten inzwischen die Dunkelheit erhellen. Es war aber trotzdem nicht düster, denn der Schnee tauchte alles in eine weiße, ruhige Stille.
Sie sah mich an und ich sah in ihrem Augenwinkel eine Träne schimmern.
Weinte Élo etwa?
"Hey. Alles gut."
"Ja, ich weiß. Es ist doch noch gut geworden."
Sie schluckte zweimal, bevor sie weitersprach.
"Wann fliegt ihr zurück?"
"Übermorgen."
"Möchtest du dann vielleicht morgen nochmal vorbeikommen? Am Abend?"
"Ja." Ich schob noch ein "Gerne" hinterher.
"Okay."

Später am Abend brachte sie mich zur Haustür und auf einmal umarmte sie mich. Und zwar ziemlich fest, was ich bei ihr gar nicht erwartet hatte. Oder eigentlich doch, wenn ich noch einmal genau darüber nachdachte.
"Julie, bis morgen."
"Bis morgen."

Als ich schon zwei Treppen weiter unten war, hörte ich noch ein leises "Bonne nuit".
Ein "Merci" brachte ich gerade noch so raus, doch dann war ich nicht mehr da. Natürlich war ich noch da, aber nicht mehr mit meinen Gedanken.

So viele Gefühle prasselten auf mich ein und ich konnte mich erst gar nicht sortieren, so viel passierte in diesem Moment.
Ich empfand Glück über meinen Neuanfang oder auch Erstanfang mit Élo. Aber auch Angst.
Ich überdachte die Dinge, die sie zu mir gesagt hatte oder auch nicht gesagt hatte.
Und dann gab es noch das große Thema, über da sie recht ausführlich erzählt hatte, obwohl es ihr sichtbar schwergefallen war.
Waren meine Eltern wirklich so gewesen, wie sie es mir erzählt hatte?
So ganz für sich?
Und was wäre aus mir geworden? Hätten sie überhaupt Zeit gehabt?
Schon wieder einmal hatte ich so viele Fragen und keine Antworten.
Aber mit einem Mal war es, als ob sich ein bisher unsichtbarer Teil meiner Gedanken öffnete und ich mir bewusstwurde, dass ich damit klarkommen müsste. Damit, nicht alle Antworten zu kennen.
Und das war der Augenblick, in dem ich mit meiner Vergangenheit Frieden schloss.

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Hey, heute mal wieder ein kürzeres Kapitel (auch gleich Entschuldigung für die Verspätung) und irgendwie nicht so lange; dafür wird das nächste wieder die 1000 Wörter Grenze einhalten ;) 

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