~𝑽𝒊𝒆𝒓𝒛𝒆𝒉𝒏𝒕𝒆𝒔~

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„Hoffentlich", hauche ich verlegen und mustere ihn von der Seite. Seine dunklen Locken stehen ein bisschen vom Kopf ab und sein Brustkorb hebt und senkt sich schnell. „Jetzt habe ich dich gerettet und du mich", sagt er kurz darauf und greift lachend den Reisverschluss seiner Jacke.

„Das ist schon komisch", fügt er hinzu und sieht sich die Fassade des gegenüberliegenden Hauses an. „Was ist komisch?", frage ich verwirrt und folge seinem Blick.

„Wir begegnen uns so oft, obwohl das eine riesige Stadt ist."

Mein Herz klopft heftig als ich nicke. Wäre jetzt ein guter Zeitpunkt sich zu entschuldigen? Der Kontext wäre okay und somit würde ich die Stille unterbrechen. Aber was, wenn er meine Entschuldigung nicht akzeptiert oder wütend wird? Wir sind alleine in einer engen Straße, in der keine Leute unterwegs sind. Augenblicklich werde ich mir meiner Angst bewusst. Was, wenn er mir etwas antut?

Dank Hannah weiß ich, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist, trotzdem ist da ein kleines Restrisiko, dass für mich viel viel größer ist als für viele andere. Während andere an andere Sachen denken, sind das meine häufigsten Gedanken, die ich nicht ausschalten kann. Aber dennoch muss ich mich entschuldigen, alles andere wäre einfach unmoralisch.

Gerade als ich tief Luft holen will, steht Khalid auf und wischt sich den Dreck von der Hose. „Ich gehe dann mal", sagt er und lächelt irgendwie verkrampft. „Ja", sage ich nur und hebe meine Mundwinkel ein bisschen.

„Okay, bis dann. Wir werden uns bestimmt noch mal sehen. Also vielleicht", stottert er und lächelt leicht. „So richtig lässt sich das einfach nicht verhindern."

Ich nicke zurückhaltend und zähle meine Atemzüge, bis Khalid um die Hausecke verschwunden ist. Es sind fünf. Verdammt, war mein Verhalten jetzt richtig oder falsch? Habe ich zu lange gezögert oder warum ist er so plötzlich verschwunden?

Unschlüssig rapple ich mich auch auf und mache mich langsam auf den Weg zu Hannah. Während ich der S-Bahnstation langsam immer näher komme, versuche ich meine Gedanken irgendwie zu ordnen. Hypothetisch gesehen ist das eingetroffen was Hannah wollte. Ich habe Khalid geholfen und er mir. Jetzt sind wir also quitt.

Nur offiziell entschuldigt habe ich mich noch nicht. Und eine Gegenleistung in Form von Hilfe wird Hannah wohl kaum als okay betiteln.

+

„Ich freue mich für dich, wirklich", beteuert Hannah eine Vietelstunde später, nachdem ich ihr erzählt habe, was heute Nachmittag im Park vorgefallen ist. „Ihr scheint euch echt gut zu verstehen", sagt sie, während sie grinsend mit dem Finger über die Tischkante fährt.

Weil Hannahs Vater noch bei der Arbeit ist, haben wir das Essen von gestern in die Mikrowelle geschoben und warten nun darauf, dass es heiß wird. „Willst du uns verkuppeln?", frage ich empört und verschränke die Arme vor der Brust. „Wir verstehen uns nicht gut, ich habe ihm nur geholfen, weil er mir geholfen hat. Wir werden nicht noch Freunde, so wie du dir das vorstellst. Die Sache ist abgehakt."

„Du hast Recht. Ich denke, ihr werdet euch nie mehr begegnen, so wie du es schon die ganzen Wochen über gesagt hast", entgegnet Hannah sarkastisch und schüttelt den Kopf.

„Es gibt echt keinen Grund mehr, weshalb wir miteinander reden sollten."

„Hast du mal darüber nachgedacht, dass ihr euch auch einfach kennenlernen könntet?"
„Ich kann das aber nicht, Hannah. Mein Herz rastet jedes mal förmlich aus, wenn ich in seiner Nähe bin und das nicht, weil ich eine Anziehung gegenüber ihm spüre", sage ich und krame in der Besteckschublade als Zeichen, dass ich dieses Gespräch nicht weiter führen will. Mit zwei Gabeln und zwei Messern in der Hand schließe ich die Schublade wieder und reiche Hannah je eins von beidem.

Honeymilk SmellWhere stories live. Discover now