~𝒁𝒆𝒉𝒏𝒕𝒆𝒔~

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„Aber... aber wir sind doch mitten beim Kochen!", sage ich und sehe Hannah hoffnungsvoll an.

„Ich weiß, aber Esperanҫa meinte, es ist dringend!" Genervt schüttle ich den Kopf. „Bei ihr ist alles dringend."

„Laira, sie hat den Satz mit extra Ausrufezeichen hinterlegt", wiederholt meine einzige Freundin eindringlich.

Augenrollend lasse ich den Kochlöffel sinken. „Aber ich kann dich doch nicht mit dem ganzen Chaos hier alleine lassen." Zwiegespalten lasse meinen Blick über die ganzen benutzen Schalen, Messer und Bretter schweifen.

„Ich werde das schon alleine hinkriegen", sagt sie und hebt ein Stück Paprika vom Boden auf, dass mir wohl runter gefallen sein muss.

„Und das Essen?" frage ich und lenke Hannahs Blick auf die drei Töpfe, die gefüllt auf dem Herd stehen. „Vielleicht ist das ja schnell geklärt und du kannst wieder her kommen", sagt sie, sieht aber nicht so aus, als wenn sie das glauben würde.

„Mhh", mache ich und lege den Kochlöffel neben den Herd.

„So schlimm ist es bestimmt nicht", versucht Hannah mich aufzumuntern, während ich schweigend in den Flur laufe. „Nicht so schlimm?! Du hast doch selbst gesagt, dass Esperanҫa in Großbuchstaben gesprochen hat." Hannah beißt sich auf die Lippe und mustert mich besorgt. „Du kriegst das hin. Ich warte hier auf dich", verspricht sie und öffnet die Tür. Schnell gehe ich hindurch und drehe mich im Gehen nochmal um. „Verlass dich drauf. Ich werde wiederkommen", sage ich selbstsicher und verschwinde dann im Fahrstuhl.

+

Nachdem ich zwanzig Minuten später durch unsere Wohnungstür trete, empfangen mich Esperanҫa und Kamil schon. Emotionslos sehe ich Esperanҫa das erste mal seit langem wieder in die Augen. „Was gibt es?"

„Komm bitte mit in die Küche", sagt meine Adoptivmutter und will mich mit ihrem Arm in die gesagte Richtung leiten, aber ich wische geschickt aus.

In der Küche sitzen meine Spanischlehrerin und die Vertrauenslehrerin auf zwei von den drei Stühlen, der andere ist leer. Mit hochgezogenen Augenbrauen lehne ich mich an die Küchenzeile und beginne mit dem Fuß zu wippen. „Setz dich doch bitte!", bietet die Vertrauenslehrerin an und zeigt auf den Stuhl gegenüber.

 „Ich stehe lieber", antworte ich kühl. Ich werde mich bestimmt nicht vor die beiden Lehrer setzen wie bei einem Verhör.

„Äh... ja, klar", sagt die zierliche Frau und wechselt einen unsicheren Blick mit meiner Adoptivmutter.
„Ich hoffe, dass es okay ist, wenn deine Eltern... ich meine Adoptiveltern mit dabei sind, sonst sag Bescheid, dann können sie uns auch alleine lassen", setzt sie erneut an.

Innerlich spüre ich, wie mein Puls zu rasen beginnt. Warum sagt sie immer erst Eltern? Will sie mich provozieren, oder denkt sie, so sag ich irgendwann Mamilein und Papilein zu Esperanҫa und Kamil? Weit gefehlt!

Ich antworte nichts, was sie als Einverständnis einsieht. „Weil du nicht so scheinst, als würdest du so riesige Lust auf das Gespräch haben..."

Genau richtig erkannt!

„...komme ich direkt zum Punkt. Miss Garcia hat dich öfters in ihrem Unterricht vermisst-"

„Die letzten Male immer!", schiebt meine Lehrerin schnell dazwischen.

„Wie auch immer. Und da haben wir uns gefragt, warum du nicht anwesend warst", sagt die Vertrauenslehrerin an mich gewandt. „Wollen Sie das wirklich wissen?", frage ich meine Lehrerin ernst. Beide, auch die Vertrauenslehrerin, nicken heftig. Innerlich lache ich laut auf. Als wenn das ein Geheimnis wäre.

„Weil Sie mich zwingen über meine Familie zu reden, die nicht mehr existiert", fauche ich. Meine Lehrerin setzt an etwas zu sagen, aber ich lasse sie durch eine Handbewegung verstummen. Was sie sagen wollte, war zu hundert Prozent, dass meine Adoptiveltern meine Familie sind, aber dank mir kann sie sich das ja jetzt sparen.

„Das hier", ich deute auf Esperanҫa und Kamil, die am Türrahmen stehen, „Sind NICHT meine Eltern und werden es auch nie sein", wende ich mich laut an meine Vertrauenslehrerin. Nicht nur sie, sondern auch Esperanҫa zuckt erschrocken von meinem energischen Tonfall zusammen.

„Ich finde es nicht okay, dass man mich zu etwas zwingt, mit dem ich offensichtlich ein Problem habe", sage ich nach einiger Zeit.

„Aber -", lenkt die Vertrauenslehrerin zaghaft ein und hebt eine Hand.

„Kein Aber", weise ich sie zurück und sehe unsicher zu Senora Garcia. „Ich bin geborene Spanierin und habe kein Problem im Unterricht etwas auf Spanisch zu erzählen, aber Sie können mich nicht zwingen etwas Privates zu erzählen, dass ich nicht Preis geben will. Lassen Sie mich ein Referat zu meinen letzten Ferien schreiben und sie werden meine Arbeit schon morgen in ihrem Fach wiederfinden", sage ich und bekomme ein schwaches Nicken.

Meine Lehrerin erwidert nichts weiter, weshalb ich bei der Vertrauenslehrerin fortfahre.

„Ich habe fünf Jahre vernünftig gelebt und verstehe deshalb auch nicht, warum Sie da sind. Ich möchte hier heute kein Problem lösen", sage ich und setze das "Problem" in Anführungszeichen. „Ich weigere mich lediglich etwas über mein Tabuthema zu erzählen." Abwartend sehe ich alle erwachsenen Personen im Raum an und warte, dass jemand was sagt, was aber nicht passiert. „Sie können dann jetzt gehen!", hauche ich leise und deute den Weg aus der Küche an.

Die Vertrauenslehrerin ist tatsächlich die erste, die aufsteht und mir einen kurzen Blick zuwirft, ehe sie unsere Wohnung verlässt.

Nachdem ich die Tür wieder verschlossen habe, gehe ich wieder zurück in die Küche, in der die Senora immer noch am Tisch sitzt und nach unten guckt. „Das gilt auch für sie", verdeutliche ich meine Ansage und lehne mich gegen den Kühlschrank. Zu meinem Glück steht auch meine Spanischlehrerin endlich auf und begibt sich in den Flur. Kurz bevor sie die Türklinke runter drückt, sieht sie mich an. „Wir sprechen uns in der Schule nochmal."

Ich nicke mit verschränkten Armen und schließe hinter ihr die Tür. Als auch sie gegangen ist, ziehe auch ich mir meine Schuhe wieder an, denn ich habe heute noch ein Versprechen zu erfüllen. Hannah wartet auf mich, das Abendessen weiter kochen zu können.

🌘

Weils so kurz war, kommt gleich noch eins. Eigentlich passt das nicht wirklich, weil es im nächsten Kapitel (vorsicht Spolier) wieder um jemand anderen geht, aber das Kapi war so kurz, da kann ich euch nicht eine ganze Woche warten lassen ;)

Honeymilk SmellDonde viven las historias. Descúbrelo ahora