~𝒁𝒘𝒆𝒊𝒕𝒆𝒔~

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Drei Tage später schleiche ich mich wie jeden Samstagmorgen um kurz vor sieben Uhr morgens aus dem Haus. Auf dem Weg nach unten knöpfe ich meine Jeansjacke zu, die ich jetzt wahrscheinlich öfter tragen werde. Heute ist es schon deutlich kühler als Mittwoch, obwohl erst drei Tage vergangen sind. Außerdem hat der Wind zugenommen und fegt einige abgefallene Blätter über die fast leeren Bürgersteige.

Es ist als hätte jemand einen überdimensionalen Ventilator am Himmel angebracht und seit Monaten endlich die Steckdose gefunden. Denn auch, wenn das kühle Wetter so plötzlich kommt, genieße ich die kühle Luft.

Schon seit ich denken kann, habe ich immer den Herbst und Winter bevorzugt. Selbst wenn es nicht immer schneit, genieße ich diese stürmischen, manchmal orkanartigen Tage, an denen die meisten lieber zuhause bleiben und auf dem Sofa Fernsehen gucken.

Ich gehe dann raus und laufe durch die Stadt, bis ich keine Energie mehr habe. Der Wind fegt dabei so heftig durch mein braun gewelltes Haar, dass ich danach immer ewig brauche, bis ich sie wieder entwirrt habe, aber das ist es mir Wert. Je heftiger das Wetter ist, desto freier fühle ich mich und desto mehr Alltag kann ich abbauen.

Diese für mich positive Wetterveränderung pusht mich plötzlich, sodass ich anfange zu traben. Allerdings muss ich mich zusammenreißen nicht loszulaufen, weil ich nicht völlig geschafft bei meiner Arbeit ankommen will. Außerdem mögen die Leute in der Bahn es gar nicht gerne, wenn ich ihnen schon um sieben Uhr morgens die Luft weg hechle.

Als ich nach fünf Minuten und einem Besuch beim Bäcker bei meiner S-Bahnstation ankomme, hocke ich mich wartend auf die Sitzbänke und fange an, mein Brötchen zu essen. Dummerweise habe ich heute nicht an etwas zu Trinken gedacht, weshalb ich versuche, das Kratzen des trockenen Brötchens in meinem Hals zu ignorieren. Die Billig-Bäcker an besuchten Bahnhofen haben nicht das beste Frühstück, aber für etwas Ausgewogenes habe ich im Moment kein Geld.

Zum Glück kommt dann aber schon meine S-Bahn und es dauert nicht mehr lange, bis ich bei der Arbeit bin. In der S-Bahn laufe ich auf meinen Lieblingsplatz zu, bis ich erschrocken anhalte. Der Sitzplatz ist nämlich schon besetzt. Von ihm. Ausgerechnet auf meinem Stammplatz sitzt der Junge mit der schwarzen Haut von Mittwoch. Und das obwohl fast die ganze Bahn noch leer ist.

Wie angewurzelt bleibe ich mitten im Gang stehen und starre ihn an. Da er mit dem Rücken zu mir sitzt, sieht er mich zum Glück nicht, denn ich verliere gerade die Kontrolle über meine Emotionen und Reaktionen. Sitzt er mit Absicht auf meinem Standardplatz? Ich habe ihn nämlich sonst noch nie hier sitzen sehen.

Weil mich zu ihm zu setzen keine Option ist, laufe ich zügig an dem Platz vorbei und werfe dem Typen einen milisekündigen Blick zu, ehe ich mich zwei Abteile weiter auf einen Zweier-Sitzplatz fallen lasse.

Nach drei Stationen stehe ich mal wieder viel zu spät auf und sprinte zur Tür, die sich schon schließt. Wie ich jeden Mal so dermaßen in Gedanken versunken sein kann, überrascht mich immer wieder. Erst in der letzten Sekunde erinnert mich irgendwas daran, dass ich hier aussteigen muss.

Kopfschüttelnd knülle ich die Brötchentüte in meiner Hand zusammen und werfe sie in den nächsten Mülleimer. Dann mache ich mich mit schnellen Schritten auf den Weg zu meiner Arbeit.

Bevor ich die kleine Holztür des Second-Hand-Shops öffne, kontrolliere ich den Briefkasten neben dem Laden und überquere dann über die Türschwelle. Meine Chefin, von der ich die Aufgabe bekommen habe, direkt zu Beginn die Post aus dem Briefkasten zuholen, begrüßt mich und teilt mich dem Sortieren der neu angekommenen Klamotten ein.

Gerade das ist die unbeliebteste Arbeit, aber einmal im Monat bin ich damit leider auch dran. Ich arbeite zusammen mit fünf anderen Hilfskräften, die mir mittlerweile richtig sympathisch geworden sind. Wir wechseln uns mit den Aufgaben ab und haben abgesehen von dem Sortieren sehr viel Spaß. Solange unsere Chefin im Büro ist, fliegen die Fetzen und wir machen hauptsächlich Quatsch, auch wenn alle anderen mehr als zehn Jahre älter sind als ich.
Aber sobald wir High Heels auf dem Pakettboden hören, spielen wir die lieben, hilfsbereiten Engel, die alles richtig machen wollen.

Honeymilk SmellWhere stories live. Discover now