~𝑵𝒆𝒖𝒏𝒕𝒆𝒔~

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Diese Person, die „Sofort aufhören!" geschrien hat, nimmt meinen Arm, hält ihn fest und tritt den Mann mit aller Kraft von mir weg.

Endlich lässt dieser mich los und mein Retter zieht mich mit sich. „Los, schnell!"

Ich gehorche ihm und erst jetzt habe ich die Möglichkeit zu registrieren, wer mich da gerettet hat.
Es ist der Typ.

Der Typ, der mich in Ruhe lassen wollte und mich jetzt gerettet hat. Aber auch wenn ich jetzt irgendwas an Emotionen verspüren sollte, tue ich das noch nicht, was höchstwahrscheinlich an dem ganzen Adrenalin liegt, dass meinen Körper rauf und runter fließt. Das hingegen ist auch notwendig, denn der Pastelljackenjunge beschleunigt und zieht mich noch immer am Arm hinter sich her. Wir rennen durch den ganzen Bahnhof und erst als wir beim Busparkplatz ankommen, hält er an.

Ich komme neben ihm zum Stehen und als er mein Handgelenk loslässt, trete ich schnell drei Schritte zurück. Diesen Reflex konnte ich trotz meiner Erschöpfung nicht verhindern.

Während er mich beobachtet, stütze ich meine Hände heftig atmend auf die Knie und versuche wieder zu Luft zu kommen. „Du wolltest mich in Ruhe lassen", keuche ich nach einigen Sekunden und kann nicht glauben, dass ich das wirklich gesagt habe.

Überrumpelt starre ich ihn an und hebe dann schnell eine Hand. „Sorry, so meinte ich das nicht.. also doch, aber irgendwie..." In der Zeit in der ich noch nach den richtigen Worten suche, um meinen misslungenen Satz irgendwie zu verbessern, hebt mein Gegenüber fassungslos die Augenbraue.

„Ich habe dich gerettet und dir fällt nichts anderes ein, als mir einen Vorwurf zu machen?!"

„Ich habe einmal gesagt, dass du mich in Ruhe lassen sollst, was verstehst du daran nicht? Wieso lässt du mich nicht einfach in Ruhe? Ich habe dir immer noch nichts getan!", rufe ich aufgebracht und stampfe zur Veranschaulichung mit dem Fuß auf den Boden.

„Du hättest also lieber, dass dieses Schwein dich vergewaltigt, als dass ich mein Versprechen breche?!" Er sieht mich unglaubwürdig an.

„Darum geht es nicht. Es geht ums Prinzip, dass du nicht verstehst!", sage ich und verschränke die Arme.

„Ach ja, ums Prinzip! Denkst du diesen Mann juckt dein Prinzip?!"

„Die eigentliche Frage ist, ob dich das Prinzip juckt", wiederhole ich seine Worte.

Der Junge schweigt, bevor er ärgerlich seine Stirn zusammen zieht. „Verdammt, vielleicht hätte ich dich da wirklich nicht rausholen sollen."

„Du verstehst das nicht!", sage ich mit zitternder Stimme und zupfe an meiner Tasche. Dieses Gespräch und meine Gefühle machen mich ganz verrückt. Mittlerweile fummeln meine Finger unruhig an dem Stoff meines Mantels, obwohl ich mir unbedingt abgewöhnen wollte bei Nervosität etwas anzufassen.

Mir ist klar, dass ein Danke eventuell gerecht hätte, aber mein unbeherrschtes Mundwerk hatte mal wieder andere Pläne. Vermutlich ist es genau den Anweisungen meines Kopfes gefolgt, der meine Gedanken gerne ungefiltert offenbart. Dabei wollte ich mich definitiv noch bedanken und ich es hätte es auch direkt zu Beginn getan, wenn die Situation im Second-Hand-Laden nicht mehr so prägnant in meinem Gedächtnis festsitzen würde. Aber in dem Augenblick, in dem er eben meinen Arm gegriffen hat, bin ich mir der Angst wieder bewusst geworden.

Der feste Griff, in dem ich keine Chance hätte ich mich zu wären, hat mich eingeengt und mir Angst bereitet. Es war diese Angst, die ich schon mehrmals in meinem Brustkorb gespürt habe und jedes Mal dafür sorgt, dass sich mein ganzer Körper anspannt.

„Ach ja? Erkläre es mir. Weißt du, als ich dich am Anfang in der S-Bahn gesehen habe, dachte ich eine Verbindung gespürt zu haben, aber jetzt weiß ich, dass ich mich geirrt habe. Ich habe keine Ahnung, was du gegen mich hast, denn ich habe dir nichts getan, aber deine Undankbarkeit muss ich mir nicht freiwillig antun."

Honeymilk SmellWhere stories live. Discover now