| 46 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Am nächsten Tag stand ich, seit bereits zehn Minuten, aufbruchsbereit an der Wohnungstür und wartete auf Ryan, damit wir endlich loskonnten. Jetzt wusste ich auch, was der immer so lange brauchte.

Erstens war Ryan definitiv kein Morgenmensch und schlief ewig lange und zweitens brauchte er gefühlt Stunden im Bad. Während ich nur einmal kurz herein geschneit kam, um Zähne zu putzen und zu duschen, stand er vorm Spiegel und machte sich seine Haare, duschte, rasierte sich und was sonst noch alles. Ich war schon kurz davor zu fragen, ob er sich noch schminken wolle, ließ das aber sein.

Mit dem Fuß tippte ich unruhig auf den Holzboden herum. „Ryan, wie lang noch?!"

„Bin gleich fertig!", kam es zurück. Das hatte er vorhin auch schon gesagt und abgesehen davon, wer definiert eigentlich wie lange gleich war?

Plötzlich klingelte mein Handy. Mit unguter Vorahnung holte ich es aus meiner Hosentasche und sah aufs Display. Jackson. Wenn er schon anrief, dann waren wir wirklich spät dran, schließlich war er die Unpünktlichkeit gewohnt.

„Wir kommen gleich", sagte ich sofort, ohne ihn zu begrüßen.

„Hoffentlich", knurrte er am anderen Ende, ehe er auflegte. Da war aber jemand sauer.

Nach dem ich Ryan nochmal Druck gemacht hatte, kam er endlich und wir konnten das Gebäude verlassen. Um es nicht noch schlimmer zu machen, fuhr ich vor und gab ein beachtliches Tempo vor. Somit musste Ryan mitziehen und wir kamen vor Jacksons Wohngebäude zum Stehen. Hastig nahm ich meinen Helm ab und entschuldigte uns für die Verspätung. Der Braunhaarige auf der Kawasaki hingegen begrüßte die Beiden scheinheilig und verlor nicht ein Wort über die Unpünktlichkeit.

„Hat ja lange genug gedauert", beschwerte sich Jackson, der wohl heute keinen guten Tag hatte.

Beschwichtigend hob ich die Hände. „Jetzt sind wir ja da."

„Nehmt den nicht zu ernst, der ist nur so scheiße drauf, weil er heute Abend auf eine Feier seiner Eltern muss", kicherte Nero gutgelaunt und drückte seine Zigarette aus.

Der Alpha drehte sich wütend zu seinen Beta und fauchte. „Spuck du nur keine großen Töne! Soweit ich weiß, musst du auch mit."

Doch der Weißhaarige grinste ihn an. „Na, umso besser! Kostenloses Essen und ich kann sehen, wie sehr du leidest, während deine Eltern dich über deine Arbeit ausquetschen."

Jackson sah so aus, als würde er Nero gleich an die Gurgel gehen und ich bewunderte ihn dafür, dass er das nicht schon getan hatte. Egal wie nervig und unausstehlich der Beta auch war, er war nun mal Jackson Sandkastenfreund.

„Wollen wir nicht langsam mal los, die anderen warten schon bei der Halle", warf Ryan plötzlich ein und wir alle starten ihn entgeistert an.

„Na immerhin", erwiderte Jackson und stieg auf seine MV Agusta. Ebenso wie Ryan.

Auch ich wollte mich gerade startklar machen, wurde aber von Nero am Arm gepackt und umgedreht. „Na komm, sag schon", forderte er mich leise auf und starrte mich mit seinen blauen Augen ungewohnt neugierig an. Die gute Laune, die Jackson heute fehlte, hatte offenbar er abbekommen.

„Was sagen?", fragte ich genauso leise zurück.

„Du wohnst doch jetzt bei Ryan, also sag schon, was treibt der immer so lange?", flüsterte er. „Wetten ich hab recht? Er hat bestimmt Sex am Morgen oder ist noch zu erschöpft davon. Oder nimmt er wieder Drogen? Sag schon", drängelte er und zählte seine Spekulationen auf.

Ich fühlte mich so, als würde ich sonst was für dreckige Geheimnisse preisgeben als ich antwortete. „Nichts davon. Er braucht einfach nur episch lang im Bad und schläft lang."

Die Neugierde wich purer Enttäuschung. Offenbar hatte er etwas Spektakuläreres erwartet und nicht das. Fast schon tat er mir leid. Aber nur fast. Schulterzuckend drehte ich mich um.

„Was treibt ihr so lang?!", rief Jackson, der sich, ehe er losfuhr, nochmal umgedreht hatte.

„Nichts!", erwiderten Nero und ich wie aus einem Mund und sahen uns anschließend verblüfft an.

„Dann kommt endlich!", befahl er und fuhr zusammen mit Ryan los. Also folgten wir ihnen und dann gings ab zur Halle. Die Fahrt fühlte sich befreiend an. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als ich an meinem Onkel denken musste. Noch immer hatte ich die Hoffnung, dass sich das wieder auskurieren würde, allerdings wurde sie immer kleiner.

Bei der Halle warteten tatsächlich schon alle auf uns und daher ging es auch direkt an die Arbeit. Da Jackson noch etwas zu tun hatte, bat er Matt ein Auge auf uns zu haben. Wahrscheinlich, weil er der Meinung war, dass die Kombi Nero, Ryan und ich nicht gut ausgehen konnte. Und da hatte er auch recht.

Alec jedenfalls musste sich noch von dem Unfall erholen und würde daher die nächsten Tage nicht kommen. Also mehr Arbeit für uns.

Seit drei Stunden war ich nun damit beschäftigt zusammen mit Ryan und Nero ein Motorrad auseinanderzunehmen. Aber nicht irgendeins. Die silberne BMW F900 R hatte Loan gehört. Sollten die Tuningteile etwas bringen, würden wir sie behalten, wenn nicht würde sie wieder zusammengesetzt und verkauft werden.

Meiner Meinung nach, pure Verschwendung, aber mich fragte ja niemand.

Besonders Ryan schien der unerwartete Tod der Beiden mitzunehmen. Wahrscheinlich hatte er sich deshalb freiwillig für diese Arbeit gemeldet. Nero hatte zwar keine Lust gehabt, aber sonst hätte er an der Außenfassade mitarbeiten müssen und das wollte er nicht. Und ich hatte eben keine andere Wahl gehabt.

„Man, ich hab kein Bock mehr!", klagte Nero irgendwann und ließ sich lustlos neben die ganzen Einzelteilen nieder.

Ryan, der den Auspuff gerade sauber machte, sah ihn genervt an. „Kannst du nicht einfach deine Klappe halten und weiter machen?! Seit einer Stunde muss ich mir das anhören!"

„Nö", kam es nur trotzig zurück.

So ging das schon die ganze Zeit und meine Ohren taten mir schon weh. Allerdings wollte ich nichts sagen, da mein Rang ziemlich niedrig war. Jackson hatte absolut recht. Die Beiden waren wie Kleinkinder und man sollte sie nicht unbeobachtet lassen.

„Nero, du sollst die Teile sortieren und schauen ob noch etwas Brauchbares dabei ist, und sie nicht auf den Boden verstreuen", mischte sich Matt ein, der von einem der vielen Bildschirme hochsah. Die ganze Zeit erklärte er uns schon, was wir machen sollten und was wir verbessern konnten und damit nervte er mindestens genauso.

„Ja ja", meinte der Weißhaarige verträumt und schnipste eine kleine Schraube weg, die durch die ganze Halle flog.

Matt verdrehte die Augen. „Ja ja heißt bei dir, leck mich, mach ich eh nicht. Also mach jetzt hin, in einer halben Stunde sind wir eh fertig."

Der Beta kommentierte das nur mit Augenrollen.

„Ah Scheiße! Wer hat die Schraube hier liegen lassen?!", schrie plötzlich jemand und wir alle drehten unsere Köpfe zu einem rothaarigen Jungen, der einige Kisten transportierte und scheinbar auf Neros Schraube ausgerutscht war.

Gleichzeitig sahen Ryan, Matt und ich zu Nero.

„Was?", fragte dieser unschuldig.

Ich schüttelte nur mit dem Kopf und musste leicht grinsen. Matt hingegen schien zu verzweifeln und Ryan bewarf Nero mit einem Teil der Verkleidung. „Du Intelligenzallergiker machst nur scheiße! Am Ende bricht sich jemand wegen dir noch das Genick!"

„Ey!", wütend warf der Blauäugige kleine Schrauben zurück, die sich daraufhin ebenfalls in der Halle verteilten. „Selber Intelligenz... irgendwas! Du Klotaucher!"

Jetzt konnte ich nicht mehr und prustete los. Die Beiden konnten einen in den Wahnsinn treiben, waren aber auch ziemlich unterhaltsam.

„Miles!", vernahm ich plötzlich Jacksons Stimme hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um und sah zu ihm rauf. „Mitkommen." Dann drehte er sich um. Ich schenkte noch Matt einen verwirrten Blick und eilte dann Jacks hinterher.

RIDERS ~ Burn For ThisWhere stories live. Discover now