| 31 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

130 21 6
                                    

Als ich nach oben sah und mein Blick den seinen streifte, fuhr es mir eiskalt den Rücken runter. „Was wird das, wenn's fertig ist?", fuhr er mich an und trotz seines finstereren Blicks, lag immer noch eine gewisse Ruhe in seiner Stimme.

Ich wollte ihm antworten und mich rechtfertigen, doch ich konnte nicht. Mir blieben die Worte im Hals stecken und meine Kehle fühlte sich mit einem Mal so trocken an. Einzig und allein der Gedanke, dass ich womöglich aufgeflogen war, kreiste in meinem Kopf hin und her, weswegen ich mich sammelte, und mit einem gefälschten Lächeln antwortete, „Ich war nur neugierig, sonst nichts." Dabei setze ich meine kalte Maske wieder auf.

Er sah mich zwar misstrauisch an, schien mir aber zu glauben. „Jugendliche!", schimpfte er nur und wandte sich genervt wieder ab.

Unmerklich atmete ich auf und erlaubte es mir wieder, bis in den Bauch zu atmen. Conner ging es offenbar wirklich nur ums Geld. Er checkte seine Kunden kaum ab. Denn diejenigen, die von ihm wussten, stellten für gewöhnlich keine Gefahr da und die anderen würden hier nie auftauchen. So stand ich also vor seinem Schreibtisch und wagte keinen Blick mehr auf seine Blätter, schließlich wollte ich nichts provozieren.

Ein Klopfen riss mich aus meiner Starre und auch Conner hab den Kopf als die Tür aufging. „Ähm Conner, könntest du mal kurz kommen?", fragte Damien vorsichtig, der die Tür ein Spalt geöffnet hatte. Conners finstere Miene wurde weicher und jetzt war sogar mir klar, dass die Beiden ein enges Verhältnis zueinander hatten. Nur in welcher Hinsicht wusste ich nicht.

„Klar, wenn's schnell geht", entgegnete er, umrundete seinen Tisch, warf mir noch einen kalten Blick zu und ging zu dem Schwarzhaarigen. Dieser hielt ein Handy in der Hand und schien wohl ein Problem mit einem Anrufer zu haben, welches Conner übernahm. Ich nutzte natürlich die Gelegenheit und warf nochmal einen langen Blick auf den Lieferplan. Doch ich konnte mir unmöglich den Namen, die Adresse, die Lieferung, die Zeit, das Datum und eventuell Telefonnummer merken. Also zückte ich mein Handy, zoomte ran und fotografierte es einfach.

Als Conner dann zurückkam, tat ich einfach so als hätte ich eine Nachricht bekommen. Stattdessen schickte ich den Plan sofort an Jackson.

Dann steckte ich mein Handy wieder in meine Hose und richtete meinen Blick auf Conner. Der Blondhaarige war fertig mit tippen, schob mir ein Stück Papier hin und kommentierte es mit. „Ausfüllen." Ich schnappte mir also einen Kuli und beugte mich über den Zettel.

Es war nicht viel zum Ausfüllen und ging relativ schnell. Allerdings überlegte ich für einen Augenblick, falsche Angaben zu machen. Tat dies allerdings nicht. Sie würden sowieso alles herausfinden, immerhin kannten sie mein Gesicht und dann würde es ordentlich Stress geben. So presste ich die Lippen aufeinander und füllte notgedrungen das Blatt aus. Als ich ihm das Formular zurückschob, meinte er nur, „Wir sehen uns dann übermorgen zur Übergabe, Damien bringt dich runter. Und komm allein", und überreichte mir einen Zettel mit Adresse und Uhrzeit für die Übergabe. Ich nickte und verließ dann den Raum. Damien stand noch immer vor der Tür.

„Hat ja lang gedauert", sagte Damien mit einem kleinen Grinsen im Gesicht.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ja kann sein. Komm, ich will nicht ewig hier stehen", entgegnete ich, lief an ihm vorbei und wartete vor dem Fahrstuhl.

„Komm ja schon." Genervt rannte er mir hinterher. „Man, du machst ein Stress!", murrte er leise und wir stiegen ein.

Innerlich musste ich lachen, wollte aber trotzdem so schnell wie möglich nach Hause. Der Plan war so gut wie abgeschlossen! Allerdings gab es plötzlich einen Ruck und der Fahrstuhl hielt an. Ne, oder? Das Licht anfing zu flackern und ratlos sah ich nach oben. Dann ging das Licht wieder an, doch das brachte mir auch nicht viel, denn das Einzige was ich sah, war Damiens erschrockener Blick.

„Was war das?", fragte er an mich gewandt und die Unsicherheit hörte man deutlich aus ihm heraus.

Deutlich ruhiger als ich mich fühlte, steckte ich die Hände in die Hosentaschen. „Keine Ahnung, vielleicht ein Stromausfall?"

„Ein Stromausfall in einer Großstadt? Das ist hier noch nie passiert!", widersprach er fast schon hysterisch und ich hatte Mühe damit, ruhig zu bleiben.

„Dann eben ein anderes technisches Problem", riet ich weiter. Woher sollte ich denn wissen, warum es nicht weiter ging?

Damiens Augen weiteten sich. „Oder ein Feuer!", stieß er jetzt panisch aus.

„Alter komm runter, wir stecken nur fest und stürzen ja nicht ab! Läuft bestimmt gleich weiter, kein Grund gleich vom Schlimmsten auszugehen", versuchte ich ihn zu beruhigen, erreichte damit aber nichts. Damien dachte sich lieber weitere Horrorszenarien aus und ich wandte meinen Blick augenrollend ab. Dabei versuchte ich das schlechte, beengende Gefühl, welches in mir aufkam, zu ignorieren.

Die silberne Fahrstuhlwand vor mir war da nicht sonderlich hilfreich. Sie hatte verdammt viel Ähnlichkeit mit der silbernen Klinge und eben auch mit dem silbernen Mercedes meines Vaters. Ein Silber, was sich durch meine Augen direkt in meine Seele stach und mich zurück in die Vergangenheit katapultierte. Die Vergangenheit, die ich so sehr hasste und um jeden Preis vergessen wollte.

Kurz sah ich Bilder von dem Autounfall, der alles verändert hatte, dann trifteten meine Gedanken ab. Zu meinen Eltern und meinem Zuhause in New York City. Dort hatte ich 18 Jahre lang gelebt. Meine ganze Kindheit, der Ort, an dem ich aufgewachsen war, wurde mir einfach entrissen. Dieser Gedanke machte sich schmerzlich bemerkbar. Meine Eltern waren damals sehr wohlhabend und mein Vater, als Anwalt und meine Mutter, als Ärztin, konnten mir so gut wie jeden Wunsch erfüllen. Und das war genau Das, was Jackson nicht wusste, als er mich als Null abstempelte.

Ich hatte vor ein paar Wochen ebenfalls zu einer anderen Liga gehört, nur davon war nichts mehr übrig. Bis auf meine Yamaha. Ein Geburtstagsgeschenk meines Vater. Auch, wenn ich schon lange davor mit ihr durch die Straßen geheizt war und keinen Führerschein hatte. Als Einzelkind war ich ihr Liebling, weswegen sie oft über meine Dummheiten drüber hinwegsahen und für die Scheiße, die ich baute bezahlten. Nur dieses Mal musste ich es selbst ausbaden.

„Miles? Miles! Bist du noch da?!", rief Damien und holte mich aus der Erinnerung.

Verwirrt schüttelte ich mich. „Ähm was?", wollte ich geistreich wissen und schob die Frage, ob meine Eltern wohl von mir enttäuscht wären, wenn sie mich sehen würden, schnell beiseite.

„Du warst auf einmal so komisch und hast nicht reagiert, aber der Fahrstuhl läuft wieder", erklärte Damien total begeistert und man sah ihm die Erleichterung deutlich an.

„Ja, mega", antwortete ich abwesend und sah wieder die Wand an. Doch dieses Mal war da nur mein Spiegelbild.

Als wir dann beide draußen vor dem Gebäude standen, holte ich erstmal tief Luft und genoss die kühle Abendluft. Ich wollte einfach nichts sehnlicher, als mit meiner Vergangenheit abzuschließen. Die alten Begebenheiten sollten nicht ausgegraben werden!

Damien neben mir sah ein wenig gehetzt durch die Gegend und schien den Schock über den Fahrstuhlzwischenfall langsam zu verdauen. Dann irgendwann drehte er sich zu mir um und meinte beiläufig, „Du kennst doch Alec, oder?"

RIDERS ~ Burn For ThisWhere stories live. Discover now