| 3 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

266 28 25
                                    

Obwohl San Diego eine relativ große Stadt war, waren die Straßen heute Nacht wenig befahren und boten somit eine perfekte Rennstrecke. Die Straße war trocken und obwohl die Räder noch nicht warm gefahren waren, klebten sie gut auf dem erhitzten Asphalt.

Ich beschleunigte immer mehr und fuhr ohne jegliche Orientierung durch die Straßen. Einzig und allein der Moment zählte. In den wenigen Sekunden war ich frei und konnte den vielen Problemen des Alltags entfliehen. Ich konnte mal an nichts denken.

Die vielen Lichter der Häuser und Laternen zogen an mir vorbei und die Stadt einmal bei Nacht so zu erleben, war ein unbeschreibliches Gefühl. Aber dennoch fühlte es sich nicht nach Heimat an. Etwas fehlte mir. Was es war, konnte ich nicht sagen. War es Familie? Waren es Freunde? Oder die Sehnsucht nach etwas Vollkommenen. Meine Gedanken kreisten zu den beiden jungen Männern, die heute vor der Schule auf Ruby warteten. Ich kannte sie nicht und dennoch war ich mir sicher, dass sie ein weitaus besseres Leben hatten.

Vielleicht nicht ihres Geldes wegen, aber vielleicht aufgrund der Tatsache, weil sie nicht allein waren. So wie ich.

Ich spürte Wut und Enttäuschung in mir aufsteigen. Es klang eventuell egoistisch, aber ich war der Meinung, dass ich es nicht verdient hatte, meine Eltern zu verlieren. Wer hatte das schon? Ungewollt änderte sich auch meine Fahrweise. Beinahe automatisch fuhr ich etwas schneller und überholte hin und wieder aggressiv einen Autofahrer.

Viel zu spät dämmerte es mir, was gerade geschah. Ich stand kurz vor einem Anfall. Nichts Neues seit dem Unfall. Doch so Etwas durfte nicht passieren, vor allem nicht während der Fahrt! Ich musste mich sofort beruhigen, und zwar schnell, sonst könnte das böse Folgen mit sich bringen.

Um mich zu beruhigen, bog ich rechts ab und verließ die Hauptstraße. Die Nebenstraßen waren ruhiger und somit konnte ich ohne Probleme am Straßenrand anhalten.

Seit dem Tod meiner Eltern litt ich öfters an Panikattacken, die ich nicht im Griff hatte. Ich weigerte mich auch permanent Hilfe anzunehmen. Weder von einem Psychologen noch von meinem Onkel. Bis auf ihn wusste auch niemand davon und das sollte so bleiben. Sie würden irgendwann schon von allein verschwinden. Noch waren die Folgen des Unfalls zu präsent.

Schnell nahm ich den Helm ab und atmete tief ein und aus.

Verzweifelt versuchte ich an etwas Anderes zu denken und meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es war anscheinend doch keine gute Idee, jetzt schon Motorrad zu fahren. Das hatte mir mein Onkel die ganze Zeit schon eintrichtern wollen, nur ohne Erfolg. Doch die Sehnsucht zu groß war. Und jetzt hatte ich den Salat.

Nach fünf Minuten hatte ich mich noch immer nicht beruhigt, es wurde aber auch nicht schlimmer, also schaltete ich den Motor wieder an und machte den Leerlauf rein. Das tiefe Brummen des Motors half mir beim Durchatmen. So setzte ich meinen Helm auf und fuhr in Schrittgeschwindigkeit wieder los. Das beruhigende Geräusch des Akrapovic Auspuffs und das langsame gleichmäßige Fahren, beruhigten mich und ich spürte wie meine Atmung langsamer wurde und sich mein Puls langsam legte, was mich erleichtert aufatmen ließ.

Ich fuhr noch eine Weile sinnlos umher und nur langsam erhöhte ich die Geschwindigkeit, aus Angst, dass ich wieder zu sehr an die Unfallsnach dachte. Und tatsächlich, es ging wieder. Meine Geschwindigkeit wurde wieder höher und ich konnte wieder sicherer fahren. Ich musste mich einfach auf Fahren konzentrieren.

Aufgrund einer roten Ampel musste ich allerdings an einer Kreuzung halten.

Das kam mir ganz recht, denn meine Finger taten durch die Kälte schon etwas weh. Meine Handschuhe waren immerhin zu Hause. Die blaue Farbe meines Motorrads spiegelte sich in den kleinen Pfützen auf der Straße. Der Motor schnurrte wie ein Kätzchen und mir wurde mal wieder klar, wie schön ich meine Maschine eigentlich fand.

Dann erklang das Geräusch eines weiteren Motorrads und eine rote Ducati hielt neben mir. Ihre auffallende rote Verkleidung und die aufwendigen Aufkleber könnte ich überall wiedererkennen. Genauso wie den schwarzen Aufkleber am Tank. Es war nur ein Schriftzug, aber Hydra würde ich mir nicht unbedingt ans Motorrad kleben. Es war der Kumpel von Rubys Bruder. Unsere Gesichter waren zwar durch unsere Helme und deren verdunkelten Visiere verdeckt, aber dennoch sahen wir uns an und dachten das gleiche. Welche Maschine war wohl schneller? Wir trafen wie eine stumme Absprache und es war klar, dass dies in einem Rennen enden würde.

Ich sah wieder nach vorn auf die Straße. In 300 Meter Entfernung endete die Straße in einer Kreuzung. Das wäre doch eine perfekte Ziellinie.

Aufmerksam beobachtete ich die Ampel und wartete darauf, dass es Grün werden würde, währenddessen spielte ich am Gas. Der Typ neben mir tat es mir gleich. Die Ampel schaltete auf Grün und wir fuhren los. Anfangs hatte ich noch ein recht gutes Gefühl, doch schnell fiel ich stark zurück und mein Gegner beschleunigte noch etwas mehr. Aber ich würde mich nicht geschlagen geben.

Nicht gegen eine Ducati. Und schon gar nicht gegen ihn.

Immerhin hatte ich nicht umsonst eine NOS Lachgaseinspritzung. Ich schaltete einen Gang hoch und konnte auch wieder etwas aufholen. Aber nicht nur ich, sondern auch mein Gegner hatte vermutlich ordentlich in seine Maschine investiert. Im Gegensatz zu mir hatte er ja auch das Geld dazu. Dennoch waren wir nach einer Weile auf gleicher Höhe und führten abwechselnd. Bis ich in den letzten Gang schaltete, mich noch weiter nach unten drückte und die Führung übernahm.

Die Ziellinie kam immer näher und schneller als ich reagieren konnte, waren wir auch schon über die Kreuzung gefahren, die als Ziel diente.

Überrascht und mit einem, sich schnell ausbreitenden guten Gefühl in der Magengegend sah ich zu ihm und feierte innerlich meinen Sieg. Unsere Wege trennten sich kurz danach wieder. Mit Sicherheit hatte ich sein Ego verletzt.

Es war nicht das erste Mal, dass ich mich mit anderen beim Fahren messen wollte und auch nicht das erste Mal, dass ich mitten in der Nacht planlos umherfuhr, um nachzudenken. Dennoch tat so ein Sieg immer wieder auf Neue gut und sorgte für ein wohliges Hochgefühl. Auch, wenn er nicht mal wusste, gegen wen er da eigentlich verloren hatte.

Ich musste innerlich grinsen, bei dem Gedanken daran, dass er mich so verachtend angesehen hatte und jetzt gegen mich verloren hatte.

Aber ein Blick auf das Cockpit, zeigte mir das es bereits 2 Uhr morgens war. Verdammt, in paar Stunden hatte ich Schule! Auf schnellstem Wege fuhr ich nach Hause. Naja, so schnell es mir eben mit meiner Orientierung möglich war. Ich sollte mir wahrscheinlich mal ein Navi zulegen. Wobei, das ziemlich peinlich wäre.

RIDERS ~ Burn For ThisWhere stories live. Discover now