| 42 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Noch nie hatte ich das Anhalten und Parken meiner Maschine so in die Länge gezogen. Ich versuchte damit das Gespräch mit meinem Onkel hinauszuzögern. Doch wusste, dass es sinnlos war. Diese Unterhaltung würde stattfinden, egal ob ich jetzt noch zehn Minuten hier wartete oder nicht.

Also drückte ich meine Brust raus, straffte Schultern und Muskeln und bemühte mich um ein selbstbewusstes Auftreten. Vor der Tür jedoch stoppte ich.

Der silberne Haustürschlüssel lag in meiner Jackentasche und als ich mit meiner Hand hineinfuhr konnte ich ihn deutlich spüren. Allerdings schien es mir im Moment nicht richtig ihn zu benutzen. So als hätte ich nicht das Recht oder die Erlaubnis dazu.

Also musste ich klingeln. Zitternd drückte ich auf den kleinen, runden Knopf und hörte auch schon das leise, bestätigende Geräusch. Von Innen vernahm ich Schritte und angespannt trat ich lieber mal einen Schritt zurück.

Mein Onkel ließ sich jede Menge Zeit, was ich ihm keineswegs übelnahm. Brav wartete ich und als dann endlich die Tür aufging, bereute ich das Klingeln sofort und meine selbstbewusste Haltung fiel in sich zusammen.

Ich spürte nur zu deutlich seinen scharfen Blick auf mir und ich schaffte es einfach nicht, ihn anzusehen. Lieber sah ich auf den Boden und verhielt mich demütig und unterwürfig. Das Schlimmste war jedoch, dass er nichts sagte. Er schrie nicht, machte mir keine Vorwürfe, sondern sah mich einfach nur an. Und allein das war schon Bestrafung genug für mich.

„Komm rein!", erklang auf einmal seine harsche Stimme und ich zuckte schrecklich zusammen.

Er wartete nicht auf mich, sondern ging hinein und ließ die Tür für mich offen. Unsicher spähte ich in den Flur des kleinen Hauses, was ich bis vorhin noch mein Zuhause nennen konnte.

„Willst du Wurzeln schlagen, oder warum stehst du noch da?", knurrte er von drinnen und ohne groß darüber nachzudenken huschte ich ins Haus und schloss hinter mir die Tür. Schuhe und Jacke brauchte ich nicht auszuziehen, weil das hier hoffentlich schnell gehen würde. Sofort hüllte mich die Wärme ein und da bemerkte ich erst, wie kalt es nachts draußen war. Doch im Inneren fühlte ich mich wie leergesaugt.

Mein Onkel saß bereits auf dem Sofa, doch ich setzte mich nicht zu ihm. Zu groß war die Angst zurückgewiesen zu werden. Und ich wusste ja noch nicht mal, ob ich das überhaupt noch durfte.

Mir war klar, dass eine Erklärung oder Rechtfertigung hermusste, aber meine Kehle war trocken wie eine Wüste und nicht ein einziger Satz verließ meinen Mund.

Unsicher blickte ich zu ihm und ließ meinen Blick über ihn wandern. Dabei sah ich nur zu deutlich den dicken Verband an seinem rechten Oberarm. Seine eine, weiße Hälfte schaute aus dem Ärmel des Shirts hervor und erinnerte mich daran, dass ich ihn vorhin fast verloren hätte. Wenigstens wurde er verarztet und hatte sich nur einen, nicht lebensgefährlichen Schuss eingefangen.

„Jetzt schau nicht so! Ich werd schon wieder, dein Kumpel hat ja dank dir nur einmal geschossen", fauchte er und wieder zuckte ich kurz zusammen, da er mich aus meinen Gedanken gerissen hatte.

Dabei spuckte er das Wort Kumpel förmlich aus, als wäre es abscheulicher Abschaum.

Als er bemerkte, dass ich nichts dazu sagte, sprach er einfach weiter. „Weißt du Miles, mir kam das Alles damals schon komisch vor. Ich mein, ein Bruder von deinem Schulfreund? Ernsthaft? Aber gut, ich habe dir geglaubt, egal wie komisch deine Ausreden auch waren. Ich kann einfach nicht glauben, dass du mir die ganze Zeit über ins Gesicht gelogen hast. Mir, den Einzigen den du noch hast!"

Den letzten Satz schrie er, wobei er bisher in bemerkenswerter Ruhe gesprochen hatte. Ich hatte meinen Blick wieder gesenkt und jedes seiner Worte bohrten sich wie kleine Messerstiche in mein Herz.

„Aber gut, du hast ja jetzt anscheinend eine neue Familie. Ich werde dieses Mal von einer Anzeige absehen, aber wenn wir uns das nächste Mal sehen und ich im Einsatz bin, dann werde ich unsere Verwandtschaft vergessen. Dein Vater hat mich gebeten, mich um dich zu kümmern und ich habe versagt."

Wieder machte er eine kurze Pause und mein Magen drehte sich um, bei dem Gedanke daran, was gleich kommen würde.

„Ich will, dass du verschwindest. Du bist hier in diesem Haus nicht länger willkommen. Pack deine Sachen und geh zu deinen Freunden, die werden ja mit Sicherheit hinter dir stehen", meinte er mit einem sarkastischen Lächeln. „Geh und sieh selbst, was du dir mit dieser Mitgliedschaft angetan hast." Das war das Letzte, was er sagte und ich nahm es als Aufforderung in mein Zimmer zu gehen, um das Wichtigste mitzunehmen.

Schnell lief ich die Treppe hoch, stürmte in mein Zimmer und ließ mein Blick hindurch schweifen. Aus reinem Reflex nahm ich die schwarze Reisetasche aus dem Schrank und warf unwillkürlich Klamotten, Wertsachen, wichtige Papiere und persönliche Dinge hinein. Nicht alles, nur das Wichtigste. Hier her würde ich sicher nie wieder kommen und so wurde es Zeit, sich von alten Sachen zu trennen.

Als ich wieder zu irgendwelchen Klamotten griff, bemerkte ich, dass das gar nicht meine waren.

Sie gehörten Jackson und waren noch immer blutverschmiert. Er hatte sie hiergelassen, als er an dem einen Abend bei mir war. Ohne groß darüber nachzudenken, warf ich sie ebenfalls in die Tasche, wobei eine halbleere Zigarettenpackung herausfiel. Die würde ich garantiert nicht mitnehmen!

Ungeschickt machte ich den Reißverschluss zu und hob die Tasche auf. Kurz bevor ich das Zimmer verlassen wollte, schweifte mein Blick nochmal zu der Tasche in meiner Zimmerecke, die ich bis heute nicht geöffnet hatte. Ich wusste nicht wieso, aber ich konnte mich nicht von ihr trennen und so nahm ich sie eben auch mit.

Mit zwei Taschen kam ich also die Treppen wieder runter und steuerte auf die Haustür zu.

Noch ein letztes Mal sah ich zu meinem Onkel auf dem Sofa und unsere Blicke begegneten sich. Ihn schmerzte es genauso wie mir, aber er wusste, dass ich nicht hierbleiben konnte. Also riss ich mich los und eilte hinaus in die kalte, dunkle Nacht. Hinter mir fiel die Tür für immer zu. Meine Yamaha stand noch immer in der Einfahrt, wirkte aber im Moment schrecklich glanzlos. Sie sah so aus, wie ich mich fühlte. Leblos und allein.

RIDERS ~ Burn For ThisWhere stories live. Discover now