| 41 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

124 21 10
                                    

Die Zeit schien stillzustehen, während wir uns einfach nur ansahen. Doch es waren nur wenige Sekunden und dann löste er den Blick von mir. Wahrscheinlich konnte er den Anblick nicht ertragen, wie sein einziges Familienmitglied in so eine Scheiße geraten konnte.

Der Lauf seiner Waffe war noch immer auf mich gerichtet, allerdings hatte ich eine seltsame Ruhe. Ich wusste instinktiv, dass ich keinen Schuss zu befürchten hatte.

Doch Jackson sah das anscheinend anders, denn er hatte angehalten und auch eine seiner Waffen gezückt. Klar, er hatte keine Ahnung, dass der Polizist vor mir mein Onkel war. Und im Gegensatz zu ihm war Jackson nicht so zimperlich, vor allem wenn es darum ging ein Mitglied seiner Gang zu schützen.

Mein Onkel konnte gar nicht so schnell kucken, wie Jackson ihm eine Kugel in den Oberarm gejagt hatte.

Ein stumpfer Schrei verließ meinen Mund und kalte Angst packte mich, dass ich jetzt meinen letzten, lebenden Verwandten verlieren würde. Denn wie ich Jackson kannte, würde dieser vor Mord garantiert nicht zurückschrecken. Der Schwarzhaarige setzte bereits erneut an, denn mein Onkel stand noch immer vor mir. Zwar lag die Waffe jetzt auf den Boden und er hielt sich fluchend den Arm, machte aber keine Anstalten mich fahren zu lassen.

Es war ein reiner Reflex, der mich dazu brachte loszufahren. Auf Jacksons Höhe nickte ich ihm dringlich zu und mit meinem linken Arm drückte ich gegen seinen Rücken, um ihn zum Fahren zu animieren. Zum Glück sprang er darauf an, was mich erleichtert ausatmen ließ. Wir suchten uns eine Lücke zwischen den Autos und machten uns dann auf und davon.

Die restlichen Bullen waren damit beschäftigt, die zahlreichen Biker und Rennfahrer zusammenzutreiben und daher fiel der Verlust zweier Fahrer kaum auf. Nur den Schuss hatten sie gehört, aber jetzt konnten sie daran eh nichts mehr ändern.

Mein Onkel hätte uns aufhalten können, trotz Verletzung. Aber er tat es nicht. Er sah uns einfach hinterher und sein Blick brannte sich in meinen Kopf. Noch nie hatte ich solche Schmerzen, eine Person zurückzulassen wie in diesen Moment.

Unbewusst hatte ich mich gerade entschieden. Ob ich diese Entscheidung bereuen würde, blieb abzuwarten. Nur eins wusste ich. Das war nicht das letzte Mal, dass wir uns sahen, und mir stünde ein hartes Gespräch bevor.

Wie zu erwarten fuhr Jackson nicht zur Stadt. Aber auch nicht zu unserem Hauptquartier. Nein, stattdessen schlug er eine Richtung ein, von der ich meinte, diese Straße nicht mehr zu befahren. Er fuhr zu den Überresten der alten Lagerhalle. Und ich einfach hinterher.

Ich fühlte mich, als hätte mich jemand betäubt, oder als hätte ich die härteste Prügel meines Lebens hinter mir. Irgendwie war die Nacht ein Reinfall geworden, so schön wie sie auch angefangen hatte. Erst Alecs Unfall, dann die Bullen und anschließend die Begegnung mit meinem Onkel.

An Jacksons Fahrweise erkannte ich, dass er auch nen ganz schönen Schreck bekommen hatte. Denn er fuhr schneller als sonst und weniger konzentriert. Deutlicher wurde es, als er abstieg und ich seinen gehetzten Blick sehen konnte.

Er machte sich noch nicht mal die Mühe seinen Helm abzusetzen, lediglich das Visier klappte er hoch.

Ich hingegen folgte ihm nur, ebenfalls mit geöffnetem Visier und leicht zittrigen Beinen. Der Alpha sah sich kurz um und umrundete dann den großen Haufen. Dort blieb er vor dem provisorischen Grab von John und Loan stehen. Es diente wohl dazu, Abschied zu nehmen. Auch, wenn wir Johns Leichnam nie gefunden hatten. Es war unglaublich, aber der beißende Gestank lag noch immer in der Luft von dem schrecklichem Brand.

Unschlüssig blieb ich neben ihm stehen, da ich nicht wusste, was er hier wollte. Das hatte zur Folge, dass eine ganze Weile Stille herrschte. Kam mir persönlich ganz recht, da ich erstmal das von gerade eben verarbeiten musste. Für Jackson mochte Das Alltag sein, doch für mich war es absolutes Neuland.

Mein Blick wanderte zu den beiden Gräbern. Wie hatte die Hydra den Tod der beiden überhaupt erklärt? Hatten sie Familie? Freunde? Jemanden, außerhalb der Hydra, der sie vielleicht suchte? Tausende Fragen, die ich Jackson gerne stellen wollte, doch es war nicht der richtige Moment dafür.

„Wieso hast du mich ihn nicht erschießen lassen? Er wollte dich töten, oder zumindest verletzen. Hattest du einfach nur Angst, oder war dir das Leben des Bullen etwa so wichtig?", erklang auf einmal die leise Stimme meines Nebenmanns.

Meine Hände ballte ich zu Fäusten. Vielleicht war ja jetzt der Moment der Wahrheit. „Er hätte mich nicht getötet", sagte ich seelenruhig und wunderte mich stark über mich selbst.

„Ach ja?! Woher willst du das wissen? Er mag zwar ein Bulle sein, aber denkst du ernsthaft, das hält ihn vom Schießen ab? Ich will nicht noch jemanden verlieren, Miles!", fauchte er, wurde aber immer leiser und der Blick, mit dem er mich gerade noch angesehen hatte, wurde weicher und ging zu Boden.

Erst da merkte ich, dass Jackson wohl auch psychische Probleme hatte. Die Angst, jemanden zu verlieren nackte an ihm, so wie an mir, nur anders. Vielleicht sollten wir uns gegenseitig helfen.

„Hey, es ist doch alles gut gegangen. Und der Cop hätte nie auf mich geschossen", versuchte ich ihn zu besänftigen, doch erreichte damit eher das Gegenteil.

Jetzt sah er mich wieder an und knurrte, „Wie kannst du dir da so sicher sein?"

„Weil er..., weil er mein Onkel ist, Jacks", erklärte ich fast flüsternd und konnte sehen, wie sich seine Augen erschrocken weiteten.

Nachdem er sich gefasst hatte, trat er einen Schritt zurück. „Du willst mir gerade sagen, dass der Drecksbulle, den ich gerade angeschossen habe, dein Verwandter ist?!"

Ich nickte. „Der Letzte, um genau zu sein", murmelte ich emotionslos und wir beide sahen wieder auf die Gräber. Dabei zog sich mein Magen zusammen bei dem Gedanken, was Jackson jetzt wohl von mir dachte.

„Tut mir leid", kam es dann leise und unerwartet.

Verwirrt sah ich ihn an. „Was meinst du?"

„Naja, ich könnte es mir nie vorstellen meine Eltern zu verlieren. Wir haben zwar keine große Bindung zueinander, aber..." Er seufzte. „Er ist dein letzter Verwandter und ich erschieß ihn fast", meinte er schuldbewusste und überraschte mich damit zutiefst. Ich hatte mich jetzt auf eine Ansage oder einen Wutanfall vorbereitet, aber nicht auf eine Entschuldigung.

„Schon gut, konntest du ja nicht wissen", sagte ich daher nur und mir fiel ein Stein vom Herzen.

Nun drehte er sich zu mir. „Aber warum hast du mir das nicht eher gesagt? Dein Onkel ist ein Cop! Ich mag gar nicht daran denken, was damals als ich verletzt bei euch war, passiert wäre, wenn er von mir gewusst hätte? Man Miles, du hättest mir das sagen müssen!"

Heftig zuckte ich zusammen. Meine vorherigen Vorbereitungen hatten anscheinend nichts gebracht. „Es tut mir ja leid. Aber ich hab genau deswegen nichts gesagt, weil ich genau wusste, wie du dann von mir denken würdest. Du hättest mich einfach in eine Schublade gesteckt und abgestempelt", verteidigte ich mich.

Er schüttelte kaum merklich mit dem Kopf. „Wahrscheinlich. Aber ein Anführer hat die Aufgabe seine Leute zu schützen und ich hätte damit nur meine Pflicht erfüllt." Eine unangenehme Spannung lag in der Luft. „Aber unter diesen Umständen kann ich darüber hinwegsehen. Vorausgesetzt du brichst den Kontakt zu ihm ab."

„Was?", entfuhr es mir und wieder machte sich dieses beengende Gefühl breit.

Als er meinen entsetzten Gesichtsausdruck sah seufzte er. „Ich weiß, das ist viel verlangt, vor allem in deiner Situation. Du gehst noch zur Schule und hast nur noch ihn. Aber du hast dich nun mal entschieden und du bist nicht allein, Miles. Wir sind jederzeit für sich da", versicherte er mir. Er stellte mich echt vor die Wahl.

„Ich weiß und so wies aussieht, wird er wohl auch nichts mehr mit mir zu tun haben wollen, wenn er mich nicht gleich wegsperrt", murmelte ich niedergeschlagen.

„Keine Sorge, dazu werden wir es nicht kommen lassen! Allerdings sollten wir langsam mal nach Hause. Ruf mich an, wenn es Probleme gibt oder du ne Bleibe brauchst", sagte er noch mit einem Lächeln und drehte sich dann um, nachdem er mir auf die Schulter geklopft hatte.

Ich nickte nur und fuhr dann mit ihm zusammen Richtung San Diego. Nur viel langsamer und vorsichtiger als sonst. Später trennten sich dann unsere Wege und mein Weg führte zur altbekannten Hawthorn-Street. Mit mulmigem Gefühl fuhr ich in die Einfahrt und das brennende Licht im Haus bestätigte mir, dass mein Onkel schon Zuhause war.

RIDERS ~ Burn For ThisWhere stories live. Discover now