| 4 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Müde öffnete ich die Augen. Zwar konnte ich noch ein paar Stunden schlafen, aber langes, nächtliches Motorradfahren ging auf die Knochen.

Träge quälte ich mich aus dem Bett und machte mich für die Schule fertig. Ich spielte schon mit dem Gedanken einfach zu schwänzen, aber dann hätte mein Onkel mich wahrscheinlich auseinandergerupft. Als Polizist nahm er Regeln und Gesetzte eben sehr ernst. Auch die Schulpflicht. So verließ ich lieber schnell das Haus und ging doch zur Schule.

Meine Orientierung war zwar eine Katastrophe, aber dank Ruby hatte ich mir den Weg gestern einigermaßen eingeprägt und fand schnell die Bushaltestelle. Und während ich so aus dem Fenster sah und erstmals richtig die Umgebung beobachtete, fiel mir San Diegos Schönheit schon zum ersten Mal auf. Viele Bäume zierten den Straßenrand, ebenso wie Häuser. Nichts Außergewöhnliches. Bis auf das Meer, welches hinter den Häusern zu sehen war.

Eigentlich sehr schön anzusehen, aber es war dennoch nicht meine Heimat.

Es war eine fremde Stadt, in der ich von einem Tag auf den anderen gelandet war, ohne Freunde und ohne jegliche Zuversicht auf eine gute Zukunft. Berufswünsche hatte ich keine. Auch keine Perspektive oder anderweitige Zukunftspläne. Ich lebte einfach im Hier und Jetzt. Das Einzige, was mir im Moment Freude bereitete, war das Motorradfahren, welches ich eigentlich aufgegeben hatte und mit niemanden teilen konnte. Bis gestern hatte ich nicht einmal ans Fahren gedacht.

Allerdings wusste ich, dass ich mich nicht diesem alltäglichen Scheiß beugen würde. Ich wusste noch nicht genau wie, aber ich wollte mehr vom Leben.

Das Problem dabei war nur, dass ich nicht die finanziellen Mittel hatte, um mir große Sprünge leisten zu können und ganz allein wollte ich das nicht durchziehen. Nur mein Ehrgeiz blieb.

Gestern Nacht allerdings hatte ich eine Kostprobe dieses Lebens. Es war zwar nicht mal eine Minute, aber dennoch hatte es gereicht, um mir zu zeigen, dass es das war, was ich wollte. Die Straßenrennszene bot mir alles, Geld, den Adrenalinkick und vielleicht eine Freundesgruppe.

Doch auch hier gab es Hindernisse.

Nichts im Leben war kostenlos, das wusste ich schon lange. Der Preis hierfür war eben, dass man seine Freiheit auf Spiel setzte, ein hohes Risiko einging und zusätzlich sich keine Schwäche leisten durfte. Wer erwischt wurde, hatte mit einer Strafe zu rechnen und oft waren da weitaus mehr Sachen im Spiel als harmlose Rennen. Drogen, Waffen und illegaler Handel, sowie Diebstahl waren schwer zu umgehen. Außerdem brauchte man für die Rennen ein Startkapitel. Das hatte ich auch nicht. Meine Chancen standen also recht gut. Wenn man alle vorherigen Punkte mal außer Acht ließ.

Genug Träumereien, die Schule rief.

Doch bei der High-School angekommen traf mich der Schlag. Genau vor mir stand die grüne Kawasaki von Rubys Bruder, der sie gerade zur Schule brachte. Dahinter auch wieder die rote Ducati von gestern Nacht und eine blaue Suzuki GSX-R 1000. Sie war ebenfalls stark beklebt, doch eine Gemeinsamkeit hatten sie alle. Den Hydra Aufkleber am Tank.

Als Ruby mich sah, kam sie mir freudig entgegen und ich wandte mein Blick von den Motorrädern ab und strahlte sie an.

„Hey, Miles!" rief sie fröhlich und umarmte mich. „Wie ich sehe, hast du den Weg auch ohne mich gefunden."

Ich lachte leicht und erwiderte die kurze Umarmung. „Erstaunlich, hm?" Dabei entgingen mir nicht die Blicke, die mir Ryan und seine Begleiter zuwarfen. Auch der Typ von gestern Nacht musterte mich. Unsere Blicke kreuzten sich und wieder sah er mich verachtend an. Er hatte wohl offensichtlich noch immer keine Ahnung, dass ich derjenige war, gegen den er verloren hatte. Wie denn auch? Ich hatte ja einen Helm auf.

Ruby löste sich wieder von mir. „Du wolltest doch gestern meine Nummer haben", sagte sie und reichte mir einen kleinen Zettel mit einer Handynummer drauf.

„Danke.", lächelte ich und nahm den Zettel freudig entgegen.

Ruby packte mich daraufhin am Arm und wollte mich ins Schulgebäude zerren, doch da machte ihr Bruder offenbar nicht mit. Dieser hatte bis eben mit dem weißhaarigen Typ auf der Suzuki gesprochen und kam nun mit misstrauischem Blick auf uns zu. Dabei lief es mir kalt den Rücken hinunter. Er war nur ein kleines bisschen größer als ich, aber etwas älter und irgendwie angsteinflößender. Seine grünen Augen sahen Rubys dabei sehr ähnlich und hatten beinahe denselben Farbton wie die Verkleidung seiner Ninja.

„Wartet mal kurz", sagte er ruhig, aber bestimmt und drückte seine Hand demonstrativ gegen meine Schulter.

„Ryan-", meckerte Ruby, wurde jedoch von ihrem Bruder unterbrochen.

„Keine Sorge, Ich will mich nur mit ihm unterhalten", erklärte er, doch die Rothaarige sah ihn nur zweifelnd an. „Ich tu ihm schon nichts, versprochen", versicherte er daraufhin genervt. Da war ich mir nur nicht so sicher. Ruby offensichtlich auch nicht, aber dennoch ging sie ins Gebäude und ließ mich bei ihrem Bruder zurück.

Dieser sah ihr lächelnd hinterher, doch als sie weg war und er seine Aufmerksamkeit wieder mir schenkte, verschwand der freundliche Ausdruck. „Ok, Kleiner. Ruby hat mir schon viel von dir erzählt und offenbar mag sie dich. Ich hab auch kein Problem damit... nur..." Kurz holte er Luft und suchte wohl nach den richtigen Worten. „Solltest Du ihr wehtun oder nur mit ihr spielen, dann mach ich kurzen Prozess mit dir, verstanden?"

Eingeschüchtert nickte ich. „Ich hab nicht vor, mit ihr zu spielen."

„Gut, denn-"

„Ryan, komm endlich!" rief der Schwarzhaarige ungeduldig und startete seine Ducati. Gestresst knurrte der Braunhaarige mir gegenüber und wandte sich schließlich ab, warf mir aber noch einen drohenden Blick zu. Dann fuhren sie mit lauten Motorengeräuschen los.

Noch lange hörte ich sie und entspannte mich erst jetzt. Hatte der Typ mir gerade wirklich gedroht?! Fassungslos starrte ich zur Straße. Was stimmte mit dem denn nicht? Klar, er wollte nur seine Schwester beschützen, aber man musste ja nicht gleich übertreiben. Wenigstens war seine Sorge unbegründet. Ich würde garantiert nicht mit Ruby spielen und falsche Hoffnungen würde ich erst recht nicht machen, schließlich war ich auch interessiert. Was das Verletzten jedoch anging... für so etwas konnte keiner garantieren.

Noch leicht perplex, schüttelte ich kurz den Kopf und lief ebenfalls in das Gebäude. Dank des Plans fand ich den Kursraum recht schnell.

Der Unterricht verlief wieder einmal schleppend und meine Gedanken kreisten immer wieder zu den Typen und ihren Maschinen, die mein Interesse geweckt hatten. Ebenso wie der Aufkleber. Vielleicht wusste ja Ruby was? Motiviert wartete ich auf sie im Flur und gemeinsam setzten wir uns in die Kantine.

„Was hat mein Bruder vorhin eigentlich gesagt?", wollte sie wissen und biss nebenbei in ihren Burger.

Ich entfernte unschlüssig den Salat von meinem. „Nicht viel, aber er war sehr deutlich."

„War klar", seufzte sie und verdrehte die Augen. „Er ist eigentlich ganz chillig, nur bei manchen Themen ist er halt etwas kratzbürstig."

Zustimmend lachte ich. „Sag mal, Ruby...", fing ich zögernd an und nahm meinen Burger in die Hand, „Was bedeutet eigentlich der Hydra Aufkleber am Tank deines Bruders?"

RIDERS ~ Burn For ThisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt