"Morgen Abend"

6.2K 299 39
                                    

Morgen Abend..

"Wollt ihr mich jetzt eigentlich komplett verarschen?" schreie ich meine Eltern an. Noch bevor einer der beiden auf meine Aussage reagieren kann, mache ich weiter. "Ihr kommt hierher, nachdem ihr drei Wochen weg wart und tut so als wäre alles heile Welt! Ihr lernt meinen Freund kennen und versteht euch sofort super mit ihm! Einen Tag später wollt ihr mir dann sagen, dass ich mich von ihm trennen soll, weil ihr von nichts auf jetzt zurück nach London wollt! Für ein verdammtes halbes Jahr! Ich kann doch nichts für das, was in London passiert! Ich bin nicht schuld daran, aber soll jetzt dafür büßen!" die Worte sprudeln aus mir heraus. Ich muss einfach genau das aussprechen, was mir im Kopf herumschwirrt.

"Melanie, ich bitte dich! Achte darauf wie du mit uns sprichst!" ermahnt mich mein Vater ernst. "Wie bitte soll ich den eurer Meinung nach reagieren?" will ich lautstark wissen. "Du solltest Verständnis haben" entgegnet meine Mutter leise. "Ist das dein Ernst?" frage ich sie fassungslos. "Ich soll Verständnis haben? Ich für euch, aber ihr nicht für mich?" füge ich hinzu und klammere mich fester an Luke. Dieser sitzt wortlos neben mir und hält mich fest in seinem Arm.

"Wir haben doch Verständnis für dich, Schätzchen" meint mein Vater. Das glaubt er doch selbst nicht. "Ach ja?" lache ich falsch. "Natürlich habt ihr Verständnis" füge ich ironisch hinzu. Können Menschen wirklich so naiv sein? "Ihr habt so viel Verständinis für mich, dass ihr mir sogar vorschlagt, dass ich mich nach kurzer Zeit wieder von dem Jungen trennen soll, den ich liebe. Ihr schlagt vor, dass wir eine Pause einlegen sollten, da wir nach einem halben Jahr schließlich wieder zusammenkommen können. Ihr schlagt mir vor, dass ich alles, was ich in so kurzer Zeit gewonnen habe, einfach hinter mir lasse. Ihr schlagt mir vor, dass ich mein Leben aufgeben soll, nur weil in eurem etwas nicht so läuft, wie es sollte. Genau das verstehe ich unter vollstem Verständnis, natürlich doch" halte ich meine Rede, von der ich hoffe, dass sie meine Eltern zeigt, dass die beiden einen völligen Knall haben.

"Nichts gegen dich, Luke. Du bist ein wirklich toller Junge und meine Tochter kann sich glücklich schätzen, dich zu haben" sagt mein Vater an Luke gerichtet. "Ich habe das größte Glück" erwidert Luke sofort. Nicht einmal sein aufmunterndes Lächeln kann mich im Moment dazu bringen, mich wieder zu sammeln. "Aber Melanie, du musst einsehen, dass es im Moment wichtiger ist, die Firma in London nicht zu verlieren" versucht mein Vater mir klarzumachen.

"Es ist mir scheiß egal, was mit der Firma in London ist!" schreie ich ihn an und klammere mich noch fester an meinen Freund. Er ist im Moment meine einzige Stütze. "Wir haben verdammt nochmal genug Geld! Wir haben eine zweite verfickte Firma hier in Sydney!" füge ich hinzu. "Mel, beruhig dich, bitte" flüstert mir Luke ins Ohr.

Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich erneut angefangen habe zu weinen. Aber diese Tatsache ist mir egal, ich darf mich jetzt nicht darauf konzentrieren. Ich darf nicht einfach schwach werden, nicht noch schwächer, als ich es ohnehin gerade bin.

"Melanie, ich bitte dich. Wenn wir die Firma in London verkaufen müssen, dauert es nicht lange, bis wir auch Sydney schließen müssen" sagt meine Mutter und sieht mich enttäuscht an. Ich weiß, dass sie enttäuscht über meine Reaktion ist, aber ich habe volles Recht so zu reagieren. "Als ob" ist alles, was mir zur Aussage meiner Mutter einfällt. Meine Eltern tun gerade so, als ob wir bald pleite wären und auf der Straße leben müssten.

"Ich werde nicht mit nach London kommen, vor allem nicht morgen Abend" stelle ich klar. Meine Eltern können mich schließlich nicht dazu zwingen. „Melanie Summer! Wir sind deine Eltern und solange du unter unserem Dach wohnst und nicht volljährig bist, bestimmen immer noch wir, was du tust!" entgegnet meine Mutter ernst.

"Dann zieh ich eben aus!" kontere ich ebenso ernst und meine Mutter sieht mich geschockt an. Was meine Eltern können, kann ich schon lange so. "Sehr witzig, Fräulein. Darf ich fragen wo du mit siebzehn Jahren hinziehen willst?" will mein Vater wissen und klingt belustigt. Er glaubt wirklich, dass ich es nicht ernst meine. Aber ich meine, was ich gesagt habe, vollkommen ernst. "Glaub mir, ich werde schon eine Bleibe finden. Selbst wenn ich auf der Straße schlafen muss, ist mir Sydney immer noch lieber als London" entgegne ich und sehe meinen Vater ernst an. Sofort verändert sich seine Miene und er sieht nicht mehr glücklich und belustigt aus.

"Solange du noch keine achtzehn bist, ziehst du nicht von Zuhause aus!" sagt mein Vater nun etwas lauter und sieht mich ernst an. Ich kann seinen Blick nur spiegeln. "Es ist nur noch ein verdammter Monat!" kontere ich. Morgen in genau einem Monat bin ich volljährig. Morgen in einem Monat kann ich tun und lassen, was ich will. "Dieses Gespräch ist jetzt beendet. Du kommst morgen Abend mit nach London und bleibst auch dort!" sind die letzten Worte meines Vaters, bevor er aufsteht und das Wohnzimmer verlässt. Meine Mutter folgt ihm, nachdem sie mir noch einen enttäuschten Blick geschenkt hat.

xxx

"Ich hasse sie!" schreie ich, nachdem ich mich erneut bei Luke ausgeheult habe. Er saß die gesamte Zeit über nur da, hat mich im Arm gehalten und kein einziges Wort gesagt. Er wusste ebenso wenig wie ich, was er machen sollte. Er konnte einfach nichts machen.

"Versuch morgen nochmal mit ihnen zu reden" sind Lukes erste Worte nach einer gefühlten Ewigkeit. "Das bringt nichts" sage ich verzweifelt. "Es war von Anfang an klar, dass wir zurückgehen werden, wenn in London etwas nicht gut läuft" erkläre ich ihm und versuche die Tränen, die sich erneut in meinen Augen ansammeln, zu unterdrücken. "Du wusstest also, dass du eventuell zurückgehen musst?" fragt Luke mich neugierig. Ich nicke als Antwort. "Ich habe in hundert Jahren nicht erwartet, dass diese Tatsache eintreffen wird. Ich habe gar nicht mehr daran gedacht" füge ich ehrlich hinzu. Ich habe wirklich kein einziges Mal darüber nachgedacht, ich war zu sehr in meiner eigenen Welt versunken.

"Ich glaube es wäre besser jetzt zu gehen" sagt Luke daraufhin. "Was?" bringe ich ungläubig heraus. Will er mich gerade jetzt wirklich alleine lassen? "Es bringt doch nichts mehr hier zu bleiben. Es belastet dich nur noch mehr" antwortet  Luke und hält mich immer noch in seinen Armen. "Ich brauch dich" sage ich, heraus kommt allerdings nur ein Flüstern. "Ich brauch dich doch auch" entgegnet Luke sofort und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.

"Warum willst du mich dann alleine lassen?" frage ich ihn verzweifelt. Verzweiflung ist alles, was ich in diesem Moment fühle. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. "Wer hat gesagt, dass ich dich alleine lassen will?" will Luke wissen und schaut mich verwirrt an. "Du hast gesagt, es ist besser wenn du jetzt gehst" wiederhole ich seine Worte von eben. "Ich habe gesagt: Es wäre besser jetzt zu gehen. Wir beide. Es wäre besser, wenn wir beide jetzt gehen. Du hälst das hier doch nicht mehr aus" erklärt Luke mir genauer. Seit langem erscheint wieder ein Lächeln auf meinen Lippen. Auch wenn es nur klitzeklein ist, ist es da.

"Ich liebe dich so sehr, Luke" sage ich. Ich bin so dankbar ihn zu haben, ich kann mir nicht vorstellen, ihn nicht mehr bei mir zu haben oder ihn komplett zu verlieren. Vor allem nicht schon morgen Abend..

xxx

Der Bruder meiner besten Freundin ~ Luke HemmingsWhere stories live. Discover now