Kapitel 27 - Filmriss

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Beim Mittagessen brachte ich keinen einzigen Bissen herunter und wäre am liebsten geflüchtet. Sowohl vor den mitleidigen Blicken meiner Freunde, als auch vor dem Getuschel der anderen. Ich hatte das Gefühl, jedes gesagte Wort drehe sich um mich und meine Mum. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus.

„Ich muss hier raus", murmelte ich, stand auf und verließ so beherrscht wie möglich den Speisessaal. Erst auf dem Gang begann ich zu rennen, nur um in der nächsten Sekunde mit James zusammenzustoßen, der offensichtlich auf dem Weg dorthin war, wo ich gerade herkam.

„Vorsicht", mahnte er und trat ein Stück zur Seite.

„Tut mir leid", entschuldigte ich mich hastig. „Ich ..."

„Du wolltest zu deiner Mutter und hast es da drin nicht mehr ausgehalten."
Verblüfft starrte ich den muskulösen Wächter an. Wieder einmal davon überzeugt, er könne Gedanken lesen.

„Ich komme gerade aus dem Krankenflügel. Deine Mutter ist aufgewacht und fast schon wieder auf den Beinen." Vor Erleichterung fiel mir ein ganzer Berg von Steinen vom Herzen und ich atmete hörbar aus.

„Danke", rief ich noch und war schon losgestürmt. Binnen Sekunden erreichte ich außer Atem den Krankenflügel und riss beinahe die Tür aus den Angeln.

„Mum!"

Meine Mutter saß angezogen auf dem Bett. Sie war noch ein wenig blass um die Nase, doch ansonsten hatte James nicht übertrieben.

„Hannah", entgegnete sie lächelnd und erhob sich. Ohne zu zögern warf ich mich in ihre Arme und sog ihren vertrauten Duft ein. Aus unerklärlichen Gründen stiegen mir Tränen in die Augen.

„Ich hatte solche Angst", brachte ich mit bebender Stimme hervor und unterdrückte ein Schluchzen.

„Hey, Süße, nicht weinen. Es geht mir gut", murmelte meine Mum sanft an mein Ohr und streichelte meinen Rücken.

„Aber du wärst fast gestorben."

„Du sagst es. Fast. Bis auf meine Magie ist noch alles an mir dran." Ich schniefte und ließ sie frei. Mit dem Handrücken wischte ich mir die Tränen von den Wangen.

„Ach, Hannah", seufzte sie und sah irgendwie schuldbewusst aus, obwohl sie doch gar nichts dafür konnte.

„Schon gut, Mum", beschwichtigte ich sie. „Mir sitzt der Schreck wohl immer noch in den Knochen."

Schritte näherten sich und schon an dem Klappern der Absätze erkannte ich Direktorin Frey. Die Geräusche verstummten und ich drehte mich um. Man sah ihr deutlich an, dass die letzten Stunden stark an ihren Nerven gezerrt hatten. Eine Weile blieb es still, während die Direktorin und meine Mum sich ansahen, doch dann holte Mrs. Frey tief Luft.

„Es tut mir so leid, Helen." Ihre Stimme zitterte.

„Nein, mir tut es leid", erwiderte meine Mum leise, ging auf ihre Freundin zu und umarmte sie.
Ich lächelte und stahl mich unbemerkt davon. Die beiden würden jetzt eine Menge zu bereden haben. Im Flur atmete ich noch einmal tief durch, schloss kurz die Augen und entschied mich schließlich dafür, in die Bibliothek zu gehen.

In unserer Ecke traf ich auf Mara, Ethan und Will, die bei meinem entspannten Gesichtsausdruck erwartungsvoll und fragend die Augenbrauen hochzogen.
Ich ließ mich seelenruhig auf meinen Platz fallen, bevor ich mit den Neuigkeiten herausrückte.

„Meiner Mum geht es gut."

„So ein Glück", seufzte Mara. „Und wie hat sie es aufgenommen? Ich meine das mit der Magie?"

„Ganz gut", antwortete ich und merkte wie Will unter dem Tisch meine Hand drückte. Dankbar lächelte ich ihn an und genoss das sanfte Kribbeln seiner Wärme auf meiner Haut.

Academy for Elementarys 1 - Verborgene KräfteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt