Kapitel 12 - Tränen ohne Ende

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Dem ersten Tag nach den Ferien sah ich mit einer Mischung aus Freude und Unwillen entgegen. Freude darüber, dass ich Mara, Ethan und Will endlich in Person wiedersehen würde, Unwillen bezüglich des frühen Aufstehens und des Unterrichts gegenüber. In meinen Mantel gekuschelt, wartete ich vor dem Hauptgebäude auf die ersten Busse. Mara war die erste, die ich erblickte. Sie zerrte ihren Koffer ins Freie, pustete sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und sah sich um. Ich winkte ihr zu, während sie mit dem ihr üblichen Strahlen auf mich zugestürmt kam, den Koffer links liegen ließ und mich beinahe über den Haufen warf. Lachend stolperten wir ein paar Schritte nach hinten, ehe ich meinen Stand wiederfand.

„Ich habe dich auch vermisst", meinte ich.

„Bin ich die erste?", fragte sie. Ich nickte. Während wir gemeinsam auf Ethan und Will warteten, erzählte sie mir beinahe ohne Luft zu holen von ihren letzten Ferientagen. Wie hatte mir ihre positive Energie gefehlt. Als nächstes traf Ethan ein. Er hatte eine neue Brille, die ihm ausgesprochen gut stand. Mara schien das ähnlich zu sehen, denn sie verteilte sofort Komplimente, die ihm die Röte in die Wangen steigen ließen. Schließlich stupste sie mich an.

„Schau mal, wer da ist." Es war Will. Augenblicklich begann mein Magen zu kribbeln wie Sprudelwasser in einem Glas.

„Ich werde ihm jetzt aber nicht um den Hals fallen wie du mir", entgegnete ich betont gelassen. Dabei hätte ich am liebsten genau das getan. Stattdessen geduldete ich mich, bis er sich durch die anderen ankommenden Schüler zu uns durchgedrängt hatte.

„Hi." Ich lächelte.

„Selber hi."

„Ihr seid süß." Mara grinste. „Ihr findet uns in unseren Zimmern, nicht wahr Ethan?" Damit zog sie ihn mit sich. Etwas befangen stand ich Will gegenüber, unschlüssig, was ich jetzt tun sollte, doch er nahm mir die Entscheidung ab, indem er den Abstand zwischen uns eliminierte und mir einen sanften Kuss auf die Lippen drückte. Er war viel zu kurz, um ihn richtig genießen zu können, doch mein Pulsschlag war trotzdem in die Höhe geschnellt.

„Schön wieder hier zu sein", meinte er.

„Du freust dich auf den Unterricht?", erwiderte ich gespielt entsetzt.

„Natürlich. Du etwa nicht? Keine Lust auf Lernen, Aufsätze und Tests? Das kann ich nicht glauben." Seine Stimme troff vor Ironie. Lachend verdrehte ich die Augen, nahm seine Hand und wir machten uns auf den Weg ins Haupthaus. Die erste Stunde des Tages begann zum Glück erst um elf Uhr, damit alle Schüler in Ruhe ankommen und auspacken konnten. Leider verflog die Zeit bis dahin viel zu schnell. Und zu allem Überfluss hatten Mara und ich direkt Kampftraining. Derek Hilbour kannte keine Gnade. Er triezte uns schlimmer als je zuvor, um uns die Faulheit der Feiertage aus den Gliedern zu treiben. Bereits nach einer halben Stunde war ich völlig außer Atem und schwitzte gefühlt aus allen Poren. Zwischendurch ließ er uns mit unseren Übungen allein und als er wieder auftauchte, wirkte er angespannt. Weil er direkt auf Mara und mich zusteuerte, verspannte auch ich mich und verpatzte die Schrittfolge mit Bravour.

„Hannah?" Mara und ich unterbrachen unser Training. Nervös blickte ich unseren Kampflehrer an.

„Ja?"

„Direktorin Frey verlangt nach dir. Es geht um deine Mutter." Sofort ballte sich ein Klumpen in meinem Magen zusammen.

„Was ist mit ihr? Ist ihr etwas zugestoßen?" Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme eine halbe Oktave in die Höhe kletterte. Mr. Hilbour seufzte.

„Sie wurde angegriffen." Ein Rauschen setzte ein. Das Trainingsschwert glitt mir aus den Fingern. Das durfte nicht passiert sein.

„Wo ist sie?"

Academy for Elementarys 1 - Verborgene KräfteTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon