Kapitel 22 - Eine Feder aus Saphir

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Und dann würde ich mir hoffentlich nicht den Kopf darüber zerbrechen, was mit den verfluchten Fotos geschehen war. Wenn ich ehrlich war, dann war es eigentlich kein Weltuntergang, doch ich hatte ein großes Risiko auf mich genommen und endlich Antworten gewollt. Vorerst würde ich es für mich behalten, denn auf wilde Verschwörungstheorien seitens meiner Freunde hatte ich wirklich keinen Nerv.

Als ich dann endlich unter der heißen Dusche stand und die Anspannung meiner Muskeln sich löste, spürte ich eine bleierne Müdigkeit in mir aufwallen und unterdrückte ein Gähnen. Sauber und in Jogginghose und Pullover kuschelte ich mich in mein Bett und schlief tatsächlich ein. Mein knurrender Magen weckte mich einige Stunden später und ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es Zeit fürs Abendessen war. Während des Essens ließ ich mich von Maras aufgeweckten Erzählungen über ihr heutiges Kampftraining einlullen und war froh, endlich wieder in meinem Zimmer zu sein.

Und dann brachen die letzten Wochen vor den Weihnachtsferien an. Seit Anfang Dezember wurde die Akademie in eine weiße Schneedecke gehüllt und die Temperaturen waren stark gefallen. Trotz der eisigen Kälte ließ ich es mir nicht nehmen, am Wochenende zusammen mit Mara über den glitzernden Campus zu schlendern und mit meinen Kräften kleine Wirbel aus Schnee zu formen. Bedauerlicher Weise rissen die Fälle von Magieverlust nicht ab und inzwischen gab Derek schon zwei Kurse in Kampftraining. Ab und an, wenn ich ein bisschen Zeit fand, besuchte ich die Feenlichtung, wie ich sie getauft hatte und ließ mich vom sanften Plätschern des Wassers davontragen. Einmal hatte ich auch Will dort angetroffen und wir hatten uns in stillem Einvernehmen ins Gras gelegt.

Alle Lehrer schienen sich vorgenommen zu haben, ihre letzten Tests alle in eine Woche zu legen und Mara und ich lieferten uns mehr als einmal einen preisverdächtigen Jammerwettbewerb. Uns rauchten die Köpfe, nachdem wir Tag für Tag irgendwelches Wissen in unser Gehirn hineinprügelten.

„Ich kann nicht mehr", stöhnte ich in der letzten Schulwoche und ließ mich rücklinks auf Maras Bett fallen, während das Buch über mythologische Geschichte lustlos neben mir landete.

„Mein Kopf schwirrt immer noch von Mr. Harris Mathetest. „Wie soll man bitte von partieller Integration auf nordische Götter und ihre Eigenschaften umschalten?"

„Jetzt hab dich nicht so und sag mir lieber, wen Loki mit seiner Geliebten Angurboda zeugte", entgegnete Mara, doch ich war noch nicht fertig.

„Und wie kann Direktorin Frey es wagen, am letzten Tag vor den Ferien einen Test zu schreiben?"

„Es waren die Ungeheuer Fenriswolf, Hel und die Midgardschlange", beantwortete Mara die Frage selbst und sah mich leicht vorwurfsvoll an.

„Ich habe genauso wenig Lust wie du, aber das werden wir jetzt auch noch schaffen. Und zur Belohnung gehen wir am Wochenende shoppen." Sie grinste freudig.

„Shoppen?"

„Kleider für den Ball. Schon vergessen? Hast du eigentlich schon einen Partner?"

„Nein", erwiderte ich gedehnt.

„Was ist mit Will?" Ihre Augen funkelten neugierig.

„Ich dachte, ich sollte mich von ihm fernhalten", konterte ich.

„Ach weißt du, eigentlich scheint er ganz in Ordnung zu sein."

„Genau." Ich schmunzelte amüsiert.

„Nein, im Ernst. Ich sehe doch, dass du ihn magst und er dich offensichtlich auch. Also lass nicht zu, dass Ashley ihn dir vor der Nase wegschnappt."

„Lokis schlimmstes Verbrechen war es, den blinden Hödur dazu anzustiften, auf Baldur mit einem Mistelzweig zu zielen, wobei der strahlende junge Gott zu Tode kam. Als das Maß voll war, bestraften die Götter Loki, indem sie ihn an einen Felsen schmiedeten und das Gift einer Schlange in sein Gesicht träufelten", versuchte ich vom Thema abzulenken und rollte mich auf den Bauch.

„Sag mir Bescheid, wenn er dich gefragt hat", meinte Mara und sah dabei so sicher aus, dass ich schon glaubte, sie könne in die Zukunft sehen.

„Klar", machte ich und widmete mich wieder meinem Geschichtsbuch, doch konzentrieren konnte ich mich kaum, denn immer wieder schweiften meine Gedanken ab und ich malte mir aus, wie Will mich tatsächlich fragen würde.

Als wir am Freitagnachmittag aus Direktorin Freys Unterricht traten, atmete ich erst einmal tief durch.

„Ferien", seufzte ich erleichtert und Mara hakte sich bei mir unter.
„Endlich."

Wir waren nicht die einzigen, die sich freuten. Überall in der Akademie herrschte eine beschwingte, vorweihnachtliche Stimmung und alle redeten nur noch vom immer näher rückenden Ball. Vor Maras Zimmer trennten wir uns und verabredeten uns beim Mittagessen. Dann bog ich in den Gang, in dem mein Zimmer lag und erschrak, als ich die offene Tür erblickte.

„Was zur Hölle?"

Mir die schlimmsten Dinge ausmalend stürmte ich los und ließ meinen Blick hektisch durch den Raum schweifen, aber alles lag noch an seinem Platz. Da legten sich ein Paar Hände von hinten auf meine Augen und ich unterdrückte einen Aufschrei.

„Will?", fragte ich zögerlich und wagte nicht, mich zu bewegen.

„Richtig", raunte eine Stimme nahe an meinem Ohr und ich schauderte.

„Was machst du hier?", wollte ich wissen und entwand mich seinen Händen. Mit in die Seite gestemmten Fäusten starrte ich ihn herausfordernd an.

„Mach die Augen zu."

„Hä?"

„Mach die Augen zu."

„Ich habe wirklich keine Lust auf irgendwelche Spielchen", wehrte ich ab.

„Mach die Augen zu", wiederholte er geduldig und ich sah ein, dass es keinen Sinn machte, ihm zu widersprechen. Mit geschlossenen Augen und aufgeregt pochendem Puls wartete ich ab. Dann spürte ich seine Finger, die mir meine Haare aus dem Nacken schoben und schließlich legte sich etwas Kühles um meinen Hals.

„Du kannst wieder gucken." Langsam öffnete ich meine Augen und sah auf meinen Ausschnitt. Dort glitzerte eine zarte Kette aus Silber, an deren Ende ein Anhänger in Form einer Feder aus Saphir hing. Das Licht brach sich in dem Stein und brachte ihn zum Funkeln.

„Wow", hauchte ich. „Aber die kann ich unmöglich annehmen."

„Natürlich kannst du, denn sonst müsste ich sie Ashley schenken und mit ihr zum Ball gehen." Er schenkte mir sein besonderes Lächeln und ich schmolz dahin.

„Untersteh dich", warnte ich ihn.

„Also, begleitest du mich?"
Da fragte er noch?

„Ja."

„Das wollte ich hören." Und da kehrte er wieder sein selbstbewusstes Ego heraus.
„Und warum fragst du mich dann noch?"

„Ich brauchte die Bestätigung."

Belustigt verdrehte ich die Augen und strich behutsam über den Kettenanhänger.
„Sie ist wirklich wunderschön. Danke."

„Natürlich ist sie das."

„Will!"

„Was?"
Unschuldig blinzelte er mich an und sah dabei so unwiderstehlich aus, dass ich mich nicht mehr beherrschen konnte. Er musste es mir angesehen haben, denn bevor ich mich bewegen konnte, zog er mich an sich und küsste mich sanft. Mein Herz vollführte ein Doppelsalto und tausend verschiedene Gefühle explodierten in mir, sodass meine Knie weich wurden. Ich schlang meine Arme um seinen Nacken und erwiderte den Kuss vorsichtig. Es war ein unglaubliches Gefühl und eine wohlige Wärme strömte durch meinen Körper. Viel zu schnell löste er sich wieder von mir und sah mir intensiv in die Augen. Ich versuchte, meinen schnellen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen, während meine Lippen angenehm kribbelten.
„Zieh was Dunkelblaues an", raunte er noch und ließ mich völlig überwältigt zurück.       

Academy for Elementarys 1 - Verborgene KräfteWhere stories live. Discover now