Kapitel 4 - Alles verschwiegen

8.2K 477 25
                                    

Wieder überkam mich die Sehnsucht nach ihr und plötzlich war mir der Appetit vergangen. Lustlos legte ich das Besteck zur Seite und versank in Gedanken. Lose Fetzen wirbelten durch meinen Kopf, doch keiner ließ sich fangen.

,,Ähm, Hannah", riss Mara mich aus meiner Starre und ich hob verwirrt den Blick.

,,Eiskönigin im Anmarsch", flüsterte sie und ich runzelte die Stirn. Wer?

,,Hannah, in mein Büro", beantwortete sich meine Frage von selbst und ich versteift mich. Ja, Eiskönigin passte bei Elara Frey wie die Faust aufs Auge. Langsam erhob ich mich spürte die neugierigen Blicke der anderen Schüler auf meiner Haut wie Nadelstiche. Mara drückte aufmunternd meinen Arm und ich brachte ein dankbares Lächeln zustande. Mit geradem Rücken folgte ich der Direktorin aus dem Speisesaal voller gaffender Schüler. Dass sie mich so vorführte, war wirklich unnötig und ich biss mir auf die Lippen.

Durch endlose Gänge voller Statuen und Gemälde brachte sie mich zu einem, zu ihrem Büro. Der Raum war genauso einschüchternd wie sie und wieder fühlte ich mich klein.

,,Setz dich", sagte Direktorin Frey  kühl und ich gehorchte. Dann reichte sie mir einen dünnen Hefter mit Blättern, die ich durchschauen sollte. Darunter mein Lebenslauf, diverse Zeugnisse und ärztliche Unterlagen. Mein Mund war trocken und ich schluckte. Woher hatte sie diese Informationen? Das letzte Papier war mein Stundenplan. Mythologische Geschichte, Englisch, Kampftraining, Beherrschung der Luftmagie, Mathe, Naturwissenschaften wie Biologie und Chemie sowie Deutsch als Fremdsprache

,,Ich denke, dass James dich bereits mit einigen Regeln vertraut gemacht hat und du dich daran halten wirst. Zudem ist es dir nicht gestattet mit anderen Menschen über diesen Ort hier sowie unsere Kräfte zu sprechen." Ich nickte und zwang mich ihr in die Augen zu blicken.

,,Du musst wissen, dass es Menschen gibt, die nach unserer Macht gieren und dafür auch über Leichen gehen. Deswegen: Je weniger von uns wissen, desto sicherer ist es." Na toll. Jetzt musste ich auch noch aufpassen, dass mich niemand umbrachte, wegen meiner Kräfte. Wirklich klasse.

,,Der Unterricht beginnt um halb acht. Es ist nicht erlaubt das Akademiegelände zu verlassen, außer an bestimmten Tagen. Solltest du deine Kräfte gegen einen anderen Schüler richten, wird das streng bestraft." Scheinbar ohne Luft zu holen, ratterte sie alle Verbote und Gebote hinunter. Niemals würde ich mir das alles merken. Schließlich fixierte sie mich aus ihren grünen Augen.

,,Du darfst jetzt zu deiner Mutter."

Mein Herz schlug ein Salto und ich sprang förmlich vom Stuhl. Hastig folgte ich ihr zu einem weiteren Raum und knetete ungeduldig den Saum meines Shirts, während sie die Tür öffnete.
,,Eine Stunde", sagte sie knapp und drehte sich auf dem Absatz um. Ich stürmte in das Zimmer und fiel meiner Mutter erleichtert um den Hals. Ihre sanfte Umarmung trieb mir seltsamer Weise die Tränen in die Augen und ich schniefte leise.
Nach etlichen Minuten machte ich mich los und mein Blick blieb an ihrer Lippe hängen. Sie war dick und blutverkrustet.

,,Mum", hauchte ich erschüttert, doch sie schüttelte nur den Kopf.

,,Es geht mir gut, Süße."

,,Aber ...", setzte ich protestierend an, wurde jedoch davon abgehalten, als sie mich zu ihrem Bett führte und mich eindringlich ansah. ,

,Hannah, ich sollte dir einiges erklären. Ich weiß nicht, wie viel Elara dir schon erzählt hat, aber wir sind anders." Ihre saphirblauen Augen ruhten sanft auf mir, während ich ihr neugierig lauschte.

,,Genau wie du, besitze ich Luftkräfte. Wir können Dinge bewegen, Winde erzeugen und sehr mächtige Elementarys haben sogar die Macht das Wetter zu kontrollieren. Das macht sie gefährlich. Das macht uns gefährlich. Von Geburt an werden wir dazu ausgebildet unsere Magie gegen das Böse zu richten und es zu vernichten. Als ich deinen Vater kennenlernte, befanden sich die Elementarys im Kampf gegen die Gefolgsleute von Raven Dragoni. Er ist der einzige, der zwei Gaben ausnahmslos beherrscht. Feuer und Erde."

,,Aber Direktorin Frey ...", warf ich mit einem Stirnrunzeln ein und erinnerte mich an Maras Worte. Meine Mutter seufzte und Traurigkeit trübte ihren Blick.

,,Elara ... Elaras Kräfte sind unglaublich stark. Und sie ist die einzige, die es tatsächlich mit Raven Dragoni aufnehmen könnte. Jedenfalls verliebte ich mich auf der Stelle in ihn. Das mag dir vielleicht kitschig erscheinen, doch es war Liebe auf den ersten Blick. Ein Jahr später wurde er von Ravens Gefolge ermordet, noch bevor ich ihm von dir erzählen konnte."

Ihre Stimme versagte und sie holte tief Luft. Ich blinzelte angestrengt und griff nach der Hand meiner Mutter.
,,Von da an beschloss ich, den Elementarys den Rücken zu kehren. Ich konnte nicht zulassen, dass du ein Ähnliches Schicksal erleiden würdest. Von heute auf morgen brach ich sämtliche Kontakte ab und verschwand. Jedes Jahr, das verging, lebte ich in Angst, sie könnten uns finden. Und jedes Jahr malte ich mir aus, was dann passieren würde. Deswegen zogen wir immer wieder um. Deswegen nahm ich dir die Chance ein normales Leben zu führen und Freunde zu finden. Es tut mir leid."
Ein Träne rollte aus ihren Augenwinkeln und sie wischte sie hastig weg.

,,Das muss dir nicht leid tun", erwiderte ich leise und umarmte sie.

,,Aber eines würde mich noch interessieren", platzte ich dann heraus. Sie schaute mich fragend an.

,,Du und auch die Direktorin sprecht so, als würdet ihr euch kennen. Ist das so?" Meine Mum nickte und ein Schatten huschte über ihr Gesicht.

,,Elara und ich waren beste Freundinnen. Ihr konnte ich alles anvertrauen, denn ich wusste, sie würde schweigen. Andersherum lief es genauso. Im Kampf waren wir zusammen unbesiegbar. Dann stellte sich heraus, dass sie zusätzlich zu ihren Luftkräften auch Wassermagie besaß. Es war ein Schock. Sie hat das nie gewollt. Natürlich unterstützte ich sie wo ich konnte, doch als dein Vater starb und ich alles zurückließ, verließ ich auch sie. Ohne ein Wort des Abschieds. Ich habe ihr furchtbar wehgetan. Das bereue ich jeden Tag. Diese Kälte in ihrem Blick bringt mich um und sie war schon immer eine Meisterin, wenn es um das Verstecken ihrer Gefühle ging. Niemals könnte ich wieder gutmachen, dass ich ihr so etwas angetan habe."
Ich schwieg betroffen und das Bild, welches ich von Elara Frey hatte, veränderte sich deutlich. Aus der kalten Eiskönigin wurde eine verletzte Frau, die sich selbst zu schützen versuchte.

,,Das tut mir so leid", meinte ich und es war mir ernst.

,,Vielleicht kann sie mir irgendwann verzeihen", murmelte meine Mum mehr zu sich selbst und seufzte wieder. Dann hockten wir schweigend auf dem Bett, mein Kopf lehnte an ihrer Schulter und sie streichelte mir übers Haar. Ich genoss ihre Nähe und schloss die Augen. Die Zeit floss träge dahin, bis die Tür mit einem unsanften Ruck geöffnet wurde und Direktorin Freys schlanke Figur darin auftauchte.

,,Die Zeit ist um", sagte sie und ich erhob mich widerwillig. Meine Mum begleitete mich bis zu ihr und die Anspannung in der Luft steigerte sich ins Unerträgliche.

,,Elara", flüsterte meine Mum leise und Elara Freys Gesicht versteinerte sich. Ihre grünen Augen blitzten kalt und doch glaubte ich einen verletzten Schimmer hinter ihrer Fassade zu erhaschen. Vielleicht war das aber auch pure Einbildung.

,,Nein", stieß sie hervor und wandte sich ab. Neben mir seufzte meine Mutter traurig und warf mir noch ein aufmunterndes Lächeln zu. Am liebsten wäre ich bei ihr geblieben, doch ihre Schuldgefühle der Direktorin gegenüber hätte auch ich ihr nicht nehmen können. Das mussten die beiden unter sich klären. Bedrückt lief ich durch die dämmrigen Flure der Akademie. Vereinzelte Schülergruppen begegneten mir und auf einmal fühlte ich mich wieder alleine. Mein Zimmer war kalt und einsam. Ich legte mich auf das Bett, drückte die Decke an mich, während das Porträt von Elara mich vom Schreibtisch her anzustarren schien. Vorwurfsvoll und anklagend. Jetzt war es an mir zu seufzten. Irgendwann fiel ich in einen unruhigen Schlaf, während meine Geist all die Informationen des Tages zu verarbeiten versuchte.

Academy for Elementarys 1 - Verborgene KräfteWhere stories live. Discover now