Kapitel 11 - Kuss an Silvester

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Am nächsten Morgen leerte sich die Akademie sichtbar. Wie Mara vorhergesagt hatte, besuchten so gut wie alle Schüler und Lehrer über die Feiertage und Neujahr ihre Familien. Ich umarmte meine Freundin zum Abschied so fest ich konnte und wünschte sowohl ihr als auch Ethan einen guten Rutsch. Will stahl mir am Bus, der erst zum Bahnhof und dann weiter zum Flughafen fuhr, einen Kuss, der mein Herz ins Stolpern und meinen Magen zum Kribbeln brachte. Er würde zu seinen Großeltern nach New York fliegen. Ich wusste jetzt schon, dass ich sie vermissen würde. Alle drei.

„Es ist doch nur für knapp zwei Wochen", tröstete meine Mum mich, als wir dem Bus zusahen, wie er das Tor der Akademie passierte und dann zwischen schneebedeckten Bäumen verschwand.

„Das werden die längsten zwei Wochen meines Lebens", prophezeite ich, was mir einen spielerischen Stoß seitens meiner Mutter einbrachte.

Ich sollte Unrecht behalten. Die Feiertage verbrachte ich nicht wie gewohnt in meinem Zimmer, sondern im Haus meiner Mum. Wir spielten zu zweit Mensch-ärgere-dich-nicht, aßen tonnenweise Lebkuchen, buken Zimtsterne und Kokosmakronen, schauten kitschige Weihnachtsfilme und unternahmen ausgedehnte Spaziergänge über den Campus. Abends schrieb ich stundenlang mit Mara, Ethan und Will, die mir ihrerseits von ihrem Tag berichteten und morgens nutzte ich meine freie Zeit, um endlich einmal lange auszuschlafen. Wenn es draußen wieder anfing zu schneien, erkundete ich die fast menschenleere Akademie, bewunderte die majestätischen Statuen in der Eingangshalle und entdeckte jedes Mal wieder etwas neues. Zwischendurch übte ich mit meiner Magie, um ja nicht aus der Form zu geraten. Das warme Kribbeln war ein Teil von mir geworden und ich genoss es, wenn die Magie kribbelnd durch meine Adern floss.

Genauso genoss ich auch die tiefe Stille in der Bibliothek. Hier verbrachte ich ebenfalls einen großen Teil meiner Zeit, stöberte mich durch die Regale oder saß einfach nur in meiner Lieblingsecke und starrte durch die mit Eisblumen überzogene Scheibe. Eines Nachmittags entdeckte ich zwei Gestalten, die nebeneinander über den Campus spazierten und erkannte Direktorin Frey sowie ihren Wächter James. Seit dem Ball hatte ich die beiden nicht mehr zusammen gesehen und so war meine Neugier geweckt. Immerhin hatte ich mir ja vorgenommen, sie im Auge zu behalten. Behutsam hauchte ich gegen das Fenster und wischte mir mit der Handfläche ein kleines Guckloch. Aus der Entfernung konnte ich den dunkelroten Mantel der Direktorin ausmachen, der sich stark vom schneeweißen Rest der Umgebung abhob.

Als sie plötzlich ausrutschte und gefährlich ins Schwanken geriet, fing James sie ab. Ich lächelte, ehe ich mich wieder meinem Buch widmete.

Silvester feierten meine Mum und ich zusammen mit Direktorin Frey und James.

„Schön, dass ihr gekommen seid", begrüßte meine Mutter sie und bat sie ins geräumige Wohnzimmer. Auf dem Tisch standen eine Flasche Wein, mehrere Gläser, Salzstangen und Chips.

„Macht es euch bequem." Meine Mum lächelte warm, während ich mich dazugesellte und ebenfalls Hallo sagte.

Dann wurde es still.

Ich hasste diese Art von Schweigen. Unangenehm und angespannt, weil niemand wusste, was er tun oder sagen sollte. Außerdem erinnerte ich mich daran, dass meine Mum und Mrs. Frey sich noch immer nicht ausgesprochen hatten, was der Stimmung nicht sonderlich zuträglich war.

Schließlich räusperte meine Mutter sich. „Elara, eigentlich könnte ich etwas Hilfe mit dem Essen gebrauchen. Würdest du mir helfen?" Direktorin Frey nickte und erhob sich rasch. James lächelte ihr aufmunternd zu, dann waren wir beide allein.

„Du hast dich gut eingelebt hier?", erkundigte James sich schließlich und griff sich eine Salzstange.

„Ich kann mich nicht beklagen. Oder warten Sie, kann ich doch. Die Menge an Hausaufgaben ist eine Zumutung."

Academy for Elementarys 1 - Verborgene KräfteWhere stories live. Discover now