Kapitel 72 - Wiedersehen in der Einöde

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~Wie weit ist es denn noch?~, stöhnte Lily genervt.

Alec konnte darüber nur müde lächeln, während er sich über die schweisfeuchte Stirn strich. Ihr kleiner Trupp, der aus Ragnor, Catarina, Lily, Raphael, einem Werwolf namens Jordan und ihm selbst bestand, war schon mindestens einen halben Tag unterwegs, aber genau konnte man dies nicht sagen, denn es schien immer gleich wenig Tageslicht zu geben.

Downworld-Island war eine durch und durch seltsame Insel.
Es war sehr schwül, obwohl kaum die Sonme rauskam und es war unmöglich die Tageszeit zu bestimmen.

Der nackte schwarzgraue Fels war allerdings kalt und mit einer dicken Schicht Asche bedeckt. Es gab hohe Berge, die an Edom-Island erinnerten, aber man konnte sich nur selten sicher sein, ob es nicht doch nur scharfkantige Geröllhügel waren. Immer wieder liefen sie an Kratern vorbei, die endlos in die Tiefe zu führen schienen und einen widerlichen Gestank absonderten, der allerdings eher nach Verwesung als nach Schwefel müffelte.

Sie durchwanderten aber auch lange Täler, die beinahe schon an Wüsten heranreichten, nur dass diese völlig verglast und halb zersplittert waren.

Dieser ganze Ort erinnerte Alec an ein Schlachtfeld, an welchem eine riesige Explosion alles Lebendige ausgelöscht hatte, sodass nur die reine Zerstörung zurückblieb.

Alec fühlte sich einfach nur unwohl, denn er hatte das Gefühl, auf einem Pulverfass zu sitzen, welches jeden Augenblick in die Luft gehen könnte.
~Kompasse zeigen nur die Richtung an, nicht die Streckenlänge.~, antwortete Cat genervt.

Jedem schien die angespannte und unheimliche Atmosphäre dieses eintönigen und doch irgendwie gefährlichen Orts zuzusetzen.

Die einzige Abwechslung boten die Soldaten, die Sebastian in unregelmäßigen Abständen zurückgelassen hatte, um sie aufzuhalten. Sie hatten bestimmt schon ein knappes Dutzend von ihnen aus dem Weg geschafft und obwohl es mehr als nervig war, so war es doch ein Zeitvertreib, bei dem man die Bedeutsamkeit ihrer Mission für kurze Zeit vergessen konnte.

Auch Alec setzte dieser Ort zu, wenn auch auf eine andere Weise, denn er wurde mit jedem Schritt unruhiger, nervöser.
Bald würde er Magnus wiedersehen und ihn endlich so beschützen können, wie er es verdiente. Allerdings wäre auch Sebastian und sogar Valentin Morgenstern bei ihm, was diese ganze Rettungsaktion noch komplizierter machte.

Konzentriert betrachtete er Amor in seiner Hand, der ihn zielsicher in eine Richtung führte. Alec hätte ihn gerne im Lager gelassen, aber ohne ihn würden sie sich hoffnungslos in diesem Abbild der Zerstörung verlaufen und das würden ihre Vorräte nicht lange mitmachen.

~Da vorne sind wieder zwei.~, bemerkte Raphael und deutete auf einen steilen Hang direkt vor ihnen. Ohne sich abzusprechen, suchten sie hinter einem besonders großen Trümmerstück, die die ganze Insel zu bedecken schienen, Deckung.

Alec spähte zu dem Hang herüber und erkannte tatsächlich zwei Schemen, die sich unter einen Felsvorsprung kauerten, um vor dem diffusen Licht und vor allem der drückenden Hitze Schutz zu suchen.
Wortlos steckte er den Kompass ein und ließ den Bogen von seiner Schulter gleiten.

Dann zog er einen Pfeil und legte in routiniert an, bevor er sein Ziel fixierte.
Seine rußverschmierten Finger streiften seine Wange und hinterließen einen schwarzen Strich, aber das bemerkte er kaum.

Seine Atmung ging ruhig und sein Kopf war für einen Augenblick frei von allen Sorgen und erdrückenden Gedanken. Da waren nur er, sein Ziel und der Pfeil. Diesen ließ er vorschnellen, als er ruhig ausatmete.

Einen Augenblick später beobachtete er, wie einer der Schemen zusammensackte und lächelte grimmig.
Nummer eins.

Dann legte er den nächsten Pfeil an und fixierte sein zweites Opfer.
Wieder atmetet er tief durch und wollte soeben loslassen, als Lily warnend dazwischenrief~Ist das nicht dieser Trace?~

Alecs Atem stockte und seine Hand begann zu zittern.
Was macht Jace hier?

~Nach euren Beschreibungen ist er das.~, stimmte Raphael zu, dessen Augen mindesens genauso gut waren, wie Lilys.
Alec wiederum steckte den Pfeil zurück und meinte~Dann statten wir ihm mal einen Besuch ab.~

Es dauerte ziemlich lange, bis sie den Hang erklommen hatten und mehrmals rutschte einer ab, aber irgendwann befanden sie sich dann auf derselben Höhe, wie Alecs erstes Opfer und dessen Begleiter.

Es war Jace.
Alec erkannte dessen blonden Haarschopf und die breiten Schultern sofort. Jace kniete neben seinem Kameraden, aus dessen Brust der Pfeil ragte, doch als er die Neuankömmlinge bemerkte, sprang er mit gezogenen Schwert auf.

Erst nach drei Sekunden schien er Alec zu erkennen, denn sofort ließ er die Waffe fallen und kam mit schnellen Schritten auf ihn zu.

~Du lebst noch!~, rief er erleichtert, als er seinen besten Freund in die Arme schloss.

Alec erwiederte die kurze Umarmung gerne, denn wieder vergaß er kurz alle Sorgen und war einfach nur erleichtert.
Dieses Gefühl der Unbeschwertheit verschwand aber sofort wieder, als sie sich voneinander lösten und ihre Gesichter wieder ernster wurden.

~Wo ist er?~, fragte Alec sofort und dankte allen Engeln, dass seine Stimme nicht zitterte.
Sein Herz schlug ihm nämlich bis zum Hals und er hatte Probleme, still stehen zu bleiben.

Jace verstand augenblicklich, was er meinte, denn er antwortete~Sie sind weitergezogen, aber es kann nicht mehr weit sein.~
~Dann sollten wir schnell weitergehen.~, beschloss Ragnor, aber Jace schüttelte den Kopf.

~Sie werden bald hier sein.~
~Wer?~, fragte Jordan.
~Sebastian hat auf Wunsch seines Vaters hin eine Nachhut losgeschickt, etwa dreißig Männer, die ihnen in einem Abstand von weniger als einem halben Tag folgen. Damit wollen sie jegliche Störenfriede von sich fernhalten. Diese müssten sehr bald hier sein.~
~Und wenn wir nicht überrascht werden wollen, sollten wir hierbleiben und uns ihnen entgegenstellen ~, überlegte Catarina,~Hier hätten wir einen geographischen Vorteil.~

~Aber wir müssen auch die Beschwörung verhindern.~
~Weshalb du weitergehen wirst, Alec. Zwar könnten wir dich hier durchaus gebrauchen, aber du könntest Sebastian genauso gut mit einem Schuss aus sicherer Entfernung enthaupten~, meinte Jace und sah ihn ermutigend an,~Du könntest es schaffen.~

Alec zuckte unschlüssig die Schultern, aber alle sahen ihn mehr oder minder zuversichtlich an.
Schließlich seufzte er ergeben.
~Ok.~

~Gut, dann sollten wir wohl unsere Taktik besprechen.~, beschloss Cat und warf ihm noch ein aufmunterndes Lächeln zu.

Die anderen nickten ihm mindestens genauso ermutigend zu, weshalb er nochmals nickte und mit einem nervösen Kribbeln im Bauch weiterkletterte.

~Du schaffst das!~
~Wenn nicht, bring ich dich eigenhändig um!~, stieg Ragnor in Cats Abschied mit ein. Weitere Rufe folgten, die Alec den Hang hinauf brachten, bevor sie langsam in der Einöde verhallten.

Die Fünf Kompasse Der Kali (Malec)Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum