Kapitel 68 - Wir sind Lightwoods

295 43 9
                                    

Es war leise, als Alec an Deck ging.

Selbst die Holztreppen knarrten nicht, was bei ihrem Alter ein wirkliches Wunder war. Wieder trugen ihn seine Füße ins Freie, auch wenn er in dieser Nacht sogar kurz weggenickt war.
Für eine kleine Weile hatten ihn seine Gedanken in Ruhe gelassen, aber jetzt waren sie wieder da und verfolgten jeden seiner Schritte. Bereit, ihn wieder völlig gefangen zu nehmen und ihn zu ersticken.

Aber noch hielten sie Abstand und ließen ihm Luft zum Atmen. Wie gnädig.

In dieser Nacht waren es nicht allein die Gedanken an Magnus, die ihn aktiv werden ließen, sondern vor allem die an Max. Am Morgen nach seinem Gespräch mit Raphael hatte er starke Kopfschmerzen gehabt, obwohl er noch nicht einmal viel getrunken hatte. Dennoch hatte das gereicht, um sich selbst zu schwören, so etwas nie wieder zu tun.

Am Vormittag war dann Max' Beerdigung, die nur im kleinsten Kreis stattfand. Nur er, Izyy und Simon.
Seine Schwester hatte bitterlich geweint und auch Simon hatte die ein oder andere Träne vergossen.

Alec selbst hatte sich das verboten, denn er wusste, würde er einmal anfangen zu weinen, würde er nicht so schnell wieder damit aufhören können.
Deshalb war er einfach da gewesen und hatte Izzy seine Schulter zum Ausweinen und Anlehnen angeboten.

In diesem Momemt war er stark gewesen. Stark für andere.

Nur in Momenten wie diesen, wenn er allein auf dem Deck der Warlock stand, gestattete er sich, schwach zu sein und an all diejenigen zu denken, die nicht mehr bei ihm waren. Und so lehnte er an der Reling und starrte auf die tintenschwarze See hinaus.

Kleine Wellen stießen gegen den Rumpf und deuteten ganz schwach die Seraph-Strömung an, auf der sie entlangsegelten.
Sie waren am Mittag wieder in See gestochen und nun auf dem Weg zum Zauberglanz, eine große Nebelwand hinter der sich irgendwo Downworld-Island verbarg.

Sie wussten nicht, wie groß der Vorsprung der Schattenjäger war oder ob dieser überhaupt existiere, aber es war nicht schwer gewesen, alle davon zu überzeugen, zu dieser mysteriösen Insel zu segeln, um die Schattenjäger dort aufzuhalten. Lediglich ein paar Vampire hatten Zweifel geäußert, doch mithilfe der Demokratie wurde sie überstimmt.

Aus dem Wasser blickte Alec einer verloren aussehenden Gestalt entgegen. Sie wirkte erschöpft und traurig, aber nicht ganz so hoffnungslos, wie er sich fühlte. Dennoch schien es das Spiegelbild zu schaffen, ihm für einen Augenblick alle Sorgen zu nehmen und er atmete tief durch.

~Kannst du auch nicht schlafen?~, fragte eine bekannte Stimme hinter ihm.

Im nächsten Moment lehnte sich seine Schwester neben ihn an die Reling und sah ebenfalls in die Dunkelheit hinaus.

Alec seufzte.
~Ich kann schon lange nicht mehr schlafen. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal durchgeschlafen habe.~

~Das solltest du dringend ändern.~
~Ich weiß, aber ich kann nicht. Ich mache mir zu viele Gedanken und Sorgen, um wirklich zur Ruhe zu kommen.~
~Das liegt aber nicht nur an Max oder?~

Alec schüttelte den Kopf.
~Es liegt an allen. Mom, Dad, Max, Magnus ...~
~Magnus?~

Er wurde rot und sah verlegen auf seine Hände.

Er hatte mit Izzy kaum über ihn geredet, nur diese paar Sätze im Palast und jetzt wusste er nicht recht, was er tun sollte.

Er wollte mit ihr reden, aber ihm fehlten die Worte, das mit Magnus zu beschreiben, ohne dass er maßlos untertrieb. Es schien kaum Worte zu geben, um so etwas gebürend zu umschreiben.

~Ich mache mir Sorgen um ihn.~, sagte er schlicht.

Es fühlte sich schon beinahe wie eine Lüge an, die Izzy auch sofort entlarvte.

~Also das war jetzt die Untertreibung des Jahrhunderts. Wie wäre es stadessen mit der Wahrheit?~

Nervös spielte er mit dem Ring an seinem Finger, an den er sich mitlerweile schon so sehr gewöhnt hatte.

~Versuch es zu beschreiben.~
~Jede Sekunde ohne ihn, stirbt ein weiterer Teil von mir. Es ist nicht einfach so, dass ich mir Sorgen mache, weil ich ihn vermisse -natürlich tue ich das-, aber es fühlt sich so an, als würde ich ihn zum Leben brauchen. Er hat mir nicht einfach nur mein Herz gestohlen, er hat meine Seele fest mit seiner verknotet, sodass es mich schier zerreißt, nicht bei ihm zu sein. Du kennst seine Geschichte zwar nicht -und ich werde sie dir auch nicht ohne seine Zustimmung erzählen-, aber du musst wissen, dass Sebastian ihn sehr verletzt hat. Ihn jetzt in seiner Obhut zu wissen ... Das ist unerträglich. Als würde man dir langsam die Haut abziehen. Ich kann nicht ohne ihn sein und es ist ein pures Wunder, dass ich noch hier stehe und mit dir rede.~, erzählte er schließlich.

Die Worte sprudelten einfach so aus ihm heraus. Ohne, dass er groß darüber nachdenken konnte.
Aber jetzt war es raus und er fühlte sich ... besser. Nicht gut, aber besser, leichter.

Plötzlich spürte er zwei schlanke Arme um seine Taille, die ihn fest umklammerten. Mit der Andeutung eines Lächelns erwiederte er die Umarmung und legte seinen Kopf auf Izzys schwarzen Haaren ab.

Kurz hatte er ein Dejavu Gefühl, denn so hatte er auch einmal Magnus umarmt, auf der Ebene hinter der Siedlung. Damals hatte er sich gewünscht, so etwas öfters zu machen und hatte einfach den Moment genossen. Letzteres tat er nun auch, obwohl es nicht dasselbe war.

Hier war es nämlich eine geschwisterliche Umarmung, die man einander in traurigen Zeiten schenkte. Keine Umarmung, die man mit jemanden teilte, den man aus vollem Herzen liebte, der eben nicht zur Familie gehörte.

~Es ist ok, du musst nicht immer alles in dich hineinfressen.~

Nun huschte doch tatsächlich ein Lächeln über seine Lippen, denn genau denselben Gedanken hatte er auch einmal gehabt. Eigentlich vor gar nicht so langer Zeit, auch wenn es sich so anfühlte.
Dort hatte er nämlich ganz andere Probleme als die Angst, die große Liebe zu verlieren.

~Ich weiß, aber ich muss doch auf euch aufpassen.~
~Blöder Männerinstinkt.~
~Ich weiß.~
~Wir schaffen das, ok? Wir sind Lightwoods.~, sagte Izzy und sah zu ihm auf.

Ihre Augen schimmerten dunkel, aber hoffnungsvoll und optimistisch zu ihm auf.

~Wenn du das sagst.~
~Und ob ich das tue~, meinte sie grinsend, bevor sie sich von ihm löste~Und jetzt erzählst du mir, wie du deinen Seelenverwandten getroffen hast.~

Alec wurde wieder rot, aber er fühlte sich gut. Es war schön, so unbeschwert zu reden. Da nahm er die Peinlichkeiten und die heißen Wangen sogar gerne in Kauf.

Er setzte sich also zu Izzy auf den Boden und spielte wieder mit dem Ring an seinem Finger herum.

~Naja, alles hat damit angefangen, dass ich ihm ins Bein geschossen habe ...~

Die Fünf Kompasse Der Kali (Malec)Where stories live. Discover now