Kapitel 29 - Magischer Seelenspiegel

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Magnus' Herz schien stehen zu bleiben, als er sah, wie sein Alexander vom Mast fiel und irgendwo hinter den Zweikämpfen auf dem Boden aufkam.
Alles in ihm zog sich schmerzhaft zusammen und er musste sich dazu zwingen, einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht zusammenzubrechen, wie es ein nicht so geringer Teil von ihm gerne tun würde.

Er bekam auch gleich die Rechnung für seine Unaufmerksamkeit in Form eines Schlags mit einem angerosteten Kochtopf gegen sein Schienbein.

Er fühlte sich in seiner Vermutung bestätigt, dass die Eidola ihre Waffen wohl von einem Flohmarkt auf dem Meeresgrund erwarben.

Leider verspürte er keinen Triumph, sondern nur Schmerz, den er mit lauten Gefluche kundtat.
Allerdings war der Schlag eher nervig als tödlich, weshalb er den unhöflichen Störenfried mittels einer Kopfspaltung erledigte.

Dann schlug er sich eine Schneise, um schnellstmöglich zu Alexander zu gelangen, denn noch immer hatte die nackte Angst sein Herz fest im Griff.
Er wusste nicht, was er tun würde, wenn Alec ...
Er konnte den Gedanken noch nicht einmal zu Ende denken, ohne dass sein Herz krampfte und drohte auseinander zu brechen.

Das würde er nicht zulassen. Er würde nicht nochmals zusammenbrechen. Das würde er nicht verkraften. Er würde es nicht ertragen, wenn er ... nicht mehr bei ihm war. Das konnte er schlichtweg nicht.

Doch was würde wohl passieren, wenn das Schicksal wieder gegen ihn war? Würde er in einem Tobsuchtsanfall alles kleinschlagen, was ihm in den Weg kommen würde? Würde er einfach weinend auf dem Boden zusammenbrechen oder sich einfach beherzt über die Reling werfen, um dem Elend seines Lebens endlich zu entkommen?

Das Schicksal hatte zu oft gegen ihn gewettet und leider auch immer gewonnen. Magnus hatte auf die harte Tour lernen müssen, wie es war, alles zu verlieren, was einem wichtig war und dass das Schicksal, das die einen stets als gütig bezeichneten, eigentlich eine erbarmungslose Diva war, die es liebte, immer dieselben Menschen leiden zu lassen.
Bestimmt war Letzteres nicht so, aber Magnus kam sich oft genug wie der Sündenbock aller vor und das wollte er nicht mehr sein.

Er bemerkte die Eidola kaum, die er abstach, um an ihnen vorbeizukommen. Eine beträchtliche Anzahl an Sandhäufchen makierte bereits seinen Weg.

Allein Alexander zählte und als er endlich zu sehen war, blieb Magnus' Herz erneut stehen, nur dieses Mal vor Erleichterung.

Seine Brust hob und senkte sich, zwar flach, aber er atmete noch.
Alec war Dank eines faulen Crewmitglieds nicht auf dem harten Holzboden, sondern auf mehreren Vorratssäcken gelandet, was ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hatte.

Ohne länger auf seine Umgebung zu achten, stürzte Magnus auf ihn zu, kniete sich neben seinem Kopf hin und ergriff seine Hand.
Auf den ersten Blick konnte er keine Verletzungen ausmachen, was wohl an dem dicken Mantel lag.

Allerdings musste er sich mindestens ein paar Rippen geprellt haben, in Anbetracht der fünf Meter Falltiefe.

~Alexander, wie kannst du mich nur so erschrecken, du Idiot!~, zischte Magnus ihn wütend an, obwohl er bewusstlos war, und küsste dann liebevoll seine Fingerknöchel, einen nach dem anderen.

Nun konnte er seine Tränen nicht mehr zurückhalten, zu groß war die Angst und die folgende Erleichterung. Ein Glück, dass es bereits regnete, so konnte man ihm seine Schwäche immerhin nicht direkt ansehen.

~Tu mir das nie wieder an! Du hast doch gesagt, du passt auf dich auf! Wir hatten einen Deal! Mach das nie wieder!~, sprudelte es zusammenhangslos aus ihm hervor.

Alec lebte noch.
Er war nicht ... Ein Brüllen und schwerfällige Schritte hinter ihm rissen ihn aus seiner Euphorie und er wandte sich um.

Vor ihm stand ein einzelner Eidolon, mit einer Keule in der Hand, die er erhoben hatte, um damit einen tödlichen Treffer zu landen.
Ohne seine reflexartige Reaktion und das Gewicht der Waffe, die das Monster verlangsamte, wäre er jetzt wohl tot.

So jedoch rammte er dem Monster den Pfeil, mit dem ihm Alexander das Leben gerettet hatte, in den Fuß. Das Monster hatte noch nicht einmal die Zeit zu schreien, als er ihm sein Dolch schon in den Unterleib stieß und er zu einem Häufchen Sand zerfiel.

Er stand auf, um sich für weitere Angriffe zu wappnen, aber da waren keine mehr.

Er war umringt von verdutzten Vampiren mit noch erhobenen Waffen und Sandhäufchen.

Die Eidola hatten sich ins Wasser zurückgezogen, was nur heißen konnte, dass ...
Er rannte zur Reling -Alec war für kurze Zeit vergessen- und sah auf die See hinaus.

Gerade segelten sie am letzten hohen Felsen der City of Bones vorbei. Der Strudel und mit ihnen die Eidola lagen hinter ihnen.
Auch der betörende Gesang, den Magnus seit Alecs Fall vollkommen ausgeblendet hatte, verklang langsam und er spürte, wie seine Glieder wieder leichter wurden. Es war nicht länger so, als würde er durch halbfestes Wachs waten und auch sein Verstand wurde wieder klarer, verdrängte die Gefühle wieder, die ihn noch bis vor Kurzem beherrscht hatten.

Als er etwas Nasses auf seiner Wange spürte, legte er verwirrt seine Hand dorthin und erkannte Tränen. Er hatte geweint.
Gott, er hasste diese Nebenwirkung des Eidolagesangs!

Diese war nämlich, dass man in extremen Situationen viel intensiver fühlte als normal. Sonst wäre er wohl kaum in Tränen ausgebrochen. Das redete er sich zumindest ein.

Erst jetzt nahm er auch den Nieselregen richtig wahr, der vom Himmel fiel und sich mit seinen Tränen vermischte. Es war die Art von Regen, die alle Sorgen, aber auch jegliches Adrenalin wegzuwaschen schien, denn plötzlich fühlte er sich unglaublich müde und erschöpft. Er konnte sich ein Gähnen nicht verkneifen und dennoch sah er in die, von den Regentropfen in Aufruhr versetzte, See.

Ein Seelenspiegel, dachte er sich mit einem wehmütigen Lächeln.
Ein Seelenspiegel, der einem all die schlechten Eigenschaften zeigt, die offensichtlichen und die, die man nicht als schlecht ansieht. Aber auch Wege zeigt, sich zu ändern.

Und so verrückt es auch erscheinen mochte, kurz sah er Alexanders Abbild, welches ihm entgegenlächelte, bevor es sich wieder auflöste, als wäre es nie da gewesen.
Aber Magnus hatte es gesehen und in seinem tiefsten Inneren wusste er, dass das ein Zeichen war.

Er hatte in seinem Leben schon viele Dinge erlebt, gute und schlechte Taten begangen, ständig auf der Suche nach Licht und Sicherheit in seinem tristen Leben, obwohl andere es wohl als abenteuerlich und aufregend angesehen hätten.

Nun jedoch hatte er sein Licht gefunden und dieses war Alec, der ihm sowohl Sicherheit als auch das Gefühl gab, wieder frei atmen zu können.
Er würde nicht zulassen, dieses Licht je wieder zu verlieren, aber dazu musste er sich auch darum kümmern, weshalb er der See den Rücken zuwandte, um zu seinem Liebsten zu gehen, damit er sich um ihn kümmern konnte.

Das war das Mindeste, was er für diesen fantastischen Mann tun konnte und er nahm sich vor, zu versuchen, diesem jeden Wunsch von den Augen abzulesen, denn er war es wert.

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Die Fünf Kompasse Der Kali (Malec)Where stories live. Discover now