Kapitel 65 - Geschwisterliebe und so etwas wie Freundschaft

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Nachdem Raphael mit seiner Lebensgeschichte geendet hatte, trat Schweigen ein, auch wenn um sie herum noch immer Gelächter und die flotten Töne des Klaviers hallten.

Alec wusste einfach nicht, was er jetzt sagen sollte. Gleichzeitig kam er sich selbst wie das letzte Weichei vor, denn er klagte gerade über zwei Verluste, während Raphael seine ganze Familie verloren hatte.

Natürlich konnte man solche Verluste schlecht miteinander vergleichen, aber der Jüngere hatte wirklich alles verloren, was er je besessen hatte und er saß noch immer hier und trank sein Bier. Es war schier unglaublich.

~Ich ...~
~Wenn du jetzt sagen willst Es tut mir leid. Dann lass es lieber gleich. Es ist schon lange her und außerem weißt du, dass so etwas nicht hilft.~

~Aber es ist eine Form der Anteilnahme. Dass man mitfühlt und den Schmerz mit dem Betroffenen teilen möchte, weil man es für ihn erträglicher machen will. Man will zeigen, dass der Betroffene nicht allein ist.~, bekräftigte Alec und sah den Schwarzhaarigen eindringlich an.

~Eine Art der Anteilnahme und der Schmerzverteilung und -verarbeitung~, sinnierte Raphael,~Aber warum willst du deinen Schmerz dann nicht teilen, wenn es für dich erträglicher werden könnte? Glaubst du, deine Schwester oder Cat leiden nicht? Sogar Ragnor kann irgendwo leiden, auch wenn er es nicht zeigt.~

~Ich will den anderen nicht mit meinen Problemen zur Last fallen. Sie haben genug eigene.~
~Ich bin zwar kein Experte in Sachen Freundschaften, aber ich kenne mich mit Familie aus. Deshalb weiß ich auch, dass es immer besser ist, ehrlich zu seinen Geschwistern zu sein, denn nur so ist man wirklich für sie da. Dazu hat man diese nervigen Anhängsel doch. Damit man niemals allein auf der Welt ist. Geschwisterliebe ist oft das einzige, das bleibt, wenn die Welt auf einmal Kopf steht. Also sei für deine Schwester da, dann wird sie auch dich stützen und ihr werdet diese Zeit gemeinsam überstehen.~

~Hast du so jemanden? Dem du all dein Leid klagen kannst?~, fragte Alec abrupt,~Außer mir?~

Raphael schnaubte kurz belustigt.

~Das war eine Ausnahme, Lightwood, also gewöhn dich lieber nicht daran. Wie gesagt, ich bin nicht sonderlich bewandert in Sachen Freundschaft. Ich habe immer gedacht, dass, wenn ich mit jemandem eine engere Bindung eingehe, diesem früher oder später etwas schreckliches zustößt. Das wollte ich verhindern, also habe ich alle von mir gestoßen, ... was wohl der Grund war, wieso ich an Bane geraten bin.~, erzählte Raphael schließlich und spielte gedankenverloren mit dem goldenen Kruzifix um seinen Hals

Alecs Nackenhärchen stellten sich auf, als er den Namen seines Freundes hörte und er unterdrückte all die Erinnerungen an ihn krampfhaft, die vor seinem inneren Auge aufflackern wollten.

Ein paar gelang es dennoch und er erinnerte sich daran, wie Magnus von Raphael erzählt hatte. Dass sie beide eine seltsame, aber intakte und sehr sarkastische Freundschaft führten, die aus gegenseitigen Sticheleien und versteckter, scheinbar ungewollter Führsorge bestand.

Magnus hatte ihm erzählt, dass er irgendwie das Bedürfnis spürte, den Jüngeren zu schützen, auch wenn er ihm zeitgleich nur zu gerne eine klatschen würde.
Raphael war für ihn so etwas wie der Adoptivsohn, den er nie wollte, weil er ihm tierisch auf die Nerven ging und seinen Geschmack regelmäßig beleidigte.

Er hatte diese Erinnerungen bis dato nur verdrängt, da ihn jeder Gedanke an Magnus nahezu körperliche Schmerzen bereitete und ihn innerlich zerriss.

~Er kann wirklich gut zuhören.~, stimmte er gedankenverloren zu.
~Eigentlich steht immer das Ende der Welt bevor, wenn Dramaqueen sich verliebt, aber ... gib ihn nicht auf. Ich hab gesehen, wie er dich ansieht. Es war eine Mischung aus ekelerregend-niedlich und bemitleidenswert-verknallt, aber du bedeutest ihm etwas.~

Als er das sagte, tippte er auf Alecs Zeigefinger, an dem er den Ring trug, den Magnus ihm bei ihrem letzten Treffen in die Tasche gesteckt hatte.

Während er vor seinem ersten Bier gesessen hatte, hatte er ihn hervorgeholt und angesteckt, ohne wirklich hinzusehen.

Jetzt jedoch nahm er sich die Zeit, um ihn genauer zu begutachten. Er hatte diesen Ring schon früher an seinem Feund bemerkt, denn er trug ihn immer, auch in der Nacht.

Ein B war eingraviert, eingeschlossen von einem rankenartigen und eleganten Muster. Ansonsten war es ein schlichter Silbering.

~Ich werde ihn nicht aufgeben. Das habe ich mir versprochen.~
~Sei vorsichtig mit deinen Versprechen ~, riet ihm der Jüngere, als er sein Glas leerte,~Du weiß jetzt, dass man sie nicht immer einhalten kann, auch wenn man es will.~

Er nickte, aber sein neu gewonnener Mut war ungebrochen.

~Danke, dass du in meiner Gegenwart Schwäche gezeigt hast. Das bedeutet mir viel.~
~Du hast einen Tritt in den Hintern gebraucht~, sagte Raphael und zuckte die Schultern,~Darin bin ich ganz gut.~
~Sehr gut sogar.~

Seine Mundwinkel zuckten kurz, bevor er einige Silbermünzen auf den Tresen legte. Alec bezweifelte, dass es seine eigenen waren, sagte aber nichts, immerhin wurde ihm gerade ein Getränk ausgegeben.

Raphael rutschte mit seinem Hocker quietschend zurück und stand in einer fließenden Bewegung auf.

~Komm. Die anderen machen sich bereits Sorgen. Außerdem wollen wir morgen Mittag auslaufen. Da solltest du fit sein.~
~Bist du nur deshalb hierhergekommen? Um mich zurückzuholen?~

~Möglicherweise.~, antwortete der Jüngere und seine dunklen Augen funkelten geheimnisvoll.

~Trotzdem danke.~, sagte Alec nochmals, während er ebenfalls aufstand.
~Gewöhn dich besser nicht daran. Ich kann auch ganz anders.~

~Ich weiß.~, meinte Alec und kurz huschte so etwas wie ein Lächeln über seine Lippen.

Dann machten sich die beiden Schattenweltler auf und verschwanden zwischen den Schatten der Dunkleheit.

Die Fünf Kompasse Der Kali (Malec)Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum