Kapitel 37 - Ragnor Fell

292 47 5
                                    

Mit verwirrter Miene beobachtete Alec, wie sich Magnus in die Arme eines älteren Manns warf und ihn fest an sich drückte.

Ihm war es beinahe zu unangenehm, um hinzusehen, denn diese Umarmung wirkte so intim und vertraut, als wären sie vorübergehend in eine zweite Welt eingetaucht.

Er kannte dieses Gefühl, denn er spürte es jedes Mal, wenn er Magnus küsste. Sah er dabei etwa auch immer so verträumt glücklich aus? Er wusste es nicht, aber was er wusste, war, dass sich die beiden irgendetwas zuflüsterten, das niemand außer ihnen wohl verstehen würde.

Wer war dieser fremde Kerl?

Diese Frage brachte ihn so weit, dass er diesen intimen Moment der Einigkeit zerstörte, indem er auf die Beiden zuging.

Aus der Nähe erkannte Alec die maßgeschneiderte, dunkelgrüne Kleidung des Manns und dessen grau mellierte Haare, die ihm etwas wirr vom Kopf abstanden.
Als sie sich aus der Umarmung lösten, strahlte ihn Magnus freudig an, sodass Alec sofort das Herz aufging. Er liebte es, ihn glücklich zu sehen.

Dennoch wurde er leicht rot, als er sich Alecs Arm sanft um die Taille legte und sich an ihn lehnte.

~Ragnor, das ist Alexander Gideon Lightwood, für dich Alec. Und Alexander, das ist Ragnor Fell. Ich hab dir ja schon von ihm erzählt.~, stellte Magnus die Beiden einander vor.

Alec nickte nur nervös, denn ihm wurde unter Ragnors bohrenden Blick etwas unwohl. Er betrachtete ihn, als wäre er ein neuartiges Insekt, dessen Verhalten er noch erforschen müsste, das er aber schon von vornherein verabscheute.

Allerdings war er nicht besser, auch wenn sein forschender Blick eher neugieriger Natur war, denn er wollte wissen, wie es jemand wie dieser Ragnor schaffte, sich in Magnus' Herz zu schleichen.
Er wollte wissen, wie Ragnor wohl war, wie er sich verhielt und möglicherweise auch, wie er seinen Liebsten zu dem gemacht hatte, der er heute war.

So verfielen sie in eine beunruhigende Stille, in der Magnus' Blick vom Einen zum Anderen huschte, wie bei einem Tennisspiel.
Ragnor brach zuerst das Schweigen~Hübschen Liebhaber hast du da.~

Alec versteifte sich augenblicklich, während sich die Wut in seinem Bauch zu einem festen Klumpen zusammenballte. Doch er wagte nicht, zu widersprechen, denn er wollte sich Ragnor nicht zum Feind machen. Dazu war er Magnus zu wichtig.

Eben dieser schritt nun ein~Er ist mein fester Freund, Ragnor. Kein Liebhaber. Darüber bin ich hinaus.~

Alec schielte mit einem etwas dümmlichen Grinsen zu ihm hinunter, denn obwohl er eigentlich nicht überrascht sein sollte, dass Magnus zu ihm stand ... Er war es dennoch.

Und gleichzeitig war er so unglaublich stolz, diesen wundervollen Mann als seinen Freund bezeichnen zu dürfen.
Er würde dabei zwar tiefrot im Gesicht werden, doch es würde auf dasselbe hinauslaufen und darüber war er froh.

~Dann freu ich mich, dich kennenzulernen, Alec~, sagte Ragnor etwas gezwungen und streckte ihm die Hand hin,~Dass du Magnus nicht verletzen sollst, ist hoffentlich klar.~
~N-natürlich.~, stotterte Alec und ergriff die ausgestreckte Hand, um sie für ein, erstaunlich festes, Händeschütteln zu vereinen.

Als er seine Hand endlich wiederbekam, rieb er sie sich so unauffällig wie möglich an seinem Oberschenkel ab. Ragnor hätte ihm beinahe die Finger zerquetscht und außerdem war seine Hand seltsam schmierig.

Wieder entstand eine beunruhigende Stille, in der Alec versuchte, nicht vor den bohrenden Blicken zusammenzuschrumpfen, die ihn weiterhin taktierten.

Plötzlich wurde Ragnors Miene für den Bruchteil einer Sekunde weich, als er einen Punkt hinter ihnen fixierte.
~Ist das nicht Maia?~, fragte er.

Alec und Magnus drehten sich gleichzeitig um und erblickten ein Mädchen, etwa in ihrem Alter mit krausen, braunen Locken.
~Stimmt! Komm, Alexander, ich stell dich ...~
~Könnte ich mir deinen Freund kurz ausleihen, während du mit Maia plauderst?~, unterbrach ihn Ragnor und fixierte dann wieder Alec, der versuchte, nicht zusammenzuzucken.

~Ist das denn ok für dich?~, fragte ihn Magnus und sah besorgt zwischen ihm und Ragnor hin und her.

Am liebsten hätte Alec ihn an sich gekettet und angefleht, ihn jetzt nicht allein zu lassen, aber er konnte nicht. Er wollte sich nicht zwischen seinen Freund und einer dessen wichtigsten Bezugspersonen stellen. Er wollte keinen Keil zwischen Magnus und Ragnor treiben.

Deshalb schwieg er und schluckte den bitteren Geschmack der Angst hinunter.
Er versuchte es mit einem Lächeln, welches ihm wahrscheinlich deutlich misslang.

~Es ist ok. Geh zu deiner Freundin. Ich komm schon klar.~
...irgendwie, vervollständigte er.

Anhand von Magnus' Miene erkannte er, dass er alles andere als überzeugend war, weshalb er ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen drückte.
Dann ließ er Magnus widerwillig gehen und wandte sich wesentlich freudloseren Themen zu.

~Also, was willst du von mir?~
~Weswegen bist du eigentlich hier?~, fragte Ragnor ohne weitere Umschweife.

~W-was?~, stotterte er perplex, da er nicht wusste, worauf Ragnor hinaus wollte.
Allerdings hatte er eine böse Vorahnung.

~Du wolltest mich wirklich für dumm verkaufen, Lightwood~, stellte er trocken fest,~Hast du ernsthaft geglaubt, ich weiß nicht, dass du einer alteingesessenen Schattenjägerfamilie entstammst, die für ihren Stolz und ihre Skrupellosigkeit bekannt ist?~

Er schluckte hart, aber obwohl sich die Wut langsam durch seine Zellen fraß wie ein giftiges Feuer, konnte er sich nicht wehren. Er wusste schlichtweg nicht, wie, da er mit dem Umgang mit Worten nie besonders geschickt gewesen war.

~Also benutzt auch du Magnus, um uns auszuspionieren? Wenn ja, gebe ich dir drei Sekunden, aus diesem Gebäude und Magnus' Leben zu verschwinden.~, drohte er völlig ruhig, während er so nah an ihn herantrat, dass sich ihr Atem miteinander vermischte.

Leider hatte er das dunpfe Gefühl, dass Ragnor weder bluffte noch übertrieb, aber das war nicht das einzige, das ihm Übelkeit bereitete.
Es waren vor allem seine Worte, die ihn verletzten.

Er sollte Magnus ausnutzen? Nein, das könnte er nicht. Allein der Gedanke bereitete ihm beinahe greifbare, körperliche Schmerzen und er musste an sich halten, um sich nicht würgend zusammenzukrümmen.

Dass Ragnor so etwas von ihm dachte ... Das war ungeheuerlich.

~N-Nein, ich nutze ihn nicht aus. Ich weiß beinahe nichts über meine Familie, ok? Meine Eltern starben, als ich noch klein war~, erzählte er stockend, auch wenn er langsam sicherer wurde,~Als ich zu den Schattenjägern ging, wollte ich meine Geschwister beschützen, doch als ich Magnus traf ... Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Plötzlich war alles falsch, an was ich geglaubt habe. Auch jetzt weiß ich nicht sicher, was richtig ist und was nicht, denn ich habe gelernt, dass Gruppen meist nicht nur gute Ziele verfolgen. Oft tun sie etwas aus egoistischen Gründen. Es gibt nur wenige Menschen, die wirklich gut sind und diese sollte man mit höchsten Respekt behandeln, denn sie sind besonders, einzigartig und wertvoll.
Ihre gute Seele liegt meistens in ihrem Charakter und kommt oft auch vom Leiden und Schmerz, weshalb man sie alle auf Händen tragen sollte. Magnus ist so ein Mensch und ... Ich weiß nicht, was er in mir sieht, aber da muss irgendwo etwas sein, an das er glaubt. Ein Funken, dem er vertraut. I-Ich habe m-mich jedenfalls in ihn ver-verliebt, in alles von ihm.~

Als er geendet hatte, atmete er zitternd ein. Seine Wangen waren zwar glühend heiß und seine Finger eiskalt, doch er war glücklich, das alles losgeworden zu sein. Zeitweise hatte er überhaupt nicht auf die Worte geachtet, die er da von sich gab, doch jetzt fühlte er sich irgendwie ... befreit. Als hätte man ihm eine schwere Last abgenommen.

Unsicher sah er zu Ragnor, dessen Blick tief und unergründlich war. Würde er Alec glauben oder ihn noch immer umbringen wollen?
Er überbrückte den Abstand zwischen ihnen ...

Die Fünf Kompasse Der Kali (Malec)Where stories live. Discover now