Kapitel 53 - Leere, Schmerz und Verbundenheit

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Alec saß im perlweißen Sand und beobachtete die See, die sich spiegelglatt vor ihm ausbreitete.

Sie hatten erst am Vormittag nach einer anstrengenden Tagesreise am südlichsten Hafen von Jade-Island angelegt und seitdem war er ruhelos umhergelaufen und hatte die Insel erkundet.

Diese unterschied sich grundlegend von Edom-Island, die mit ihren hohen Bergen kalt und unberechenbar gewirkt hatte. Nein, hier war es überall grün. Es gab viele Wiesen und Weiden, aber auch einen nahezu märchenhaften Laubwald. Dazu war es angenehm warm und ein stetiger Wind sorgte für genügend Erfrischung.

Es war wirklich kein Wunder, dass diese Insel bewohnt war, denn sie schien wie das Paradies auf Erden.

Doch obwohl sie so harmlos erschien, war der Weg zur Insel alles andere als leicht gewesen.
Zwischen der Südwestspitze von Jade-Island und der Nordspitze von Idris trafen nämlich die beiden kraftvollsten Strömungen der Schattenwelt zusammen: Der Satansstrom und die Seraph-Strömung.

Beide verwirbelten die See so, dass sie nahzu unpassierbar war, wenn man nicht gerade gegen einen der scharfen Felsen zwischen den Inseln krachen wollte.
Deshalb war Alec auch froh, es heil hierher geschafft zu haben, auch wenn die Warlock den Südhafen nahezu mühelos erreicht hatte.

Schmunzelnd dachte er daran, wie verwirrt er gewesen war, als er sah, wie es auf dem bunten Schiff zuging. Der Betrieb war vollkommen anders als auf der Shadowhunter oder der Vampire. Bei Weitem nicht so strukturiert, sondern beinahe familliär.

Jeder machte sein Ding, aber irgendwie funktionierte es dennoch. Es war wie eine Art geregelte Anarchie.

Während der Tagesreise hatte ihn Catarina quasi unter ihre Fittiche genommen und ihm alles Nötige gezeigt. Er mochte die Hexe wirklich gern, auch wenn sie ab und an ewas überführsorglich und streng war. Ohne sie wäre er wahrscheinlich verloren.

Nachdenklich sah er auf das kleine Lederbüchlein in seinen Händen. Er hatte es per Zuall in Magnus' Kabine gefunden.

Cat hatte es für eine gute Idee gehalten, wenn Alec sah wie sein Liebster gelebt hatte und Alec musste zugeben, dass dessen Zimmer genauso aussah wie erwartet: Bunt, aber stilvoll.

Interessiert hatte er die Titel der einzelnen Bücher gelesen, die Magnus in seinem vollgestopften Bücherregal aufbewahrte, bevor er sich seufzend auf dessen Bett geworfen hatte.
Die roten Laken waren so weich gewesen und gleichzeitig hatte ihn der beruhigende Duf nach Sandelholz umgeben, sodass er sich, zumindest für einen kurzen Augenblick, hatte entspannen können.

Anschließend hatte er neugierig in dem schwarzen Nachtschrank gekramt, bis er auf das Logbuch getroffen war.

In der folgenden Nacht hatte er kein Auge zugemacht, sondern durchgehend gelesen, sodass er nun bei etwa der Hälfte war.

Anscheinend hatte dieses Logbuch für Magnus eine ähnliche Bedeutung wie ein Tagebuch, denn er hatte viele intime Erlebnisse geschildert und wie er sich dabei fühlte. Alec hatte zwar ein schlechtes Gewissen, da all die beschriebenen Dinge ihn eigentlich nichts angingen, aber so fühlte er sich Magnus einfach näher und es tat ihm gut. Es tat gut eine Verbindung zu seinem Liebsten zu spüren, auch wenn dieser gerade nicht bei ihm sein konnte.

Andächtig strich er über die eckige, aber elegante Schrift der aufgeschlagenen Seite, gespannt, was diese wohl verborgen hielt.

Dieses Büchlein hatte ihm schon viel über Magnus' Vergangenheit erzählt: Von seinen ersten Tagen auf der Warlock, wie er über die Bedeutung seines Bluts aufgeklärt wurde und wie er Camille kennengelernt hatte.
Gerade hatte er sich von ihr getrennt und nun war Alec gespannt, aber auch leicht besorgt, wie es ihm wohl damit erging.

Logbucheintrag vom 30. September

Leere.
Das scheint gerade mein ganzes Leben zu sein. Leer und farblos. Oder so nehme ich es zumindest wahr.
Da ist keine Freude, Trauer. Noch nicht einmal Hass oder Wut. Da ist einfach nichts. Ich habe nie gedacht, dass Nichts so grausam sein kann, aber es ist so.  Ich spüre nichts. Als hätte man mich einfach aus dem Leben gerissen und ich wäre nur noch ein stiller Zuschauer.
Es hilft nicht, wenn mir Ragnor sagt, dass es noch andere gibt und ich die oder den Richtige/-n noch finde. Ich kann daran einfach nicht mehr glauben. Ich kann nach ihr nicht mehr so hoffnungslos naiv in die Zukunft sehen.
Camille.
Ich habe dich doch so geliebt, warum tust du mir das an? Es scheint, als wären alle Farben mit dir verschwunden und alles ist plötzlich grau.
Das einzige, mit dem ich dieser Leere für kurze Zeit entkommen kann, ist Schmerz. Egal welcher Art.
Keine Sorge, ich werde nicht denselben Weg wie meine liebste Mutter beschreiten, doch zum ersten Mal kann ich ihre Entscheidung verstehen. Wenn einen die große Liebe den Rücken zukehrt, gemeinsam mit allem, was einem wichtig ist, dann ist man allein und fühlt sich wertlos. Deshalb halte ich auch nicht viel von dem Spruch: Ich denke, also bin ich. Nur wenn man Schmerzen spürt, leidet, dann kann man sich sicher sein, dass man noch existiert. Und genau das mache ich. Ich suche den psychischen Schmerz in wertlosen Nächten, die ich immer mit jemand anderen verbringe. Diese Art von Schmerz, dieses Ausgenutzt-werden, das tut auf eine perfide Art gut.
Für kurze Zeit fühle ich mich wieder lebendig. Natürlich ist das nicht gut, aber ich kann nicht anders. Ich muss einfach überprüfen, ob ich noch da bin und das jede Nacht.
Vor Kurzem habe ich jemanden kennengelernt. Er nennt sich Sebastian und ist genau das, was ich suche. Er gibt mir diesen Schmerz, aber so sanft, dass ich mich beinahe geborgen fühle. Es ist zwar noch alles dunkel um mich herum, doch er gibt mir Gewissheit, auch wenn er mich verletzt. Es sind keine Gefühle im Spiel. Diese werde ich wohl nie wieder empfinden können, denn sie sind alle zerbrochen, aber einmal hat er mich beinahe zum Lächeln gebracht.
Dennoch ist da diese Leere, die droht, mich zu verschlucken und mich jeden Tag etwas mehr tötet. Sie ist schlimmer als alles, was ich je kannte und sie geht einfach nicht weg! Ich kann den Ausgang nicht finden und obwohl ich nicht aufgeben will, so fühlt es sich so an, als hätte ich diesen Kampf schon längst verloren.

Alec schluckte die aufkommenden Tränen herunter und rang um seine nicht vorhandene Fassung.

Diese Worte trieften nur so vor Schmerz und Verzweiflung, dass es ihm das Herz zu zerquetschen drohte. Gleichzeitig hatte er das große Bedürfnis, jemandem eine zu knallen, denn wie konnte man es nur wagen, Magnus, seinen Magnus, so zu verletzen?

Auch wenn er das selbst gewollt hatte, so hatte er das nicht verdient. Magnus hatte all diesen Schmerz nicht verdient und obwohl Alec ihn nicht hätte davor beschützen können, so machte er sich Vorwürfe.
Sie waren einfach da.

~Alec?~, rief plötzlich jemand.

Er drehte sich um und klappte währenddessen unauffällig das Büchlein zu.

Am Übergang von Gras zu Sand stand Catarina, die ihn zu sich heranwinkte.
~Komm! Training!~

Alec stöhnte genervt auf. Catarina war nämlich der Meimung, dass es nicht ausreichte, ein Ass im Bogenschießen zu sein und er endlich den Nahkampf erlernen sollte, den er so gerne umging. Er dachte numal lieber über seine Schritte nach und peilte sein Ziel in Ruhe an, statt vermeindlich wild darauf einzustechen.

Als er dann auch noch erfuhr, mit welchen Waffen er kämpfen sollte, wurde ihm doppelt schlecht, aber da war noch dieses andere Gefühl. Diese Verbundenheit, die er spürte, wenn er die silbernen Zwillingsdolche in den Händen herumwirbelte.
Sie schienen ein Signal zu sein, Magnus nicht einfach aufgeben zu können.

Er musste zu ihm und um ihn kämpfen. Also rappelte er sich auf und lief Catarina nach.

Die Fünf Kompasse Der Kali (Malec)Место, где живут истории. Откройте их для себя