Prolog

859 64 70
                                    

Auf leisen Sohlen schlich Alec die alte Holztreppe hinab und hoffte, dass sie dieses eine Mal nicht so laut knarren würde wie sonst, denn er musste leise sein.
Sein Rucksack mit den wenigen Habseligkeiten, die er besaß, hatte er fest auf seinen Rücken geschnallt und sein Bogen und Köcher waren beide in halb zerfetzte Stofftücher eingewickelt, damit sie nicht klapperten.

Er hatte diese Entscheidung schon lange getroffen, doch er hatte warten müssen, bis sich seine Geschwister selbst versorgen konnten, denn ihre Eltern waren beide umgebracht worden, Verdacht auf Piraterie.

Das Gesetz ist hart, aber es ist das Gesetz, hatte ihm sein Vater immer gepredigt und daran hielt sich Alec. Doch heute wollte er seinem Traum folgen und etwas Gutes für seine Heimat Idris tun. Er wollte der Marine beitreten und die Piraten auf dem Meer bekämpfen, die langsam wirklich zu einer Plage wurden.

Er wollte seine Familie beschützen und so hatte er mit Freuden den Brief gelesen, der vor wenigen Tagen hier ankam. Er kam aus dem Palast und war vom Oberbefehlshaber des Heeres, Valentin Morgenstern, persönlich verfasst worden. Darin bat er jeden volljährigen Mann um Unterstützung im Kampf gegen die Piraten.

Den Brief hatte Alec seinen Geschwistern nicht gezeigt, denn er wollte nicht, dass sie sich Sorgen um ihn machten. Sas mussten sie nämlich nicht. Das war seine Aufgabe, seine Pflicht und er erfüllte sie gerne.

Er blieb vor der alten Haustür stehen, die etwas schief in den Angeln hing und wandte sich dann nochmals um. So klein diese Hütte auch war, sie war sein zu Hause gewesen.

Mit einem wehmütigen Lächeln erinnerte er sich an Izzys letzten Backversuch. Die Reste des Ergebnisses klebten noch immer an der weißen Wand, mittletweile steinhart und wie eine Art zweiter Putz.

So liebenswürdig seine Schwester auch war, sie gehörte einfach nicht in die Küche.

Dann drehte er sich um und wollte durch die Tür schreiten, als ihn eine leise Stimme aufhielt~Du willst gehen?~

Erneut drehte er sich um und erblickte seine kleine Schwester Isabelle, die am oberen Treppenabsatz stand und einen weißen Brief in der Hand hielt. Der Brief von Morgenstern, wie ihm aufging.

Sie trug lediglich ihr dünnes Nachthemd und in diesem wirkte sie so zierlich, dass Alec am liebsten kehrtgemacht und geblieben wäre, um sie vor allem Unheil der Welt zu schützen, doch er hatte seine Wahl getroffen.

~Ich werde gehen. Ihr kommt schon ohne mich klar.~
~Du weißt, dass das nicht stimmt, oder großer Bruder?~

Langsam schlich sie die Treppen hinab und blieb vor ihm stehen.

~Simon wird gut auf dich und Max Acht geben. Das hat er mir geschworen.~
~Aber Simon ist nunmal nicht du.~
~Ich weiß, aber ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich werde euch so oft es geht besuchen.

~Ich weiß~, wisperte sie und zog ihn in eine liebevolle Umarmung,~Pass auf dich auf, ja?~

~Immer, Izzy.~, versprach er und drückte ihr einen Kuss aufs schwarze Haar.
~Sag Max, dass ich ihn liebe.~
~Hey!? Und was ist mit mir?~
~Dich liebe ich natürlich auch!~, meinte er leise lachend.

~Hier. Damit du uns nicht vergisst.~, sagte sie und hielt ihm ein kleines Päckchen vor die Nase.

Mit verwirrter Miene nahm er es entgegen und öffnete es. Zuerst schien es eine alte und verstaubte Taschenuhr zu sein, aber als er die Staubschicht wegbließ, kam ein Kompass aus tiefschwarzem Metall zum Vorschein. Im Rand waren mehrere kleine Rubine eingelassen, die gegeimnisvoll funkelten und um die sich ein filligranes Flammenmuster wickelte -das Wappen der Familie Lightwood

Kurzum, der Kompass war wertvoller als sein ganzes zu Hause und eigentlich dürfte seine arme Familie so etwas gar nicht besitzen.
Aus diesem Grund konnte er dieses Geschenk einfach nicht annehmen.

~Izzy, das kann ich nicht annehmen. Außerdem, woher ...~
~Ein Familienerbstück. Mom sagte immer, die Lightwoods seien große Seefahrer gewesen. Und du kannst ihn annehmen, Alec. Mom und Dad hätten das so gewollt.~

Alec sah zweifelnd auf den Kompass, denn es wollte einfach nicht in seine Vorstellung passen, dass seine Eltern so etwas kostbares ausgerechnet an ihn vererbten. Natürlich, er war der Älteste, aber was war mit seinen Geschwistern, die so viel wichtiger schienen als er selbst?

Plötzlich bemerkte er etwas Seltsames.

~Er zeigt doch gar nicht nach Norden.~
~Das soll er auch gar nicht. Er zeigt immer dorthin, wo die Sache ist, die du dir am meisten wünschst~, erklärte sie lächelnd,~Nimm ihn mit und vergiss uns nicht, wenn du gegen irgendwelche Seemonster kämpfst.~

~Izzy~, tadelte er ihr lächelnd,~Jetzt sei nicht albern. Natürlich werde ich nicht gegen Seemonster kämpfen, weil es die nämlich überhaupt nicht gibt.~

~Aber wer weiß das schon mit Sicherheit? Alle Legenden sind wahr!~
~Ich finde es beunruhigend, wie sehr Simon auf dich abfärbt. Vielleicht sollte ich doch huer bleiben...~
~Vergiss es.~, widersprach sie und zog ihn nochmals in ihre Arme.

~Danke.~, sagte er nun ernster.
Er dankte ihr nicht nur für den Konpass, obwohl er mit Sicherheit das wertvollste war, das er je bekommen hatte. Er dankte ihr, für ihre aufheiternden und Mut machenden Worte, für ihre bloße Existenz. Sie und Max waren einfach sein Licht in der Dunkelheit, seine ewige Hoffnung, seine Welt. Und eine Welt verdiente es, verteidigt zu werden.

~Wir sehen uns.~
~Leb wohl.~, verabschiedete er sich, als sie sich widerwillig aus der Umarmung lösten.

Dann steckte er den Kompass vorsichtig ein, um ihn nicht kaputt zu machen und verließ dann schwerenherzens sein zu Hause, um in sein neues Leben zu starten, welches nicht turbulenter hätte werden können.

Die Fünf Kompasse Der Kali (Malec)Where stories live. Discover now