Kapitel 34

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Ich habe das Zeitgefühl verloren. Erst als es langsam dämmert, weiß ich, dass ich bereits seit einigen Stunden hier hocke. Stunden, in denen Harry und Liam sonst was passiert sein könnte. Wahrscheinlicher ist es, dass Harry noch mehr zugerichtet wurde als sowieso schon. Und so wie Carter das betonte, werden Liams Hände daran schuld sein. Was wohl passiert, wenn er sich weigert? Hätte ich nicht mit Harry geschlafen, hat er mir gedroht, meinem ›Liebsten‹ etwas anzutun. Vorhin dachte ich noch, dass Carter also nicht weiß, dass ich mit Harry zusammen bin, da er uns doch sonst niemals zusammen in einen Raum gelassen hätte. Aber inzwischen bin ich mir da gar nicht mehr so sicher. Vielleicht ist das alles nur ein krankes Psychospielchen und er weiß ganz genau, dass wir in einer Beziehung sind. Ich traue ihm durchaus zu, dass wir uns auf der mehr oder weniger sicheren Seite fühlen sollen, dabei ist er uns schon wieder einen Schritt voraus.

Verdammt.

Wo soll das denn hinführen?

Seufzend drehe ich mich auf die Seite und schaue durchs Fenster. Die Matratze unter mir wird langsam ungemütlich, aber sie ist immer noch besser, als auf dem harten Betonboden zu sitzen oder schlafen. Will ich hier überhaupt schlafen? Eigentlich nicht, aber was soll ich machen, wenn man mich hier nicht rausholt? Zayn meinte zwar, dass sie uns helfen werden, aber wann soll das sein? Seit Stunden passiert nichts.

Der Sonnenuntergang taucht den Himmel in zarte Orangenuancen, nur leichte Wolkenschleier schlängeln sich durch das Farbenmeer, mein Magen knurrt und auf Toilette müsste ich auch bald mal wieder. Erneut seufze ich, bevor ich mich auf die andere Seite drehe. Mein Blick fällt dabei auf die Stahltür, auf dessen Blatt noch immer mein Blut klebt. Dann huschen meine Augen zur Klinke. Haben die beiden vorhin eigentlich abgeschlossen? Ich habe gar nicht erst versucht, daran zu rütteln, aber ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ich das typische Klicken gehört habe. Mit gerunzelter Stirn stehe ich langsam auf und schleiche über den Boden, bis ich an der Tür ankomme. Zunächst lege ich mein Ohr dagegen, horche, ob ich irgendetwas höre. Doch kein Mucks. Meine Hand zittert, als ich sie sachte auf die Klinke lege, die ich dann herunterdrücke.

Verschlossen.

War ja klar. Ich verziehe das Gesicht und laufe hinüber zu den Fenstern. Sie haben keinerlei Griffe, sodass ich hier erst recht nicht rauskomme. Auch meine Idee, das Bett irgendwie zu zerlegen, um mit einem Pfosten die Scheibe einzuschlagen, habe ich schon längst in den Wind geschossen. Ich befinde mich im obersten Stockwerk. Wenn ich da hinausspringe, bin ich entweder tot oder habe mir alle zweihundert Knochen gebrochen. Wäre beides nicht so geil. »Fuck!« Meine Faust saust gegen die Scheibe, die zwar einen dumpfen Ton von sich gibt, aber sich ansonsten nicht regt.

Ich stapfe zurück zum Bett und schmeiße mich darauf. Vielleicht sollte ich doch etwas schlafen. Wer weiß, was als nächstes passiert. Sollte ich meine Konzentration für irgendetwas benötigen, will ich nicht übermüdet sein. Ich knülle das flache Kissen zusammen, um es mir unter den Kopf zu schieben und schließe dann die Augen. Auch wenn ich zunächst glaube, nicht mal mehr wegzudösen, schlafe ich nach einiger Zeit tatsächlich ein.

Als ich wieder aufwache, ist es dunkel im Zimmer. Nur der Vollmond spendet soweit Licht, dass man Umrisse erkennt. Ich rümpfe die Nase und drehe mich auf die andere Seite, sodass mein Gesicht zur Tür zeigt. Mit gekräuselter Stirn versuche ich, wieder einzuschlafen. Aber meine Blase drückt schon fast schmerzhaft und ein unangenehmes Pochen dröhnt in meinem Kopf. Blinzelnd öffne ich ein Auge, ehe ich zum Waschbecken schiele. Das ist zwar keine Toilette, aber immer noch besser, als in irgendeine Ecke zu pinkeln und meinen eigenen Uringeruch zu ertragen. Schwerfällig richte ich mich auf und steuere noch ganz benebelt das Waschbecken an. Rasch erleichtere ich mich, doch als ich anschließend meine Hände wasche, kräusle ich erneut die Nase und reiße plötzlich meine Augen auf. »Was zur ...«

Ich stelle den Wasserhahn ab, bevor ich meine Hände an meinem Pullover trockne. Ich nehme einen Atemzug durch die Nase. Dann noch einen. Und noch einen.

Brennt es etwa? Das riecht doch nach Rauch oder täusche ich mich? Bin ich deswegen aufgewacht, weil mein Gehirn Panik geschoben hat? Außerdem wird wohl kaum jemand mitten in der Nacht den Grill angeschmissen haben.

Im fahlen Licht des Mondes blicke ich zur Tür, doch der schmale Schlitz darunter ist stockfinster. Sollte tatsächlich irgendwo ein Feuer wüten, ist es nicht auf dem Flur. Jedenfalls noch nicht. Ich schlucke. Man würde mich doch hier rausholen, oder? So herzlos kann man doch gar nicht sein, dass man einen Menschen qualvoll ersticken oder verbrennen lässt. Oder? Oh Gott, ich sollte nicht solche verstörenden Gedanken haben. Das ist bestimmt nur ein Ablenkungsmanöver von Zayn, Michelle und Niall. Die würden mich hier nicht elendig krepieren lassen. Ich hoffe es jedenfalls.

Alleine die Vorstellung in Flammen gefangen zu sein, lässt mich schütteln. Meine Brust hebt und senkt sich schwer, indem ich tief durchatme. Ich sollte nicht direkt an das Schlimmste denken, sondern mich einfach wieder ins Bett legen. Wahrscheinlich bilde ich mir den Geruch sowieso nur ein. Ich gehe drei Schritte. Dann plötzlich ein Schrei. Wer war das? Wie festgefroren halte ich inne und starre die Tür an. Was passiert da?

Erst bleibt es stillt, doch nur einen Atemzug später dringt lautes Brüllen verschiedenster Stimmen zu mir. Obwohl ich inzwischen die Leute hier kenne, kann ich nicht zuordnen, wer da schreit. Dafür sind sie einfach zu weit entfernt. Ist das Zayn? Es könnte auch Samuel sein. Wenn mich alles täuscht, ist auch Harry dabei. Oder verschaukelt mich mein Verstand? Sie müssen sich jedenfalls unten aufhalten, denn ansonsten wären die Stimmen lauter. Plötzlich ein lautes Scheppern, als ob jemand unter einem gedeckten Tisch eine Decke wegreißen würde. Dann Ruhe. Was war das?

Sekunde für Sekunde und Minute für Minute vergeht.

Ohne die Tür aus den Augen zu lassen, husche ich zurück zum Bett, auf das ich mich setze. In meinem Schoß knete ich meine Hände, während in meinem Kopf die Gedanken fieberhaft durch die Gegend springen. Wenn meine Freunde tatsächlich unten sind, dauert es nicht mehr lange, bis ich hier rauskomme, bis Harry und Liam befreit werden, bis der ganze Spuk zu Ende ist, bis alles wieder normal wird. Aber bis dahin... Klack. Mein Körper zuckt zusammen. Was war das? Klack. Klack. Ich wirble herum, starre an die Fensterscheibe, und mein erster Impuls ist, vom Bett aufzuspringen, als ich das Gesicht sehe. Doch eine Sekunde später merke ich, dass es bloß mein Spiegelbild ist. Ich atme aus, währen meine Augen die kahlen Wände des Zimmer abtasten.

Klack. Klack. Klack.

Das kam vom Flur! Ich drehe mich wieder nach vorne und schlucke, denn durch den schmalen Schlitz unter der Tür leuchtet nun ein sanfter Lichtstrahl. Das Klicken wird lauter und langsame, schwere Schritte mehrerer Personen nähern sich. Mein Herz rast, während ich gleichzeitig froh bin, in den letzten Stunden nichts gegessen zu haben. Die halbverdaute Pampe hätte ich spätestens jetzt auf den Betonboden befördert. Ein Schauer erfasst mich, als ein schmerzerfülltes Ächzend zu hören ist. Verdammt, ich will hier einfach nur weg!

Ich bin knapp davor, eine Träne zuzulassen, doch als ein Schatten direkt vor der Tür des Zimmers anhält, verkneife ich es mir. Das fröhliche Pfeifen auf der anderen Seite lässt die Situation nur noch wahnwitziger wirken. Schluckend ziehe ich die Beine an die Brust und wage es kaum zu blinzeln. Erst ist das Einführen eines Schlüssels ins Schloss zu hören, danach bewegt sich die Türklinke wie in Zeitlupe nach unten. Als würde auf einmal jemand den Film vorspulen, spielen sich die folgenden Sekunden ab. Jemand reißt die Tür auf, sodass das Licht in den Raum fällt. Ich sehe nur die Schatten, doch die Umrisse deuten klar und deutlich auf die Zwillinge hin, die eine weitere Person ins Zimmer schubsen. Sie sinkt auf die Knie. Kaum einen Wimpernschlag später fällt die schwere Tür zurück ins Schloss und wird von außen verriegelt.

»Liam!«, rufe ich, während ich aufspringe, um mich neben ihn zu hocken. Meine Hand lege ich dabei auf seinen Rücken. »Ist alles in Ordnung?« Nickend rappelt er sich auf, sodass er auf seinen Knien sitzt und mich ansehen kann. »Ja, alles in Ordnung.« Im schwachen Mondschein mustere ich sein Gesicht, das tatsächlich unverletzt aussieht.

»Was ist da unten los?«

____
Tja, was ist da unten los? Sind das wirklich Michelle, Niall und Zayn? Warum wurde dann Liam in den Raum geschubst? 

Zatago III - [Larry-AU]Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz