Kapitel 26

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Schniefend nehme ich das Taschentuch entgegen, das Michelle mir reicht, während sie den anderen Arm um meine Schulter gelegt hat. Als ich am späten Abend zurück im Transporter bin und wir alle im Schneidersitz im Inneren sitzen, realisiere ich erst so richtig, was ich getan habe. Ich habe Harry betrogen! Und dann auch noch mit seinem Exfreund. Wie soll ich ihm nur jemals wieder ohne schlechtes Gewissen in die Augen sehen können?

»Okay, kannst du erzählen, was du herausgefunden hast?«, drängelt Zayn. Ich wische mir mit dem Handballen die Tränen von den Wangen und schüttle den Kopf. »Jetzt lass ihm doch mal einen Moment«, fordert Michelle, wofür ich ihr dankbar bin. Schon bei Carter war mir zum Heulen zumute, doch da musste ich mich zusammenreißen. Jetzt muss das einfach raus. Ich fühle mich so schäbig, dass ich Carter wirklich erlaubt habe, mich zu küssen. Wenn es nur den Hauch einer Chance gibt, anders in das Gebäude zu kommen, würde ich den Plan in den Wind schießen. Doch selbst nach über einer Woche haben wir keine andere Idee, wie wir an Liam und Harry herankommen sollen. Also bleibt weiterhin nur diese Möglichkeit.

»Liam war da«, krächze ich schließlich, nachdem ich mein Schluchzen wenigstens einigermaßen unter Kontrolle gebracht habe. »Er war so ... anders, aber doch irgendwie gleich. Carter hat ihn als seinen Bruder vorgestellt.«

»Also tatsächlich«, meint Zayn und schüttelt ungläubig den Kopf. »Natürlich war es irgendwie klar, als ich seine Stimme gehört habe, doch ein Funken in mir hatte noch die Hoffnung, dass ich seine Stimme verwechsle.«

»Nein, er ist es wirklich. Pia ist seine Verlobte, sie scheinen ganz glücklich miteinander zu sein. Sie haben sich gut gelaunt unterhalten, gekichert und sich immer wieder berührt. Keine Ahnung, was da abgeht. Er sah nicht so aus, als hätte man ihn gefangen gehalten. Wie ihr ja selbst gehört habt, hatte ich keine Chance, mit ihm alleine zu reden.«

»Das darf doch alles nicht wahr sein«, murmelt mein bester Freund. »Wir können ihm nicht trauen. Falls du mal mit ihm sprichst, darfst du ihm nichts erzählen.« Kaum hat er das ausgesprochen, zucke ich zusammen, weil Nialls Hand auf seinen Oberschenkel saust. »Nun mach aber mal halblang! Das ist Liam, er ist einer von uns.«

Zayn schnaubt und schüttelt heftig den Kopf. »Ja, richtig, das ist Liam. Liam, der uns ganz offensichtlich angelogen hat. Bruder oder Exfreund? Wer ist Carter? Und hat Harry nicht gesagt, dass Pia Carters Schwester ist? Warum sollte sie dann mit Liam zusammen sein? Man, er sitzt mit dem Feind an einem Tisch, turtelt mit einer Frau rum und schreibt uns, dass er angeblich nicht fliehen kann. Da ist doch was faul! Wenn er sich frei im Haus bewegen kann, hätte er schon lange fliehen können. Er ist ein Profi. Aber nein, stattdessen lockt er uns zu sich. Was soll die Scheiße?!« Seine Stimme wird lauter und hallt an den metallischen Wänden des Transporters wieder. »Während wir Muffensausen haben, dass ihm sonst was zugestoßen ist, lässt er es sich gutgehen und...«

»Zayn ...«, unterbricht ihn Niall leise.

»Ja, was denn? Wenn der mir unter die Augen kommt, dann...«

»Zayn, hör auf«, bittet Michelle nun energischer. »Das bringt doch jetzt nichts.« Sofort verstummt Zayn und schaut seine Noch-Freundin einen Moment lang an, ehe er schließlich nickt, wenn auch widerwillig und mit verzogener Grimasse. Wäre die Situation nicht so verkorkst, würde ich jetzt lächeln, denn hätten Niall oder ich etwas gesagt, hätte er sich weiter aufgeregt.

»Okay, hast du denn irgendetwas anderes gesehen? Irgendeine verschlossene Tür oder so? Hilferufe, verdächtiges Verhalten? Irgendwas?« Ich habe geahnt, dass diese Frage kommt, doch leider muss ich Zayn enttäuschen. »Nein, alles war ganz normal. Er hat mir jeden Raum gezeigt, egal ob Arbeitszimmer oder Küche. Es gab keine Tür, die irgendwie verschlossen blieb. Nur der Garten ist recht weitläufig, ich weiß nicht, ob ich davon alles gesehen habe.«

»Verdammt! Es kann doch nicht sein, dass Harry sich in Luft aufgelöst hat. Vielleicht gibt es doch noch eine zweite Zufahrt, die wir übersehen haben oder die haben einen Tunnel aufm Grundstück.«

»Sollte das der Fall sein, finde ich den niemals alleine. Das ist riesig da.« Die ganze Runde nickt zustimmend, doch niemand antwortet darauf. Wir wissen, dass ein möglicher Tunneleingang der Nadel im Heuhaufen gleicht. Hoffen wir, dass es diesen nicht gibt. »Ich würde sagen, dann bleiben wir an Liam dran. Versuche ihn am besten irgendwie abzufangen, um ihn zur Rede zu stellen. Irgendwas muss er doch dazu zu sagen haben.«

»Ich werde es versuchen. Hoffen wir, dass er uns wirklich weiterhelfen kann.«

Der restliche Abend verläuft recht schweigsam. Obwohl ich total erschöpft und müde bin, kann ich nicht schlafen. So hocke ich eine Zeit lang neben Niall, der die Nachtschicht heute übernimmt und vertrete mir anschließend ein bisschen die Beine, indem ich ein paar Schritte über den Parkplatz schlendere.

Michelle und Zayn haben sich derweil schon in den Transporter gelegt, um zu schlafen. Ob sie wohl schon miteinander geredet haben? Immerhin haben beide momentan viel Zeit, um darüber nachzudenken. Hinzu kommt, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass sie sich beide alleine schlafen legen würden. Andererseits gibt es ja keine Alternative. Niemand von uns sollte aktuell auf Schlaf verzichten.

Seufzend umklammere ich mich selbst mit meinen Armen und richte meinen Blick gen Sternenhimmel. Was Harry jetzt wohl gerade macht? Ist er irgendwo in einem dunklen Raum gesperrt? Oder täuschen wir uns und es geht ihm sogar so gut wie Liam, nur in irgendeiner anderen Familie? Nein, daran will ich nicht denken. Er kann mich und auch die anderen nicht über so eine lange Zeit hinweg angelogen haben. Harry liebt mich, das weiß ich. Zudem habe ich ihm versprochen, dass ich nie wieder an seiner Liebe zweifeln werde.

Als eine einzelne Träne über meine Wange rollt, wende ich den Blick ab. Stattdessen steuere ich den Transporter an. Es ist schon spät und ich sollte auch langsam dafür sorgen, dass ich ein bisschen Schlaf bekomme.

So leise wie es bei einer Transportertür eben möglich ist, öffne ich sie einen Spalt, um mich dazwischen zu quetschen. Im schwachen Licht meiner Handytaschenlampe krabble ich auf die freie Matratze ganz links. Zayn liegt in der Mitte und Michelle rechts. Als ich vorsichtig zu ihnen leuchte, um zu schauen, ob ich jemanden geweckt habe, kräuselt Zayn die Nase, weshalb ich rasch mein Display ausschalte und das Handy beiseite lege. Während er im Schlaf etwas vor sich hin brabbelt, dreht er sich von mir weg und in der Dunkelheit glaube ich zu erahnen, dass er seinen Arm um Michelle legt. Es wäre schön, wenn es wirklich so wäre. Mir juckt es in den Fingern, die beiden noch einmal mit dem Handylicht anzuleuchten, doch für heute belasse ich es dabei.

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Oh man, es scheinen alle etwas verzweifelt zu sein ... :( Wie soll das nur weitergehen?

Zatago III - [Larry-AU]Where stories live. Discover now