Kapitel 19

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Ich habe keine Ahnung, wo wir uns befinden. Erst als wir dem grünen Flitzer vor uns schon eine ganze Weile folgen und Zayn auf einen Parkplatz fährt, blinzle ich. Vorher hatte ich zu viel Angst, den Wagen aus den Augen zu verlieren. Auch wenn das bei der Farbe unwahrscheinlich gewesen wäre. »Wo sind wir?«, frage ich flüsternd, obwohl nur Zayn mich hört. »In San Mateo.«

Auto für Auto reiht sich nebeneinander und Fußgänger huschen über den Asphalt. Der Fahrer des Sportwagens peilt die letzte Reihe an, in der noch einige Plätze frei sind. Zayn findet etwas entfernt einen Parkplatz, der es uns dennoch erlaubt, das Szenario zu beobachten. Ein paar Sekunden passiert nichts, dann öffnet sich die Fahrertür. Ich halte die Luft an. »Carter«, brumme ich. Daran besteht kein Zweifel, denn das bunte Sleeve-Tattoo hatte er schon damals und war auf den Bildern gut erkennbar. Seine kurzen, blonden Haare hat er nach hinten frisiert, sein Kleidungsstil eher einfach. Weißes T-Shirt, dunkelblaue Jeans und schwarz-weiße Sneakers. »Was will er hier?«

»Einkaufen, schätze ich mal.« Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und wage für den Bruchteil einer Sekunde, Carter aus den Augen zu lassen, um mich umzusehen. Am Ende des Parkplatzes ragt ein fünfstöckiges Gebäude in die Luft, an dessen weißen Frontseite die Letter METROSHOPPING angebracht wurden. Dann fallen mir auch die vielen Tüten auf, die die Leute bei sich tragen, während sie ihren Wagen suchen. »Lass uns hinterhergehen«, meint Zayn. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen.

Im Inneren des scheinbar neu renovierten Shoppingcenters begrüße ich mit Kusshand die kühle Luft der Klimaanlage, und um uns herum tummeln sich weniger Menschen als der überfüllte Parkplatz vermuten lassen hat. Ein aktueller Popsong, der aus den Lautsprechern an der Decke trällert, vermischt sich mit dem leisen Gemurmel der Einkaufenden. Von irgendwoher schreit ein kleines Kind und um meine Nase kreist ein Schwall verschiedenster Gerüche. Frisch gemahlener Kaffee, Vanille, asiatische Nudeln, Schweiß, Orange, Lavendel, Frittierfett, Rosenholz.

Zayn dreht sich um die eigene Achse, bevor er nach links nickt. Ich folge seinem Blick. Carter schlendert gemütlich mit den Händen in den Hosentaschen über die weißen Hochglanzfliesen und betrachtet hier und da ein Schaufenster. »Geht er alleine shoppen?«, frage ich überflüssigerweise, weshalb mein Kumpel mit den Schultern zuckt. »Sieht so aus. Vielleicht wartet er ja noch auf jemanden.« Könnte sein, aber würde man dann nicht an einem vereinbarten Ort warten und nicht seinen Standpunkt ständig verändern? Möglichst unauffällig scanne ich die Menschen in der Nähe ab. Niemandem hier würde ich zutrauen, mehrere Personen gegen ihren Willen festzuhalten. Auch Carter sieht total harmlos aus. Was muss sich in seinem Kopf abspielen, dass er zu so etwas fähig ist?

Mit genügend Abstand folgen wir ihm, immer darauf bedacht, dass er uns nicht entdeckt. Als er die ersten gefüllten Tüten bei sich trägt, entscheidet er, in einem kleinen Café, das mitten im Gang der Shoppingmall liegt, etwas zu essen. Wir bestellen ebenfalls etwas, bleiben jedoch bei Kaffee und bezahlen direkt.

Zayn zupft nachdenklich an seiner Unterlippe, während seine Aufmerksamkeit meist bei Carter liegt, nur ab und zu schielt er zu mir oder seinem Becher. »Worauf warten wir jetzt eigentlich? Hast du einen Plan?«, frage ich ihn und nippe an der bräunlichen Brühe. Als er mir räuspernd in die Augen schaut und zögert, keimt Hoffnung in mir auf. Doch er schluckt und senkt dann den Blick. »Nein, keine Ahnung. Wir müssen wohl noch abwarten.«

Irritiert ziehe ich die Brauen zusammen. »Sicher? Du sahst eben so aus, als hättest du eine Idee.« Zayn schüttelt den Kopf, ohne mich anzusehen, was meine Skepsis bestärkt. »Zayn! Raus mit der Sprache. Es geht um Harry! Und um Liam! Wir dürfen keine Zeit vertrödeln. Also ... was geht da in deinem Köpfchen vor?«

Er seufzt und wischt sich mit einer Hand übers Gesicht, bevor er mich doch wieder ansieht. »Es war nur ein knapper Gedanke, aber das ist Quatsch und wird sowieso nicht funktionieren. Außerdem will ich das ... niemandem antun«, winkt er ab, weshalb ich mit der flachen Hand auf den Tisch schlage. »Sag schon!« Ein weiteres Mal seufzt er und lehnt sich zurück, so als müsse er Abstand zwischen uns bringen.

»Na ja, wie lange steckt Liam da jetzt schon fest? Einige Tage mindestens, vielleicht sogar Wochen oder Monate. Ohne Harry haben wir keinerlei Anhaltspunkte mehr, weshalb ich damit rechne, dass wir ihn nicht so schnell wiedersehen würden, wenn wir nicht handeln. Ich will nicht einfach reinstürmen, weil wir keine Ahnung haben, mit wie vielen wir es zu tun haben werden. Und die Räumlichkeiten kennen wir auch nicht.«

»Das ist nichts Neues. Komm zum Punkt«, unterbreche ich ihn, woraufhin er die Augen verdreht und mich dann entschuldigend ansieht. »Wir schleusen dich als Maulwurf ein.« Mir entgleiten die Gesichtszüge. Was? Mit offenem Mund und großen Augen starre ich Zayn an, der zerknirscht seine Miene verzieht, meinem Blick aber standhält. »Warum ausgerechnet ich?«, hauche ich, noch immer fassungslos über seinen Vorschlag.

Verlegen reibt er sich mit einer Hand über den Nacken. »Damit das funktioniert, muss es einen guten Grund geben, dass Carter dich reinlässt. Er ist mit Sicherheit nicht dumm und wenn plötzlich jemand auftaucht, nachdem Harry verschwindet und in seine Gang möchte, weiß er doch direkt, was Sache ist. Und ...« Er stoppt und mustert mich kritisch, so als wisse er nicht, ob er die nächsten Worte wirklich aussprechen soll. »Und?«, hake ich deshalb nach. Ein weiteres Mal holt er tief Luft, bevor er endlich ausspuckt, woran er gedacht hat. »Er ist schwul, du bist schwul. Mit Glück ist er sogar in keiner Beziehung. Vielleicht klappt es ja, wenn du und er ...«

»Auf gar keinen Fall! Bist du bescheuert?«, falle ich ihm ins Wort. Ich schleppe doch nicht diesen charakterlosen Bastard ab, während Harry sonst was durchmachen muss. Das kann ich ihm nicht antun. Niemals. »Louis, bitte sieh es nicht als Fremdgehen. Harry würde das verstehen, dass du es für ihn machst.«

»Nein, vergiss es! Warum soll ich mich überhaupt an ihn ranmachen? Warum machst du das nicht?« Ich verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich ebenfalls zurück, während ich auffordernd die Augenbrauen hochziehe. Wenn er schon so eine grandiose Idee hat, kann er doch selbst die Drecksarbeit machen. »Einen von ihnen zu spielen, ist eine Sache. Einen von ihnen zu spielen und so zu tun, als würde ich auf Kerle stehen, sind zwei Sachen. Für dich wäre es einfacher.«

»Ja, toll. Du bist doch so ein Held, dann wäre das doch ein Klacks für dich.«

»Übernimmst du dann hier das Kommando und gibst Anweisungen?«

»Das könnten auch Niall und Michelle übernehmen.«

»Also willst du dich komplett zurückziehen und uns die Arbeit überlassen, obwohl es um Harry geht?«

»Tzz.« Darauf fällt mir nichts ein, weshalb ich einfach nur ungläubig den Kopf schüttle. Natürlich will ich etwas unternehmen, um meinen Freund zu retten. Ich würde alles für ihn tun, schießt mir durch den Kopf. Aber Zayn hat vorgeschlagen, dass ich einen anderen Typen als Harry anbaggern soll! Anfang letzten Jahres hätte ich die Herausforderung mit größtem Vergnügen angenommen und mit absoluter Sicherheit auch gewonnen. Carter ist attraktiv, keine Frage, aber er ist nicht Harry. Ich will keine andere Person berühren, küssen oder gar flachlegen.

Meine Augen huschen zu dem blonden Mann, der nichtsahnend in einer Zeitschrift blättert. Wie kommt Zayn nur auf die dämliche Idee, dass das klappen könnte? Ich bin mir sicher, dass es das nicht tun würde. Außerdem wäre mir die Sache ohne schlechten Gewissens sowieso nicht möglich, generell könnte ich das nicht. Ich kann meinem Freund nicht das Herz brechen. Nein, wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen, denn das ist es nicht wert.

Harry ist alles wert!

Stöhnend reibe ich mit beiden Händen über mein Gesicht. »Ich kann das nicht, Zayn.«

»Schon okay. Hab ja gesagt, dass es Quatsch ist.«

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Na, da hat Zayn ja was vorgeschlagen? Denkt ihr, dass er es wirklich für Quatsch hält? 

Zatago III - [Larry-AU]Where stories live. Discover now