Kapitel 14

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»Broker?! Ausgerechnet die Börse?«, zische ich, als wir abends Harrys altes Jugendzimmer betreten. »Warum denn nicht? Ich brauchte einen Alibi-Job, bei dem man viel Geld verdient und von dem viele keine Ahnung haben. Außerdem sind dort doch auch viele Schwindler, so komme ich mir nicht ganz wie ein Lügner vor.« Ist das so? Ich habe doch selbst keine Ahnung. »Oh man«, sage ich und schüttle den Kopf, ehe ich mich im Zimmer umsehe.

Ein überschaubarer Raum, der anscheinend zu einem Mix aus Abstell-, Sport- und Gästezimmer mutiert ist. Hometrainer, Bügelbrett und aufgestapelte Stühle. An einer der Wände steht ein schmales Bett, das nur halb so groß ist wie unseres auf Zatago. Dem gegenüber befindet sich eine Reihe dunkler Einbauschränke mit Schiebetüren, an die Harry nun herantritt. Als er sie zur Seite schiebt, kommen dahinter lauter bunter Kisten zum Vorschein, die ordentlich beschriftet wurden. Im Gegensatz zum Rest des Schrankes befindet sich im letzten Teil lediglich eine Schiene mit gepolsterten Kleiderbügeln, an denen einzelne Kleidungsstücke hängen. »Sind das deine Sachen?«, frage ich Harry, der daraufhin nickt. Grinsend trete ich näher und streiche mit den Fingern über die geblümten Hemden. »Sowas hast du mal getragen?«

»Ja, aber inzwischen mag ich es lieber ... eleganter.« Ich nicke und ziehe einen Kleiderbügel hervor. Glatter bunter Stoff mit großen und kleinen Blüten, wilder als jede Wiese, jetzt mit einer dünnen Staubschicht umschlossen. »Ist auch besser so. Darin hätte ich dich sicher nicht abgeschleppt.«

»War es nicht andersherum? Ich habe dich abgeschleppt?«, fragt Harry und zieht eine Augenbraue hoch. Nein, eigentlich nicht. Ich wollte mich von Anfang mit ihm in seinen Laken wühlen, seit der ersten Sekunde. Aber ich will mal nicht so sein. Ich zucke mit den Achseln, während ich das Kleidungsstück zurück in den Schrank hänge. »Wie auch immer. Jedenfalls solltest du das nicht mehr anziehen, deine Mutter soll daraus lieber Sofakissen nähen oder so.«

»Hey«, beschwert er sich und hievt dabei eine grüne Kiste heraus, die er auf den grauen Teppichboden abstellt. »Was denn? Ist doch wahr.« Kopfschüttelnd, aber grinsend öffnet er den Deckel. Der Inhalt besteht aus dicken, teuer aussehenden Wälzern. Die makellosen Buchrücken und der saubere Glanz ihrer Cover deuten darauf hin, dass Harry ein eher schlechter Schüler oder Student war. »Hast du die überhaupt mal angerührt?«, frage ich ihn deshalb. »Nein, ich ... Carter und die Jungs standen damals für mich an zweiter Stelle.«

»Und an erster?«

»Zatago. Mein Ziel war es schon immer, mein eigenes Ding zu machen. Ich habe nur auf den richtigen Moment gewartet, um abzuhauen.«

»Und deine Mum hat von alldem nichts mitbekommen?«, frage ich ungläubig. Harry kräuselt die Stirn und zuckt mit den Achseln. »Weiß auch nicht. Sie hat jedenfalls nie etwas gesagt und es wäre besser, wenn es auch so bleibt. Wie soll ich ihr das erklären? Sie würde mich hochkant rausschmeißen und nie wieder sehen wollen. Da ist es immer noch besser, sie nur einmal im Jahr oder so zu sehen.« Ich nicke verstehend, während Harry die Kiste wieder verschließt und stattdessen eine gelbe hervor holt.

Wir arbeiten uns durch CDs, noch mehr Bücher, Videokassetten, vergilbte Ordner und durchsichtige Mappen. Die vorletzte Kiste ist mit ›Sonstiges‹ beschriftet und als Harry den Deckel hebt, kommen endlich einige Fotoalben zum Vorschein. Ganz oben drauf ein alter Fotoapparat. Obwohl er wahrscheinlich höchstens zehn Jahre auf dem Buckel hat, wirkt er wie ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert. Harry legt die Kamera behutsam neben sich auf den Fußboden und nimmt dann das erste Fotoalbum hervor.

Ich setze mich neben ihn und luge ebenfalls über die Fotos. Als ich erkenne, dass sie auch mich selbst zeigen, versetzt es mir einen Stich. Wir haben so viele Jahre miteinander verpasst, was mich irgendwie traurig stimmt. Allerdings wissen wir auch nicht, was aus uns geworden wäre, wenn wir keinen Kontaktabbruch gehabt hätten. Vielleicht hätte ich in Harry dann nie die heißeste Sahneschnitte des Planeten gesehen, sondern immer den besten Freund.

Mein Blick bleibt an einem Bild haften, das Harry und mich beim gemeinsamen Lümmeln auf einer Couch zeigt. Seine Hand ruht dabei auf meinem Oberschenkel. Wir waren damals viel zu jung, als dass es da schon um Gefühle ging, doch der Anblick bringt uns beide zum Lächeln.

Die folgenden Alben sind eher gefüllt mit Fotos größerer Gruppen und verwackelten Schnappschüssen. Fremde Menschen, die wahrscheinlich gar nicht mitbekommen haben, dass sie fotografiert wurden. Zigarettenqualm, der manches Bild trübte. Regentropfen, die auf der Linse des Apparates klebten, um einen bunten Regenbogen zu fotografieren, der nun aber nur verschwommen abgelichtet ist. Wir gehen alles durch, auch wenn ich selbst nicht weiß, wonach Harry sucht. Doch ich bleibe bei ihm und verfolge seinen Finger, der über die Fotos fährt, damit er ja nichts übersieht.

Erst als das letzte Album durch ist und wir stattdessen eine Schachtel mit losen Bildern vor uns haben, stockt Harry. Ein Polaroid zeigt ein heruntergekommenes Gebäude, ein paar Scheiben eingeschlagen, der Vorhof mit Unkraut übersät. Die davorstehenden Jugendlichen posieren jedoch stolz, als wäre es das Weiße Haus. »Das ist es«, flüstert Harry, woraufhin ich die Stirn runzle.

»Was meinst du?« Er antwortet mir nicht und gibt mir stattdessen das Bild. Auch Harry ist darauf. Er steht ganz außen und hat die Arme vor der Brust verschränkt, während die anderen ihre um die Schultern des jeweiligen Nachbars gelegt haben. Dennoch grinst er spitzbübisch in die Kamera. »Dreh es um«, sagt er nach einer Weile. Ich mache, was er mir sagt und lese die sich darauf befindlichen Buchstaben.

›Heute werden wir das Feuer entfachen.‹

Darunter wieder eine Adresse. »Es ist nicht ganz der Wortlaut wie auf dieser blöden Karte, aber ›Feuer entfachen‹, ›von einer anderen Seite‹, Carter und die alte Clique ... vielleicht ist Liam dort. Es ist damals ein verlassenes Gebäude gewesen, das wir für uns beansprucht haben. Es liegt in der Nähe von San Francisco, östlich von Montara.« Nickend folge ich seiner Erklärung, doch eine Sache irritiert mich. »Warum dann das Ding mit der Geheimtinte? Und warum schreibt Liam nicht direkt diese Adresse drauf, sondern die in Modesto?«

»Ich weiß es nicht. Das ist jedoch die einzige Idee, die ich noch habe. Wir sollten dort mal vorbeischauen, bevor wir Carter das nächste Geld in den Rachen schieben.« Na super. Das bedeutet eine weitere lange Autofahrt. Aber was sollen wir sonst anderes tun? Ich habe keine bessere Idee. Und auch wenn ich diese ganze kriminelle Schiene seit fast einem Jahr miterlebe, bleibt Harry der Profi.

Ich will ihm gerade antworten, da klirren plötzlich Gläser im Flur aneinander. Schritte tapsen dumpf über die Dielen, gefolgt von einem Klopfen an unserer Tür. Überrascht hebt Harry die Brauen, bittet die Person aber herein. Es ist Gemma, die grinsend ihren Kopf durch den Türspalt steckt und ins Zimmer späht. »Na, ihr zwei. Ich hab mir gedacht, wenn wir schon mal alle hier sind, sollten wir zusammen was trinken. Wir könnten uns nach draußen in den Garten setzen. Was haltet ihr davon?« Ich wende meinen Blick zu Harry, der mich fragend anschaut. Es ist seine Familie und wenn er mit ihnen etwas trinken möchte, werde ich natürlich nichts dagegen sagen, weshalb ich mit den Schultern zucke. »Ich habe gefunden, was ich wollte. Und in der Nacht wollte ich sowieso nicht fahren«, sagt er leise, sodass nur ich es verstehe. Dann blickt er auf, um Gemma anzugrinsen. »Geht klar. Was gibt es denn?«

Gemma schmunzelt und hebt eine Hand, um an den Fingern aufzuzählen. »Gin, Obstlikör, Kentucky Bourbon und Tequila.«

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Ich wiederhole: UnD tEqUiLa!!!! Da kommen Erinnerungen hoch ... xD

Aber was auch wichtig ist: Das Bild. Kommen wir Liam damit ein Stück näher? Was denkt ihr?

Zatago III - [Larry-AU]Where stories live. Discover now