FÜNFUNDZWANZIG

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Gespannt blickte ich zu dem Fußballspieler. Es war ihm ernst, er verzog keine Miene, den Blick starr aufs Lenkrad gerichtet.
Julian räusperte sich und seine Augen suchten meine, aber keine Millisekunde später drehte er den Kopf wieder weg.
Ich meinte so etwas wie Angst in seinen Augen gesehen zu haben.

"Was?" krächzte ich schließlich, da er immer noch nichts gesagt hatte.

"Also-" er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und ließ einen frustrierten Seufzer raus.

"Wo soll ich anfangen?" fragte er mehr sich selbst.

"Ich, das letzte Woche, es war falsch von mir" presste er hervor.

Meine Augen weiteten sich und wütend starrte ich ihn an.
"Was war falsch? Dich mit mir zu treffen und zu sagen, dass das davor auch falsch war?" Ich wusste nicht woher ich den Mut hatte ihm so zu antworten. Meine Gefühle gingen mal wieder mit mir durch.

"Nein, so meinte ich das nicht. Der Kuss, es- es war richtig, ich wollte das so"

Gekünstelt lachte ich auf, mir war bis jetzt noch keine Träne entwichen, aber ich war kurz davor einen ganzen Sturzbach loszulassen.

"Aber du findest es war trotzdem falsch?" Hauchte ich.

Er seufzte.
"Ich bereue es nicht, dass wir uns kennengelernt haben, nicht, dass wir uns geküsst haben, aber ich bereue was ich gesagt habe. Ich-" er stockte und fuhr sich durch die Haare.

"Ich war mir selber nicht im klaren über meine Gefühle, dazu kommt der ganze Stress wegen meines Wechsels und ich kam damit einfach nicht klar, aber nach unserem Treffen letzte Woche wurde alles nur noch schlimmer" seine Stimme wurde gegen Ende lauter.

Schließlich kullerte die erste Träne über meine Backe.

"Ich wollte dir keine Falschen Hoffnungen machen" fügte er leise hinzu.

"Und trotzdem hast du es getan" flüsterte ich, Julian's Blick wendete sich endlich zu mir.
Er schloss für einen kurzen Moment die Augen und ließ sich in den Sitz fallen.

"Ich konnte nicht mit dem Gewissen leben, dich hier im Unwissen alleine zu lassen, wenn ich am anderen Ende der Welt wohne" gab er leise zu.

Entrüstet schnappte ich nach Luft und nahm all meinen Mut zusammen.

"Du denkst also hier geht es nur um dich? Darum, dass du nicht mit dem schlechtem Gewissen leben kannst, mich hoffnungsvoll hier zurück zu lassen? Weißt du es geht hier nicht nur um dich, kannst du dir auch nur ansatzweise vorstellen wie sehr du mich verletzt hast" meine Stimme hob sich. Julian schüttelte fast unmerklich den Kopf.

"Ich hatte gedacht in dir eine Person gefunden zu haben, der ich vertrauen kann, die mir das Gefühl von Geborgenheit gibt.
Du hast das Loch in meinem Herzen gestopft, das wegen sowas entstanden ist." ich machte eine Pause und schluckte schwer.

"Vor Zwei Jahren hat mich mein Freund einfach so verlassen, ohne ein Wort zu sagen, nach fast drei Jahren Beziehung. Er hat das Land verlassen, wo er ist weiß ich bis heute nicht. Ich war am Boden zerstört und wollte gar nicht mehr das Haus verlassen.
Ja, und dann kommst du. Schleichst dich leise in mein Herz, versiegelst das Loch und lässt es beim gehen noch viel größer werden." Das Ende des Satzes war nur noch ein leises hauchen.

Meine Augen huschten zu Julian. Er saß verkrampft im Sitz und starrte auf die Mittelkonsole, langsam hob sich sein Blick. Unsere Augen verhalten sich und erschrocken erkannte ich, dass auch ihm einige Tränen über die Wange gelaufen sind.

"Ich wollte das alles nicht. Nicht so" flüsterte er mit rauer Stimme.

"Seit wir uns das erste mal gesehen hatten, wollte ich dich kennenlernen, an dem nächsten Morgen, als ich aufgewacht bin, nach dem Club-Abend, ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Kai hat mir auf die Sprünge geholfen und als du dann mit deiner Freundin im Stadion saßt. Mich hat es fast aus den Socken gehauen. Nach unserem Kuss, hatte ich fest beschlossen, dich nie wieder gehen zu lassen. Du warst einfach wie eine Seelenverwandte für mich. Die mir vielleicht auch etwas mehr als nur Freundschaft bedeutete."

Ein Seufzen verließ sein Mund, bevor er fortfuhr.

"Ich bekam spitzen Angebote aus aller Welt, Liverpool, Dortmund sogar Barcelona und Madrid. Das war immer mein Traum gewesen und jetzt kann ich ihn verwirklichen. Ich hatte so hart dafür gearbeitet, soetwas konnte ich nicht ignorieren. Aber dann bist du dazwischen gefunkt, mein ganzes Leben hat sich um 180 Grad gedreht, meine Gedanken hingen nur noch bei dir. Nur der Fußball konnte mich etwas ablenken.
Ich stand an der Kippe, gehen oder bleiben.
Bis schließlich feststand, dass ich Levekusen verlassen werde.
Meine Karriere steht mir offen und ich will sicher noch mehr erreichen.
Es ging jetzt nur noch darum wohin.
Meine Gedanken sagten mir, entweder weit weg um dich zu vergessen, oder in die Nähe um bei dir zu sein.
Es lag nie in meinem Sinne dich so zu verletzen, ich hatte nur an mich selbst gedacht und das war nicht richtig." beendete Julian seine Rede.

Ich sah verheult aus dem Fenster und auch Julian wendete sich ab, er hatte mich die ganze Zeit angeschaut, aber ich konnte seinem Blick nicht standhalten.
Der Regen prasselte auf das Dach des Autos, draußen war es schon dunkel und die Regentropfen an der Scheibe spiegelten das Licht der Straßenlampen.

"Und jetzt?" fragte ich mit gebrochener Stimme und drehte mich wieder so, dass ich mit dem Rücken an der Autotür angelehnt war.

Julian's Schultern zuckten nach oben.

"Ich weiß es nicht, ich will dich nur nicht vergessen, du bedeutest mir wirklich viel" sagte er nach einer kurzen Stille.

Der Blonde bereute also nicht, dass wir uns geküsst hatten und mag mich vielleicht doch, aber er wird trotzdem weg gehen. Wenn ich ihm jetzt verzeihen würde, dann würde es umso mehr weh tun wenn er am anderen Ende der Welt wohnt.
Andererseits könnte ich sofort anfangen ihn zu vergessen wenn ich ihm nicht verzeihe.

"Weißt du schon wohin?" fragte ich vorsichtig.

Er schüttelte den Kopf "Nicht wirklich. Aufjedenfall raus aus Deutschland. Was neues sehen."

Ich nickte geflissentlich.

Meine Gedanken waren Matsch, vom heulen hatte ich Kopfweh und meine nassen Klamotten klebten immernoch an meinem Körper.

"Gib mir bitte Zeit. Können wir uns treffen, wenn du deine Entscheidung getroffen hast?"

Mein Gegenüber nickte bloß schwach.

"Könntest du?" Ich zeigte auf die Autotür.

Julian brummte und entriegelte die Tür.

"Bis dann Alessia"

"Gute Nacht Julian" hauchte ich.

Im Badezimmer stellte ich mich erst mal unter die Dusche, es hieß immer man könne sich den Frust von der Seele schrubben, aber meine Sorgen waren danach immernoch da.
Aus Sehnsucht kramte ich Julian's Pulli aus der Kommode und zog ich mir über.
Ich atmete den Geruch tief ein, es beruhigte mich und nach einer Weile war ich tatsächlich eingeschlafen.

Nobody compares to you   -Julian BrandtWhere stories live. Discover now