NEUNZEHN

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Seit verdammten 12 Minuten wartete ich jetzt schon und von Julian fehlte weit und breit jede Spur.
Ich wurde wütend.
Wirklich wütend.
Er wollte sich doch mit mir treffen um über etwas zu sprechen und dann taucht er nichtmal auf?
Entschlossen sprang ich auf.
'Nach Hause' war mein Gedanke.

Doch kurz bevor ich den Platz verlassen wollte, hörte ich jemanden meinen Namen rufen.

"Alessia"

Ich drehte mich um.
Und da stand er.
Mit der Käppi, tief ins Gesicht gezogen und einer Sonnenbrille auf der Nase.

Für einen Moment war meine Wut wie verflogen, meine Beine waren ganz wackelig und mein Magen kribbelte ganz komisch.

Verdammt.

Schnell rief ich mir wieder ins Bewusstsein warum ich wütend gewesen bin.

Extra langsam schlenderte ich auf ihn zu.
Julian's Miene veränderte sich kein Stück. Er sah definitiv nicht glücklich aus.
Und irgendwie traf mich das, aber ich zog mein Ding durch. Ich nahm allen Mut zusammen und sagte:
"Schön, dass du dich auch mal blicken lässt"
Es klang jedoch härter als eigentlich beabsichtigt und schon keimten Schuldgefühle in mir auf.

"Gehen wir ein Stück"

Seine raue Stimme verschaffte mir eine Gänsehaut, mal wieder.
Er schaffte es, wohlgemerkt ohne mich zu berühren, mich zu beeinflussen.
Julian's Art ließ mich erschaudern, ich hatte ihn noch nie so konsequent und neutral erlebt, wie jetzt gerade.

Wir betraten den Park hinter dem Fernsehturm, ich schaute einige Male zu ihm hinüber, aber sein Blick war star auf den Fußweg gerichtet.
Die Stimmung war zum schneiden dick, keiner traute sich etwas zu sagen.
Bis ich mich am Hemdkragen fasste und einfach drauf los redete.

"Also, über was willst du reden?"

Julian zuckte kurz zusammen. Er war wohl in seine Gedanken vertieft gewesen.
Sein Blick wendete er trotzdem nicht vom Weg ab.

"Wollen wir uns setzten" sein Finger zeigte auf eine Parkbank, ich musterte ihn kurz, bevor er schnell seine Hand zurück zog und zu einer Faust ballte.

Ich hatte es trotzdem bemerkt, wie sein Finger gezittert hatte.

Ich nickte stumm und setzte mich neben ihn.
Er atmete tief ein und mit einem seufzen wieder aus.
Aufeinmal drehte er seinen Kopf in meine Richtung und wendete ihn kurz darauf wieder ab.

Langsam wurde ich ungeduldig und ein unschönes Gefühl machte sich in mir bemerkbar.
Julian schluckte hart, bevor er anfing zu reden.

"Alessia-" setzte er an und schaute mich an.

"Das letzten Donnerstag war ein Fehler, es hätte nicht passieren sollen" haute er schließlich raus.

Die Worte trafen mich wie Stacheln.
Ich konnte haargenau spüren, wie das Loch in meinem Herz aufklaffte und wie sich seine Worte dazu bohrten.
Trotz dass ich mir die schlimmsten Szenarien schon ausgemalt hatte, war das hier schwer zu begreifen. Es war wie ein Schlag aufs Auge.

Julian's Blick richtete sich auf den Boden, seine Sonnenbrille verbarg jedoch seine schönen Augen.

Der Moment war mir zu perplex um zu weinen. Auch wenn seine Worte Spuren hinterließen.

"A- aber warum?" stotterte ich.

An seiner Reaktion machte ich aus, dass er damit nicht gerechnet hätte.

"Es-" er stockte "es ist halt so". Der blonde stand auf und lief los.
Ich hetzte ihm hinterher und zog ihn am Handgelenk zurück.

"Was ist so?" schrie ich, meine Gefühle setzten mir zu.
"Verdammt Julian ich habe eine Erklärung verdient"

"Ich, das, wir sollten kein Kontakt mehr haben, ich wollte dir keine falschen Hoffnungen machen" seine Stimme wurde zum Ende hin immer leiser.

Ich konnte gar nicht begreifen, was hier gerade vor sich ging.
Und nickte somit nur verletzt.
"Okay" flüsterte ich mit brüchiger Stimme.
Julian wandte sich ab und ging.
Ich ließ mich auf die Bank fallen,  mein Blick stets auf seinen Rücken geheftet, Julian's Schritte verschnellerten sich, er hob immer wieder seine Hände und wischte sich durch das Gesicht.
Hat er geweint?
Niemals, oder?

Er hat es doch so entschieden.
Ich sollte eigentlich weinen.
Aber ich konnte nicht, nach all dem Leid, das ich wegen Justin erlebt hatte, hatte ich mir geschworen nie wieder wegen einem Typen zu heulen.
In der Öffentlichkeit zumindest, ich war einfach kein Mensch, der bereit war Gefühle zu zeigen.

Zuhause sah das dann anderst aus.

Ich hatte mich zusammengerissen und zu meinem Auto geschleppt, um dann zu meiner Wohnung zu fahren.
Ich sackte noch an der Tür zusammen und ließ mich an ihr hinuntergleiten.
Meine Arme ruhten auf meinen Knien während ich immer wieder meinen Hinterkopf gegen die Tür schlug.

Was habe ich falsch gemacht?

Warum machte ich immer etwas falsch?

"Warum immer ich?" schluchzte ich endgültig und dann war es um mich geschehen.
Mit aller Kraft stürtzte ich auf mein Bett und presste mein Gesicht in das Kissen. Ich schrie mir die Wut und den Frust aus dem Leib, bis es in einem kümmerlichen weinen endete.

Julian hatte mich doch geküsst, er wollte es.
Wir hatten eine wunderschöne Zeit zusammen und aufeinmal ist er so komisch.
Verzweifelt wählte ich Elisas Nummer.

"Alessia, schon wieder zu Hause? Wie war's?" fragte sie überschwänglich.

"Eli-" der Rest ging in einem Schluchzen unter. Die Tränen bahnten sich ihren Lauf, ich konnte nichts dagegen tun.

"Oh scheiße, ich bin unterwegs" und schwupps hatte sie aufgelegt.
Zum Glück hatte ich eine tolle Freundin auf die ich immer zählen konnte.

Bis es klingelte versuchte ich, so gut wie möglich das heulen zu unterdrücken.
Doch als Eli dann in den Flur trat und mich in den Arm nahm fing alles wieder von vorne an, ich konnte nicht mal reden.

"Ich hab Schokolade mitgebracht" grinste sie, was mich auch zum Lächeln brachte.
Aber es erreichte nicht meine Augen, ich fühlte mich ganz komisch leer, ich glaube das Loch in meinem Herzen wurde so groß, dass mein Herz darin versank. Und schuld daran war Julian höchstpersönlich.
Ich hätte von Anfang an wissen sollen, dass das keine gute Idee war.

"Willst du's mir erzählen?" fragte Elisa und drückte mich bestimmend auf das Sofa, ich nickte leicht.

Zwei Heulkrämpfe und ein erklärendes Gespräch später, hatte ich meinen Tränenvorrat vorerst aufgebraucht. Dafür brummte mein Schädel und unter meinen Augen hingen große Ringe.
Ich schob mir den letzten Rest der Schokolade in den Mund und ließ sie langsam auf der Zunge zergehen. Der Geschmack erfüllte für eine kurzen Zeitraum mein inneres mit Glück, ich werde wohl noch ganz viel neue Tafeln brauchen, bis ich Julian vergessen konnte.

"Also starten wir jetzt die Aktion 'J. B. vergessen', okay" Elisa zückte Stift und Papier. Wir saßen die ganze Nacht an potentiellen Verbesserungs- und Vergessvorschläge.
Ich hatte ehrlich gesagt Angst davor, ich wollte Julian nicht vergessen, aber eine bessere Möglichkeit fanden wir auch nicht. Es tat einfach nur weh, wenn ich an ihn dachte und immernoch hinterschlich mich der Gedanke: wieso?

Elisa schleppte mich am folgenden Tag zum Arzt, ich hatte immernoch Kopfschmerzen und wenn man mich ansah könnte man glatt denken ich wäre von den Toten wieder auferstanden.
Für heute erhielt ich eine komplette Krankschreibung und am Freitag nur für die Uni morgens.
So wollte ich niemandem vor die Augen treten.

Ich nutzte den restlichen Tag zum aufräumen und lernen. Hauptsache ich war beschäftigt und mit meinen Gedanken nicht bei Julian.

Nobody compares to you   -Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt