VIERUNDZWANZIG

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Alessia's P.o.V.

"Julian nein" hörte ich Kai rufen und erstarrte.
Scheiße, scheiße, scheiße.
Warum genau jetzt.
Kai war gerade erst wiedergekommen, als es geklingelt hatte, wir hatten also noch nicht geredet.
Ich hörte wie die Tür zu geschlagen wurde und die Schritte näher kamen.
Ich bekam es mit der Angst zu tun, wie sollte ich mich denn verhalten?
Ich dachte noch darüber nach mich unter dem Sofa zu verstecken, oder in die angrenzende Küche zu laufen, aber mein Körper war wie versteinert.
Ich war nicht dazu fähig mich zu bewegen, mein Herz schlug total unregelmäßig. Die Schritte kamen immer näher, wie gebannt starrte ich auf den offenen Eingang zum Wohnbereich.

Und dann stand er da.
In einen blauen Jogginganzug gekleidet.
Mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht, das mein Bauch zum Kribbeln anregte.

Doch Julian's Lächeln verfiel von der einen auf die andere Sekunde, als sein Blick sich vom Boden hob und den Sofarand hochwanderte.
Wie eingefroren verhakten sich unsere Blicke, mein Gesicht war mindestens genauso entsetzt wie seines.
Meinen Plan ihn zu vergessen konnte ich jetzt wohl verwerfen, sein Anblick machte mir aufs neue bewusst, dass ich mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen konnte.
So kitschig und vorweggenommen das auch klingen mag.

Kai der mittlerweile ins Wohnzimmer getreten war, schaute irritiert zwischen uns her. Julian schaffte es schließlich sich aus der Starre zu lösen und drehte sich um.

"Scheiße man, was, wieso, was macht sie hier" stotterte er.

"Das war so nicht geplant Jule, ich wollte, äh, warum bist du überhaupt hier, wie waren nicht verabredet" versuchte Kai von dem eigentlichen Grund abzulenken.

"I-Ich wollte eigentlich mit dir reden, aber das ist wohl jetzt nicht nötig" warf er scharf in den Raum.

Ich fühlte mich total fehl am Platz und wollte einfach nur verschwinden. Tränen schossen in meine Augen, ich versuchte sie wegzublinzeln, aber nichts half.
"Scheiße" murmelte ich.

Ohne groß zu überlegen schnappte ich mir meine Tasche, die neben mir am Boden stand und sprang auf.
Schnellen Schrittes umrundete ich Julian und Kai, die perplex an Ort und Stelle verweilten und rannte fast schon auf die Haustür zu.
Die Tränen nahmen mir die Sicht, weshalb ich in irgendeine Richtung auf dem Gehweg entlang rannte.
Ich wusste sowieso nicht, wo ich lang musste, den Weg hatte ich mir nicht gemerkt. Nach kurzer Zeit blieb ich stehen, meine Lunge brannte, ich stützte mich auf meinen Oberschenkeln ab und versuchte meinen Standort zu identifizieren, doch nichts kam mir bekannt vor.

Ein Donnern ließ mich zusammen zucken, mein Blick wanderte zum wolkenverhangenen Himmel. Alles deutete auf ein Gewitter hin und wenige Momente später fiel auch schon der erste dicke Tropfen auf mein Gesicht.

Erschöpft ließ ich mich auf eine nahegelegene Parkbank fallen. Ich wusste einfach nicht mehr weiter. Ich zog meine Beine nach oben und legte meinen Kopf in die verschränkten Arme.

Der Regen erinnerte mich an unseren Kuss. Und den Tanz im Regen.
Es hatte sich einfach so richtig angefühlt, es kam mir nicht so vor, als ob er es nicht wollte oder es gar bereute.

Mir war klar, dass wir uns noch nicht lange kannten, aber mir lag sehr viel an ihm. Er hatte unbewusst das Loch in meiner Brust gestopft, aber ließ es anschließend noch größer werden.
Über meine Gefühle war ich mir im Moment nicht im klaren.

Meine Tränen waren mittlerweile getrocknet, meine Kleider jedoch komplett durchnässt.
Es donnerte immer wieder und bei jedem mal zuckte ich erneut zusammen. Zusammengekauert saß ich auf der Bank, einfach nicht wissend, wie es nun weitergehen sollte.

Ich hob meinen Blick, als ein Auto vorfuhr.
Meine Sicht war getrübt, aber den schwarzen Sportwagen erkannte ich sofort.
Das Fenster ging runter.

"Alessia? Gottseidank" hörte ich seine raue Stimme.

"Steig ein, ich fahr dich nach Hause"
Geschockt schüttelte ich meinen Kopf.
Niemals. Das könnte ich nicht.
Ich sprang auf.

"Nein. Lass mich in Ruhe."  Tränen kündigten sich an und etwas durch den Wind lief ich los, doch Julian war kurz drauf wieder neben mir. Im Schritttempo fuhr er mir nach und versuchte mich zu überreden, mich wenigstens nach Hause zu bringen.
Als es dann plötzlich donnerte und kurz darauf ein Blitz über den Himmel zuckte, ließ ich mich auf den Ledersitz im Auto fallen.

Ich hatte gerade ein ziemliches Déjà-vu.

Julian machte die Sitzheitzung an und wählte Kai's Nummer. Die Wärme machte sich um mich herum breit und eine angenehme Gänsehaut überkam mich.

Kai war, soweit ich es dem Gespräch entnehmen konnte, in die andere Richtung los gefahren um mich zu suchen.
Ich hätte ehrlich gesagt nicht erwartet, dass die beiden mich suchen würden und doch saß ich nun in Julian's Auto. Mit dem Kopf gegen die Scheibe gelehnt beoachtete ich die tanzenden Regentropfen am Fenster.
Die Stimmung im Auto war zum Schneiden Dick, keiner wollte etwas sagen, Julian räusperte sich manchmal, aber hinterher kam nichts mehr.
Ich hatte allerdings auch nichts anderes erwartet, er hatte mir schließlich schon alles gesagt, was er zu sagen hatte.
Und er wusste genau, dass er mich damit verletzt hatte.

"Rechts oder Links?" riss mich, der Blonde, fragend aus den Gedanken.
Etwas irritiert schaute ich ihn an, es war ja nicht das erste mal, dass er mich nach Hause fuhr.

"Geradeaus" sagte ich, doch meine Stimme brach gegen Ende hin.

"Stimmt ja" Julian schmunzelte leicht.

Es machte mich traurig, dass er, in dieser Situation, lächeln konnte und ich nicht.
Aber das Lächeln faszinierte mich nach wie vor. Die Grübchen stachen hervor, doch seine sonst so strahlenden Augen waren trüb.
Das Schmunzeln verlor seine Aussagekraft und mir wurde bewusst, dass er ebenfalls Schwierigkeiten hatte.
Aber womit?

"Hier oder?"

Ich nickte.
Julian hatte schon im Hof vor dem Haus geparkt und den Motor ausgeschalten.

Was sollte ich denn jetzt sagen?

"Äh, ja, dann danke fürs heimfahren?" es klang mehr nach einer Frage, als nach einer Aussage, aber mehr bekam ich nicht hin.

Ich wollte gerade zum Türgriff fassen, als das Klicken des Auto-Schlosses ertönte.
Rüttelnd versuchte ich die Tür zu öffnen, aber nichts passierte.
Langsam und geschockt drehte ich mich zu Julian um, doch er sah mich bloß mit undurchblickbarer Miene an.

"Julian schließ das Auto a-" fing ich die Drohung an, doch er unterbrach mich mitten im Satz und mit rauer Stimme flüsterte er

"Ich glaube wir müssen reden"

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Nobody compares to you   -Julian BrandtWhere stories live. Discover now