37_Lucien

41 7 0
                                    


Wie verhält man sich einer Person gegenüber, auf die man eigentlich immer noch wütend ist?


Die Person welche mir die Tür öffnete, kam mir ehrlich gesagt eher weniger gelegen. Ich hatte gehofft, dass Azads Schwester Helin mir persönlich aufmachen würde und nicht Azad selbst. Ich dachte, dass er zu so einer frühen Stunde vielleicht noch nicht wach war oder gar nicht erst hier geschlafen hatte. Nun, ich hatte wohl falsch gedacht.

Ich wollte gerade auf die Frage des Rebellen antworten und klarstellen, dass ich ganz bestimmt nicht wegen ihm da war, als ein Mann, der hinter Azad stand, das Wort ergriff. Neues Kätzchen? Meinte er damit etwa mich? Wie kam er bitte auf diesen Spitznamen? Und warum nannte er Azad Kater? Wegen seinem Löwentatoo als Verharmlosung? Für wie schwach hielt er mich dann bitte, wenn er mich als Kätzchen bezeichnete?

Ich reagierte nicht, sondern blickte ihn nur herablassend an. Der Mann versuchte mich durch die Tür zu ziehen und ich hätte beinahe ohne zu Denken reagiert, indem ich ihm das Handgelenk brach, konnte mich aber im letzten Moment zurückhalten- trotzdem hatte der Mann meine Absicht vermutlich bemerkt, da ich nur Millisekunden, bevor es zu spät war, gestoppt hatte.

Er gehört wohl auch zu den Rebellen und war vermutlich nicht gerade niedrig gestellt- es wäre ungut ihn mir zum Feind zu machen. Trotzdem schüttelte ich seinen Arm ab und verschränkte meine Hände hinter meinem Rücken.

Schweigend verfolgte ich das Streitgespräch zwischen Victor- wie er wohl hieß- und Azad, ohne mich selbst darin einzumischen. Irgendetwas gefiel mir an dem weißen Fuchs nicht und er trug seinen Namen nach dem listigen Tier bestimmt nicht ohne Grund. Er hatte etwas verschlagenes, hinterhältiges an sich, was ich nicht ganz einordnen konnte. Aber es passte irgendwie, dass er der Mentor des Löwen gewesen war- sie waren sich ein bisschen ähnlich, auch wenn an Azad diese verschlagene Seite fehlte.

Noch misstrauischer wurde ich, als Azad begann von "Schachfiguren" zu sprechen. So sah Victor also die Menschen? Wenn der Vergleich stimmte, dann scheute er wohl nicht davor den ein oder anderen Bauern zu opfern und so freundlich er gerade auch tat- ich zweifelte keine Sekunde daran, dass ich an erster Stelle würde geopfert werden. Ich war im Moment noch nicht sonderlich wertvoll für die Rebellen- zumindest in ihren Augen- denn sie wussten nicht, wer ich wirklich war.

"Ach, ich darf endlich auch mal antworten?", fragte ich mit leichtem Spott. "Wie überaus großzügig von euch, nachdem ihr die ganze Zeit über meinen Kopf hinweggesprochen hattet. Ich bin tatsächlich nur wegen Helin da, damit sie meinen Verband wechseln kann. Dich wollte ich hier nicht gerade antreffen, Azad..." Ich wandte mich an Vic. "Du solltest mich lieber nicht unterschätzen, auch ein kleines Kätzchen kann scharfe Krallen besitzen. Und ich werde bestimmt nicht zu einer deiner Schachfiguren!"

Ich war immer noch wütend auf Azad und war nicht gerade begeistert gewesen, wie er über mich gesprochen hatte, was ich ihm jetzt auch mehr als deutlich klarmachte: "Und Azad, vielleicht würde ich ja lieber der Schüler des weißen Fuchs werden als deiner zu sein. Ich denke er kann mir mehr beibringen, als du es jemals können wirst und vielleicht hat er mehr Interesse daran auch wirklich Zeit mit mir zu verbringen und ich bin ihm nicht einfach nur lästig." 

Ich blitzte ihn mit einem wütenden Funkeln in den Augen an- die Wut und Verletztheit von und durch die Ereignisse von gestern waren noch nicht abgeklungen und nun noch einmal neu entfacht. 

Ich wollte es Azad einfach nur heimzahlen, darum lächelte ich Victor überfreundlich strahlend an.

"Sehr gerne, ich würde dich auch gerne näher kennenlernen!"

Ich wusste, dass der Löwe nicht gerade begeistert davon sein würde, also stimmte ich Victors Vorschlag umso lieber zu. Ich zweifelte stark, dass Azad wirklich geradezu von mir geschwärmt haben sollte, vermutlich hatte er sich hauptsächlich über mich lustig gemacht und wie unerfahren ich doch war. Ich war mir sicher, dass er kein einziges gutes Wort verloren hatte- vor allem da beide ziemlich viel Alkohol intus zu haben schienen, der bestimmt Azads Zunge gelockert hatte. Ich hoffte nur, dass er nicht meinen ungewollten Kommentar von gestern, dass ich nicht auf Frauen stehen würde, an den weißen Fuchs weitergegeben hatte.

Obwohl ich mich so locker gab, war mein Blick doch die ganze Zeit über wachsam gewesen und meine Hand lag locker über dem Messer, welches in meinem Gürtel steckte. Auch meine Muskeln waren angespannt- bereit jeden Moment loszuschlagen oder mich zu verteidigen, falls es notwendig sein sollte.

Ich traute dem Fuchs keinen Meter weit. Er war wirklich anders als Azad, dem ich von Anfang an vertraut hatte und es auch dummerweise immernoch mehr tat, als ich es sollte.

Ich drängte mich an beiden vorbei in die Wohnung, wobei ich dem Fuchs keine Sekunde lang den Rücken zukehrte. Vorsicht war besser als Nachsicht. So betrunken Victor auch wirkte- ich war mir sicher, dass sein Verstand messerscharf arbeitete. Eines hatte ich hier auf den Straßen gelernt: Es war klüger sich schwächer zu geben, als man wirklich war und keiner hier würde so dumm sein, sich so stark zu betrinken, dass man nicht mehr klar denken konnte. Vor allem kein Rebell, der auch noch einen hohen Rang inne hatte. Er war nicht ohne Grund ein Unteroffizier, wie ich an seinen Sternen erkannt hatte. 

Während ich an dem Fuchs schlendernd vorbeilief, machte ich eine blitzschnelle Drehung und drückte ihm das Messer an den Hals.

"Ich würde dir raten mich nicht zu leichtfertig als Bauern abzustempeln und zu opfern- ich glaube das würde dir nicht gut bekommen. Ich bin keine Schachfigur und ich werde es auch niemals ein. Ich bin keiner der dummen, unfähigen Rekruten, die ihr sonst so habt und es wäre dir klug geraten dies möglichst bald zu erkennen. Mein Ziel ist es mit dem obersten Anführer der Rebellion zu sprechen, denn ich habe Informationen, die ihn vielleicht interessieren könnten und die für keine anderen Ohren bestimmt sind. Und dieses Ziel werde ich auch erreichen, egal was ich dafür tun muss!", schnurrte ich mit samtiger Stimme in sein Ohr.

Ich lächelte ihn kalt an und senkte das Messer, nur um mich blitzschnell aus der Gefahrenzone zu bewegen. Ich hatte ihn nicht zu lange bedroht, denn vermutlich würde ihm schon das nicht gerade gut gefallen.

"Also los, lasst uns einen trinken und Helin kann sich dann gleich um meine Wunde kümmern!", meinte ich dann und setzte ein fröhliches Lächeln auf, während ich immer noch innerlich angespannt war und aufmerksam blieb- ich konnte seine Reaktion nicht abschätzen.

Ich ließ mich auf einem der Schemel nieder und überschlug meine Beine, während ich die beiden Rebellen wachsam, laudernd, aber mit einem Lächeln auf den Lippen anblickte.

"Wie sieht es aus, weißer Fuchs, Interesse daran mein Mentor zu werden?"

Ich war mir nicht wirklich sicher, ob das eine gute Idee war, aber vielleicht konnte er mir tatsächlich mehr beibringen, als Azad es konnte und bei ihm wusste ich immerhin schon jetzt woran ich war. Daraus würde bestimmt keine Freundschaft entstehen.

Lynx&Lion - The RebellionWhere stories live. Discover now