27_Lucien

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Werde ich endlich Antworten auf all meine Fragen bekommen? Und wenn ich diese dann habe- wird mich das glücklicher machen, oder werden nur immer weitere Fragen auftauchen?


An Azad's Reaktion merkte ich, dass ich wohl ein wenig zu neugierig war, was meine Fragen anging- vielleicht sollte ich mich das nächste Mal etwas mehr zurückhalten obwohl ich eigentlich der Meinung war, dass ich mich sogar zurückgehalten hatte. Ich war zwar auch offiziell fremd in dieser Stadt, aber trotzdem würde Mic wohl mehr darüber wissen als Lucien es tat.

Ich musste in Zukunft wirklich besser auf meine Worte achten, wenn Azad mitbekommen würde, wer ich wirklich war, oder es auch nur ahnte, würde ich nicht mehr lange leben. Ich konnte nicht abschätzen, wer von uns in einem Kampf stärker war, aber der Rebell hatte viele Verbündete, den Tag würde ich definitiv nicht überleben.

Der Hass der Rebellen auf uns Adelige war riesig und ich gehörte nun mal dazu- war mit dem Sohn des Ratsvorsitzenden wohl sogar einer der mächtigsten Adeligen überhaupt und dabei gehörte ich selbst noch nicht mal dem Rat an- würde es aber in Zukunft als Nachfolger meines Vaters tun. Die Rebellen würden wohl einen großes Triumph zu feiern haben, wenn sie mich töten konnten.

Während wir durch die Straße liefen und ich auf eine Antwort von Azad wartete, blickte ich mich aufmerksam um. All diese Eindrücke waren immer noch überwältigend für mich. So viele Menschen, so viel Lärm, so viele Gerüche. Nie konnte ich einschätzen, was hier als Nächstes passierte- das war fast ein wenig beängstigend, so faszinierend es auch war. Es bildete einfach einen großen Gegensatz zu meinem bisherigen Leben und somit genoss ich jede einzelne Sekunde, so wachsam ich auch stets sein musste.

Ich beobachtete einen kleinen Jungen, welcher zerissene, schmutzige Kleidung trug, die ihm viel zu groß war, und an der Hand einer jungen Frau zerrte, die viel zu jung wirkte um bereits Mutter zu sein, um diese zu einem Straßenstand zu ziehen, von dem ein köstlicher Geruch ausging.

Diese Stadt war wirklich anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Konnte ich das alles wirklich vergessen haben? Hatte mein kindliches Gehirn so viele positive Erinnerungen hinzugedichtet und der Stadt war es bereits damals so schlecht gegangen? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich all die Armut und der Unmut erst in den letzten paar Jahren entwickelt hatten.

Wir blieben vor einem großen Haus stehen und ich lauschte aufmerksam Azad's Beschreibung, während ich das Gebäude musterte. Die Fenster waren zum Großteil kaputt und auch insgesamt sah es von außen leerstehend und verlassen aus, auch wenn das laut Azad nicht der Fall zu sein schien. Am Ende seiner Ausführungen nickte ich nur leicht- von diesem Gebäude würde ich mich definitiv fernhalten- zumindest zum Schlafen. Zum Sammeln von Informationen war es vielleicht genau das Richtige, es würden hier bestimmt viele Menschen zusammenkommen.

Gut, dann also erst Stadtführung und danach Fragen- aber er würde nicht darum herumkommen mir die Fragen zu beantworten, dafür würde ich sorgen. Er würde sich später nicht drücken können.

Erneut nickte ich leicht und folgte ihm dann weiter bis zu einem großen Marktplatz, bei welchem ich bereits auf meiner Erkundungstour des ersten Tages gewesen war. Ich hatte tatsächlich sogar schon davor von dem Markt gehört, weil sich die Angestellten darüber unterhalten hatten. Wir kauften selbst dort nichts ein, aber die Angestellten hatten ja eigene Familien, die sie ernähren mussten. Interesse blitzte in meinen Augen auf, als Azad die Bibliothek erwähnte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so etwas hier geben würde, aber der Fakt, dass es so war, erfreute mich. Vielleicht würde ich ja auch dort ein paar Antworten auf meine zahlreichen Fragen bekommen. Zuhause hatten wir eine riesige Bibliothek, aber die Werke waren strengstens selektiert und gewisse Bücher waren sogar weggeschlossen, damit ich sie nicht lesen konnte. Mein Vater schien so einige Sachen vor mir verheimlicht zu haben und ich brannte darauf mehr zu erfahren- vor allem eben jene Dinge, die mein Vater mir nicht hatte zeigen wollen.

Lynx&Lion - The RebellionWhere stories live. Discover now