85_Lucien

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Es war totenstill. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und meinen Herzschlag. Ich war dafür ausgebildet worden wichtige Reden zu halten, doch vermutlich war meinen Lehrern nie bewusst gewesen, wie wichtig eine Rede von mir eines Tages wirklich sein würde. Ich war die ganze Zeit über auf einem schmalen Grat balanciert. Nur ein falsches Wort und ich hätte diese Rede nicht beenden können und ich wäre tot gewesen- oder noch schlimmer: Azad. Aber dennoch hatte ich es bis zu diesem Zeitpunkt geschafft keine Kugel in mein Herz oder ein Messer durch meine Kehle zu bekommen und ich wertete das erst einmal als gutes Zeichen. auch wenn es natürlich sein konnte, dass das nur an dem großen Schock der anderen lag.

Ich wagte es nicht Azad anzublicken, aus Angst, was er gerade für mich empfinden würde- ich war wirklich ein ziemlich schlechter Geliebter- aber ich ließ meinen Blick über die anderen Rebellen schweifen. Der Bär wirkte misstrauisch, ebenso wie der Rabe- beide hielten ihre Waffen griffbereit. Die Elster- o Wunder- wirkte ziemlich hasserfüllt. Vielleicht lag es daran, dass er nun begriffen hatte, dass ich doch etwas mehr als ein einfacher Rekrut war, der ihm gegenüber respektlos gewesen war, vielleicht lag es aber auch einfach daran, wer ich wirklich war. Der Sohn von Korolus de Chimico- dem bekanntesten Mann dieses Landes, dessen Stellung wohl der eines Königs gleichkam. Der Dolch wirkte ungerührt wie bereits zuvor- er schien kein Mann zu sein, der seine Gefühle und Gedanken offen zur Schau trug. So wie ich in diesem Moment- ich war ganz der Lucien, der ich mein Leben lang gewesen war. Und ich wusste nicht, ob ich diesen Lucien wirklich nur zur Schau trug oder ob es wirklich immer noch ich war.

Der General überraschte mich am meisten mit seiner Reaktion- erst grinste er nur, dann fing er an zu lachen. Die Frage war nur, ob es gut oder schlecht war, dass er von meiner Rede amüsiert zu sein schien.

Wohl eine Mischung aus beidem. Kaum, dass der General seine Stimme erhoben hatte, hatte sich der Dolch von meiner linken Seite erhoben und hielt mir ein Messer an die Kehle. Er war flink, dennoch hätte ich das ganze verhindern können, aber dadurch konnte ich nichts erreichen- ich blieb also ruhig und gelassen und ließ mir nach außen nichts von der Angst anmerken, welche in meinem Inneren aufflackerte. Dennoch war es weniger Angst, als ich vermutlich in so einer Situation haben sollte. Der Dolch hieß nicht ohne Grund Dolch. Mit dem Messer war er geschickter als ich und einen Degen hatte ich im Moment nicht zur Hand. Ich könnte jede Sekunde tot sein und mir blieb nichts anderes, als darauf zu vertrauen, dass ich die richtigen Worte gefunden hatte.

Mutig war vermutlich nicht gerade eine zutreffende Bezeichnung des Generals für mich gewesen. Ich denke lebensmüde dürfte wohl eher passen, vielleicht auch leichtsinnig oder dumm. Oder ich war das genau Gegenteil und schlau. Vielleicht war ich aber auch einfach nur Ich. Jemand, der etwas verändern wollte und das nicht erst in ein paar Jahren. Jemand, der es leid war sich zu verstellen. Jemand, der bereit war zu Kämpfen und nicht mehr länger mit ansehen konnte, wie immer mehr Unschuldige starben. Und ich war bereit dafür mein Leben zu riskieren.

"Nun, ich helfe euch nicht einfach so- ich helfe den Menschen dieser Stadt und ich helfe meinem Löwen, sodass wir eines Tages ein glückliches Leben zusammenführen können und auch die anderen Menschen dazu in der Lage sind!", meinte ich kalt.

"Und glauben Sie mir, General, es war keine leichte Entscheidung meinen Vater umzubringen, aber ich werde es tun, denn er ist ein grausames Monster und es ist eine Notwendigkeit! Ich wünschte mir, dass es auch anderes gehen würde, aber das ist nun mal nicht der Fall!"

Der General legte seinen Arm um Azads Schulter und ich spannte mich augenblicklich an und umfasste mit meiner Hand mein Messer etwas fester. Wenn er meinem Löwen etwas antun würde, würde ich sie alle umbringen. Ihre Leben interessierten mich nicht und notfalls würde ich auch anders zum Ziel kommen. Ich mied immer noch Azads Blick- ich hätte ihm davon erzählen sollen, was ich tun würde, auch wenn das nicht möglich gewesen wäre, denn nichts davon war geplant gewesen. Ich hatte nicht gewusst, dass wir nicht nur den General treffen würden, denn wäre das so gewesen, hätte ich vielleicht nach einem Treffen mit dem obersten Anführer gebeten, aber nicht das getan, was ich nun getan hatte.

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