9_Lucien

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Wem kann ich in dieser Welt vertrauen?


Ich blickte gedankenverloren aus dem kleinen vergitterten Fenster des Turmes. Die Nacht war dunkel- Wolken verdeckten Mond und Sterne- und ein kalter Luftzug kam durch das offene Fenster hinein und brachte mich zum Frösteln, obwohl ich eigentlich nicht gerade kälteempfindlich war. Ich hatte nicht erwartet, dass ich nach so kurzer Zeit meine Freiheit bereits wieder verlieren würde, nachdem ich sie gerade erst wiedergewonnen hatte.

Mic ließ mich auch im Stich. Er reagierte nicht auf meine aktuelle Situation, also saß er wohl nicht am Tablet. Vermutlich genoss er einfach sein neues Leben, so wie ich es genossen hatte, als ich in der Stadt ankam. Was ich wohl morgen sagen sollte? Die Wahrheit? Aber das würde Mic in Gefahr bringen und mir großen Ärger mit meinem Vater einhandeln. Ich konnte es nicht machen- ich konnte nicht so schnell aufgeben. Ich musste die Stadtwachen einfach davon überzeugen, dass ich nicht zu diesen Rebellen gehörte, wer auch immer diese waren. Es würde schwierig werden, da ich die Stadt und ihre Begebenheiten kaum kannte, aber es war nicht unmöglich.

Es verging einige Zeit, bis ich Schritte hörte, welche sich der Zelle näherten. Ich setzte mich auf und versuchte aufmerksam zu erspähen, wer sich da näherte. Es war noch viel zu früh, als dass es jemand sein konnte, der mich zum Verhör abholte- die Nacht war gerade in ihrer vollen Blüte.

Jemand blieb vor der Zelle stehen und ich versuchte zu erkennen wer es war. Er sah nicht gerade wie ein Wächter aus. Aber wer war er dann? Er schien nur wenig älter als ich oder vielleicht sogar in meinem Alter zu sein. Sein Aussehen unterschied sich vollkommen von den Menschen, die ich kannte. Eine Augenklappe verbarg sein rechtes Auge und zahlreiche Narben bedeckten sein Gesicht. Fasziniert konnte ich nichts anderes tun als ihn anzustarren. Bei der Elite war Perfektion an oberester Stelle- jemanden wie ihn würde man dort niemals antreffen.

Als er einen Zeigefinger an seine Lippen legte, nickte ich nur leicht. Er schien meinen Mitgefangenen befreien zu wollen, denn mit mir hatte er wohl kaum etwas zu tun. Ich kannte ihn nicht und ich zweifelte, dass er etwas mit meinem Vater zu tun hatte.

Ob die beiden wohl zu diesen Rebellen gehörten? Ich versuchte einen weiteren Blick auf den Fremden zu erhaschen, während dieser sich am Schloss zu schaffen machte. Automatisch blieb ich an seiner Augenklappe hängen. Beinahe hätte ich selber zu meinem rechten Auge gefasst, nur um mich zu vergewissern, dass dieses noch da war. Ich hatte mehr Glück als er gehabt. Wobei er es wohl verloren hatte?

Kurz darauf stand der Fremde im Raum und fing an zu gestikulieren. Ich hatte Schwierigkeiten zu verstehen, was er sagte oder eben nicht sagte. Ich sollte ruhig sein. Das hatte ich zumindest schon längst verstanden.

Der junge Mann weckte den anderen Mann im Raum und sie schienen sich wortlos zu verständigen. Der Fremde verließ die Zelle wieder und da er zu warten schien, beschloss ich ihm zu folgen. Was hatte ich schon zu verlieren? Die Wächter, die mich gefangen genommen hatten, schienen mich nicht zu kennen, also konnten sie mich schlecht wieder festnehmen, sobald ich von diesem Ort geflohen war. Zudem würde ich Mic so nicht in die ganze Sache mit hinein ziehen müssen, beziehungsweise mich weiter in Gefahr bringen müssen. Alles war besser als noch länger hier eingesperrt zu sein, ohne zu wissen, wann ich wieder herauskam.

Als wir den Turm verließen, schloss sich uns ein weiterer Mann an, welcher vermutlich Wache gehalten hatte. Erst als wir einige Straßen weiter weg waren, begann ich zu sprechen. Ich wandte mich dabei an den jungen Mann mit Augenklappe, vom dem ich schon die ganze Zeit über kaum meinen Blick hatte lassen können, weil er so anderes war- er wirkte auf mich irgendwie wie der Anführer. Ich hatte dabei Schwierigkeiten nicht in meinen Ton zu verfallen, mit dem ich normalerweise Dank ausdrückte.

"Vielen Dank. Ich bin dir etwas schuldig. Die Wachen hatten mich heute Nacht festgenommen, weil sie mich für einen Rebellen hielten. Mein Name ist... Mic Ayano..." Beinahe hatte ich mich versprochen. Es würde wohl auch noch eine Weile lang ungewohnt bleiben, diesen Namen zu nennen statt meinem eigentlichen. Ich lächelte ihn dankbar an.

"Gehört ihr zu den Rebellen?", fragte ich dann neugierig nach und blickte die drei der Reihe nach an. Ich konnte mir immer noch nicht wirklich was unter diesem Begriff vorstellen, aber ich wollte mehr erfahren, immerhin war das der Grund gewesen, warum ich verhaftet wurde. Ich war für einen von ihnen gehalten worden.

Lynx&Lion - The RebellionWhere stories live. Discover now