Kapitel 2 - Jessica

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So einen beschissenen Abend hatte ich schon lange nicht mehr gehabt. Ich saß angeschwibst und alleine in einer angesagten Bar in Lower Manhattan. Mein Date hatte mich gerade wegen seiner Mutter sitzen lassen. Wir waren beide noch beim ersten Drink gewesen, als sein Telefon begonnen hatte zu klingeln. Kurz darauf hatte er mir erklärt, seine Mutter hätte einen Hexenschuss, oder den Schluss nicht gehört, was weiß ich. Jedenfalls, hatte er sich von der einen auf die andere Sekunde von mir verabschiedet und war gegangen. Glücklicherweise hatte er den Anstand gehabt, Geld zum Bezahlen da zu lassen.

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete ich die Scheine und grinste in mich hinein. Dann exte ich meinen Cosmopolitan und orderte den Nächsten. Ich fischte mein Handy aus meiner Clutch und rief meine beste Freundin Elena an. Ich landete auf der Maibox, was ich mir hätte denken können, da sie mir erzählt hatte, sie würde heute Abend ins Kino gehen. Irgendein neuer Horrorfilm, auf den sie ganz scharf gewesen war. Und irgendein Typ, der sie begleitete. Fragt mich nicht, auf was sie schärfer gewesen war.
Sah ganz danach aus, als würde ich alleine bleiben. Also begann ich frustriert an meinem Cosmo zu schlürfen.
Toll.

Nachdem ich auch diesen geleerte hatte, zwei Mal durch den gesamten Feed auf Instagram gescrollt war und mehrfach meine E-Mails gecheckt hatte, beschloss ich, nach Hause zu fahren. Fahren. Gutes Stichwort, denn als Muttersöhnchen Connor vor einer halben Stunde abgedampft war, hatte sich mit ihm auch meine Mitfahrgelegenheit verabschiedet.
Doppelt toll.

Ich bezahlte die Rechnung und stand vom Barhocker auf. Kurz erfasste mich Schwindel.
Wann hab ich das letzte Mal Alkohol getrunken?
Ich sammelte mich, bevor ich es wagte, mich in meinen 12cm High Heels in Bewegung zu setzen. Ich steuerte auf den Ausgang zu. Draußen würde ich mir ein Uber rufen und darauf warten. Spontan entscheid ich jedoch, dass es sinnvoll wäre, vorher noch einmal für kleine Mädchen zu gehen. Ich machte kehrt und begab mich auf die Suche nach den Toiletten. Konzentriert darauf, nicht um gerempelt zu werden, bahnte ich mir meinen Weg durch die Menge. Kurz vorm Ziel stolperte ich aber dennoch und stieß gegen einen Typen. Einem super schmierigen Typen, mit noch schmierigeren Harren, die ihm ins Gesicht hingen. Ich murmelte eine Entschuldigung und ging weiter, aber der Mann griff nach mir und seine schweißnasse Hand schloss sich um mein Handgelenk.
„Na, ganz alleine hier, Süße?"
Ugh.
Ich musste mir gleich dringend die Hände waschen. Am besten mehrmals. Ohne dem Kerl eine Antwort auf seine Frage zu geben, entzog ich mich ihm und lief weiter. Doch er kam mir nach. Wieder, diesmal fester, legten sich seine Finger um das Gelenk meiner linken Hand.
„Hast du Lust auf ein bisschen Spaß, Süße?"
„Nein. Habe ich nicht", trotze ich.
Ich weiß nicht woran es lag, wahrscheinlich an meinen Beiden Comos, aber ich fand nicht die Kraft, ihn von mir zu drücken, als er anfing, mich gegen die raue Wand im Flur zu drängen.
„Wir würden uns bestimmt prächtig amüsieren", lallte er.
Sein Gesicht kam meinem gefährlich nahe und ich konnte den Alkohol aus seinem Mund riechen.
„Nein und jetzt lass mich los." Wieder stemmte ich die Hände gegen seine Brust und versuchte ihn, von mir zuschieben. „Hau ab."
Er bewegte sich keinen Zentimeter. Seine Rechte glitt an meine Taille, packte zu und langsam kam Panik in mir auf.
„Hau verdammt nochmal ab", wurde ich lauter.
Dieses Arschloch fing an, dämlich zu lachen und wollte gerade etwas drauf erwidern, als er mit einem Mal von mir gezerrt und grob gegen die gegenüberliegende Wand gestoßen wurde. Daraufhin sackte er zusammen.
„Sie hat keinen Bock auf dich, Alter."

Perplex starrte ich den Typen an, zu dem die dunkle Stimme gehörte. Vor mir stand ein Riese. Er war bestimmt über 1,90m groß und er hatte Muskeln. Viele Muskeln. Das kurzärmlige, weiße T-Shirt, das er trug, spannte über seine Oberarme. Aber was am meisten ins Auge stach, waren die Tattoos. Sie bedeckten jegliche sichtbaren Stellen an seinem Körper und ich war mir sicher, dass es noch Weitere gab.
„Mach den Mund zu, Blondie, sonst fliegen Fliegen rein."
Die Art wie er sprach, ließ keinen Zweifel daran, dass er das, was er gerade gesagt hatte, auf keine Weise lustig meinte.
Auf einmal fühlten sich meine Beine unheimlich schwer an und drohten unter mir nachzugeben, doch zwei starke Hände griffen nach mir und gaben mir Halt.
„Jetzt reiß dich mal zusammen." Er klang genervt.
Ungläubig sah ich zu ihm hoch.
Was hat er da gerade zu mir gesagt?
Gestatten, Arschloch Nummer 2 des heutigen Abends. Ich straffte die Schultern und deutete auf Arschloch Nummer 1, das immer noch am Boden lag.
Ob er wohl eingeschlafen ist?
„Ich hatte alles im Griff", zickte ich rum.
„Das habe ich gesehen."
Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu, dem er jedoch ohne Mühe standhielt. Auf so einen Retter in der Not, konnte ich verzichten. Ich wollte ihm gerade meine Meinung geigen, aber ich vergas, was ich sagen wollte, als ich anfing, ihn näher zu betrachten. Er hatte klare, große Augen. Ein intensives Grau-Grün. Mein Blick fiel auf die kleine Narbe, überhalb seines rechten Wangenknochens, woraufhin sein Mund zucke.
Plötzlich ging die Tür der Damentoilette auf und ein Mädchen mit braunen, welligen Haaren, die sie als langen Bob trug, kam heraus.
„Mac, ruf der Puppe hier ein Taxi."
„Kein Problem, Süßer", antworte sie ihm und ging an uns vorbei.
Der Typ am Boden zog plötzlich meine Aufmerksamkeit auf sich, als er einen komischen Laut von sich gab und anfing, sich die Seele aus dem Leib zu kotzen.
Ist das ekelig.
Als ich kurz darauf wieder auf sah, war der große Unbekannte verschwunden.

Was für ein Abend. Wäre ich bloß zu Hause geblieben, dachte ich und schüttelte den Kopf. Ich wollte nur noch weg von hier. Das Pipi machen war mir sowas von vergangen, also drehte ich mich um und machte mich auf direktem Wege nach draußen. Kurz vor der Tür blieb ich stehen, ließ meinen Blick noch einmal durch den Raum schweifen und da entdeckte ich ihn. Seine Größe und das markante Aussehen machten es schwer, ihn zu übersehen. Er lehnte am Bartresen und unterhielt sich mit einer brünetten Schönheit. Groß, schlank. Sie lachte über etwas, das er zu ihr gesagt hatte, und legte ihm ihre Hand auf seine Brust. Als ob er wüsste, dass ich hier stand und den Beiden zusah, drehte er den Kopf in meine Richtig und nahm einen Schluck aus seinem Glas. Rasch wandte ich mich ab und verließ die Bar.
Draußen wartete das Taxi.

Am nächsten Tag wachte ich erst um die Mittagszeit auf.
Die Sonne schien durch das große Fenster meines Schlafzimmers und erhellte es.
Für gewöhnlich schlief ich nicht so lange, aber für gewöhnlich verlief mein Abend am Tag zuvor auch etwas anders, als er gestern verlaufen war. Während ich also noch im Bett lag, wanderten meine Gedanken zu dem großen, tätowierten Unbekannten von gestern Nacht. Was wäre passiert, wenn er nicht gewesen wäre? Und wieso kam er aus dem Nichts, um mir zu helfen? Ich seufzte und versuchte, meine Gedanken zu verdrängen. Er war genauso ein Arschloch gewesen, wie der andere Kerl. Die einen bedrängten Frauen, die anderen behandelten sie von oben herab. Was mache das für einen Unterschied?

Ich schlug meine Bettdecke zurück und hüpfte aus dem Bett.
Nach einem kurzem Abstecher ins Bad, ging ich zur Küche, um mir Kaffee zu kochen. Die Sonnenstrahlen fielen auch hier durch die Fenster. Es schien ein schöner Tag zu sein und glücklicherweise hatte ich heute frei. Ich checke mein Handy und las die Nachrichten, die mir Elena letzte Nacht noch geschrieben hatte.

Elena:
Der Film war sooo schlecht :(

Elena:
Aber dafür war Ian umso süßer...
Ich berichte dir morgen ausführlich.

Elena: Wieso hattest du angerufen?

Ich konnte es kaum erwarten, alle Einzelheiten zu erfahren.
Mir kam ein Lächeln über die Lippen, als ich mir vorstellte, wie euphorisch sie mir nachher alles erzählen und bis ins kleinste Detail gehen würde. Elena Miller war hektisch, ein bisschen verrückt aber die liebste Person auf Erden. Wir kannten uns noch gar nicht so lange. Wir hatten uns vor knapp 2 Jahren in dem Café, in dem wir beide arbeiteten, kennengelernt. Das war die Zeit gewesen, in der meine Mutter krank geworden und das ganze Geld für Medikamente und Arztrechnungen drauf gegangen war. Das Geld, was ich nebenbei in der Bibliothek der Uni verdient hatte, reichte nicht mehr aus, also hatte ich angefangen, nach einem Job zu suchen. So war ich in Roberta's Bistro gelandet und war dort auf Elena getroffen. Als meine Mutter nach schneller, schwerer Krankheit erlöst worden war, hatte ich beschlossen, das Studium zu unterbrechen und daraufhin eine Festeinstellung im Café erhalten. Während dieser Zeit war Elena, neben meinem keinen Bruder Joshua, die größte Stütze für mich gewesen. Das Verhältnis, das ich zu meiner Mutter gehabt hatte, war zwar nicht das Beste gewesen, jedoch war es mir schwerer gefallen als gedacht, mit Ihrem Tod klar zu kommen. Es hatte mir Angst gemacht, zu wissen, von jetzt an auf mich alleine gestellt zu sein. Wir waren ohne Vater aufgewachsen, andere Verwandte gab es keine. Zumindest waren sie verschollen, lebten Meilen weit weg oder lebten gar nicht mehr. Es gab jetzt nur noch Josh und mich.

Ich goss mir eine Tasse Kaffee ein und schrieb meiner besten Freundin, dass ich mich auf sie freute und gespannt auf die Details war. Anschließend textete ich meinem Bruder, ob ich den Laptop abholen könne, den ich ihm letzte Woche ausgeliehen hatte.

LONGING FOR CHANGEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt